Zur Zuständigkeit der nationalen Gerichte bei Schadensersatzklagen gegen mehrere Kartellbeteiligte aus verschiedenen Mitgliedsstaaten
EuGH 21.5.2015, C-352/13Die Brüssel-I-Verordnung sieht vor, dass Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, grundsätzlich vor den Gerichten dieses Staats verklagt werden können. Wenn es mehrere Beklagte gibt, kann eine Person jedoch auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine enge Beziehung besteht und somit eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten abweichende, miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen.
Der Sachverhalt:
Das Ausgangsverfahren betrifft eine Entscheidung der EU-Kommission vom 3.5.2006, in der feststellt wurde, dass Lieferanten von Wasserstoffperoxid und Natriumperborat unter Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Union an einem Kartell beteiligt waren. Aus diesem Grund wurden gegen bestimmte beteiligte Gesellschaften Geldbußen verhängt. Die Cartel Damage Claims Hydrogen Peroxide SA (CDC) ist eine belgische Gesellschaft, der mehrere Zellstoff und Papier verarbeitende Industrieunternehmen ihren Anspruch auf Ersatz für die aufgrund des Kartells erlittenen Verluste abgetreten haben.
Im März 2009 erhob CDC beim LG Dortmund gegen sechs der an dem Kartell beteiligten Gesellschaften Schadensersatzklagen. Die Gesellschaften sind in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig. CDC ist insoweit der Ansicht, dass die deutschen Gerichte gegenüber allen Beklagten zur Entscheidung zuständig seien, da eine von ihnen, die Evonik Degussa GmbH, ihren Sitz in Deutschland habe. Im September 2009 nahm CDC ihre Klage gegenüber Evonik Degussa nach Abschluss eines Vergleichs zurück.
Die übrigen der in der Klageschrift von CDC genannten Gesellschaften rügen das Fehlen der internationalen Zuständigkeit des deutschen Gerichts. Sie machen geltend, dass die mit den geschädigten Gesellschaften geschlossenen Lieferverträge Gerichtsstands- und Schiedsklauseln enthalten hätten, in denen die Gerichte bestimmt worden seien, die für Rechtsstreitigkeiten aus den Verträgen zuständig seien.
Das LG Dortmund legte dem EuGH in diesem Zusammenhang wegen Zweifeln an seiner internationalen Zuständigkeit mehrere Fragen zur Vorabentscheidung betreffend der Auslegung der Brüssel-I-Verordnung vor.
Die Gründe:
Die Entscheidung der Kommission vom 3.5.2006 regelt nicht die Voraussetzungen für eine etwaige zivilrechtliche Haftung der an dem fraglichen Kartell beteiligten Unternehmen. Diese bestimmen sich nach dem nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten. Aufgrund eventueller Abweichungen in den verschiedenen nationalen Haftungsrechten bestünde die Gefahr, dass es zu sich widersprechenden Entscheidungen kommt, wenn ein Geschädigter des Kartells vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten klagen sollte. Daher erlaubt die Verordnung in solchen Fällen, vor einem einzigen Gericht Klage gegen mehrere in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Beklagte zu erheben. Unternehmen, die an einem rechtswidrigen Kartell beteiligt waren, müssen insoweit damit rechnen, vor den Gerichten eines Mitgliedstaats verklagt zu werden, in dem eines von ihnen ansässig ist.
Hat der Kläger - wie hier - seine Klage gegen den einzigen im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts ansässigen Mitbeklagten zurückgenommen, berührt dies grundsätzlich nicht die Zuständigkeit dieses Gerichts für die Klagen gegen die anderen Beteiligten. Allerdings darf die Bestimmung der Verordnung, die es ermöglicht, mehrere Beklagte vor demselben Gericht zu verklagen, nicht missbräuchlich angewendet werden. Vorliegend wäre dies der Fall, wenn erwiesen wäre, dass CDC und Evonik Degussa den Abschluss ihres Vergleichs absichtlich allein zu dem Zweck auf die Zeit nach Erhebung der Klage verschoben hätten, eine gerichtliche Zuständigkeit in Deutschland gegenüber den anderen Kartellbeteiligten zu begründen.
Im Übrigen ist das angerufene Gericht grundsätzlich durch eine Gerichtsstandsklausel gebunden, die die Anwendung der spezifischen Bestimmungen der Verordnung über mehrere Beklagte und deren Haftung aus unerlaubter Handlung ausschließt. Rechtsstreitigkeiten über den Ersatz der durch ein rechtswidriges Kartell entstandenen Schäden können jedoch nur dann Gerichtsstandsklauseln unterworfen werden, wenn der Geschädigte diesen Klauseln zugestimmt hat.
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