04.12.2015

Zur Zustellung einer vor US-Gerichten erhobenen Klage in Deutschland

Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich ein deutsches Unternehmen gegen die Zustellung einer in den USA erhobenen Schadensersatzklage wendet. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen einen Beschluss des OLG Düsseldorf, das die Zustellung der Klage in Deutschland nach dem Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 als rechtskonform bestätigt hat. Das ursprüngliche Begehren der Beschwerdeführerin hat sich erledigt, nachdem die Klage von den amerikanischen Gerichten rechtskräftig abgewiesen worden ist.

BVerfG 3.11.2015, 2 BvR 2019/09
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist eine Aktiengesellschaft, die international als Automobilzulieferer und Rüstungskonzern tätig ist und u.a. auch zwei Standorte in den USA unterhält. Im November 2002 wurde sie, neben weiteren multinationalen Konzernen, von einer Gruppe von südafrikanischen Klägern mit einer Sammelklage vor einem Gericht der USA auf Schadensersatz wegen Beihilfe zu menschenrechtsverletzenden Maßnahmen des Apartheid-Regimes in Südafrika verklagt. Die Kläger stützten sich auf den Alien Tort Claims Act (ATCA), nach dem die Bundesgerichte eine originäre Zuständigkeit für Zivilklagen eines Ausländers über Delikte haben, die unter Verletzung des Völkerrechts oder eines Abkommens der USA begangen wurden.

Das angerufene Bundesbezirksgericht ließ die Klage im April 2009 in eingeschränktem Umfang zu, behielt sich aber eine Entscheidung über die (auch internationale) Zuständigkeit und die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung ausdrücklich vor. Ein Berufungsgericht setzte das Verfahren bis zur Entscheidung in dem beim U.S. Supreme Court bereits anhängigen Verfahren Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum Co. et al. aus.

Mit Urteil vom 17.4.2013 wies der Supreme Court die Kiobel-Klage mangels Zuständigkeit der US-Bundesgerichte ab. Eine Vermutung spreche gegen die extraterritoriale Anwendung von Gesetzen, es sei denn, der Gesetzgeber hätte eine solche Anwendung ausdrücklich vorgesehen. Selbst wenn der Klageanspruch das Hoheitsgebiet der USA berühre, müsse der Inlandsbezug hinreichend stark sein, um die Vermutung gegen die extraterritoriale Anwendung des ATCA zu widerlegen. Die Klage gegen die Beschwerdeführerin wies das Bundesbezirksgericht daraufhin im Dezember 2013 - inzwischen rechtskräftig - ab.

In Deutschland stellte das AG - auf Verfügung der Präsidentin des OLG - die Klage im Juli 2003 zu. Das OLG wies das hiergegen eingelegte Rechtsmittel zurück. Dieser Beschluss ist Gegenstand der Verfassungsbeschwerde. Das BVerfG nahm Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Das ursprüngliche Begehren der Beschwerdeführerin hat sich erledigt. Nach der rechtskräftigen Klageabweisung in den Vereinigten Staaten fehlen der Beschwerdeführerin sowohl das Interesse als auch die Möglichkeit, die Unwirksamkeit der Klagezustellung noch geltend zu machen.

Aufgrund der Erledigung mangelte fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis für die Aufrechterhaltung der Verfassungsbeschwerde. Nur in Ausnahmefällen kann dennoch ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen sein. Dafür genügt die allein aus der Kostenentscheidung herrührende Beschwer nicht. Das BVerfG lässt das Rechtsschutzbedürfnisses nur dann fortbestehen, wenn der Beschwerdeführer ein anerkennenswertes Interesse (Stichwort: Wiederholungsgefahr) an der Feststellung hat, dass die angegriffene Maßnahme nicht verfassungsgemäß war, wenn ein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff vorlag oder wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und ein schwerwiegender Grundrechtseingriff bemängelt wird. Voriliegend sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

Die Befürchtung der Beschwerdeführerin, dass sie in Zukunft erneut in den USA gerichtlich in Anspruch genommen werden könnte, ist durch nichts gestützt. Es wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Anwendbarkeit des ATCA auf Konstellationen wie die hier vorliegende - Verfahren ausländischer Kläger gegen ausländische Beklagte wegen im Ausland begangener Verstöße gegen das Völkerrecht - künftig nicht mehr in Betracht kommt. Entsprechende Klagen vor US-Bundesgerichten sind deshalb nicht mehr zu erwarten. Auch ein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff - also Eingriffe, die schon das Grundgesetz unter Richtervorbehalt gestellt hat, etwa Wohnungsdurchsuchung oder Abschiebehaft - liegt nicht vor. Die Zustellung einer Klage, die allein finanzielle Interessen der Beschwerdeführerin gefährdent, ist hiermit nicht vergleichbar.

Ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung anzunehmen. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Haager Zustellungsübereinkommens, das mit Gesetz vom 22.12.1977 Eingang in die deutsche Rechtsordnung gefunden hat, bestehen keine Bedenken, soweit es hier entscheidungserheblich ist. Ob die Zustellung einer im Ausland anhängigen Klage selbst dann mit Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre, wenn das mit der Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße, bedarf vorliegend keiner grundsätzlichen Klärung. Die Rechtsinstitute und Regelungen, die im amerikanischen Klageverfahren gegen die Beschwerdeführerin zum Tragen kommen, begründen weder für sich genommen noch in Kumulation einen solchen offensichtlichen Verstoß.

Zu diesen Rechtsinstituten hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung teilweise bereits Stellung genommen: etwa zum Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Recht, zu der Möglichkeit der Sammelklagen oder zum Beweisverfahren zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung.All diese Institute stellen nicht ohne Weiteres einen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats dar. Die Respektierungspflicht könnte ihre Grenze zwar dort erreichen, wo das Verfahren vor den ausländischen Gerichten in einer offenkundig missbräuchlichen Art und Weise genutzt wird. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die erhobene Klageforderung - jedenfalls in ihrer Höhe - offensichtlich keine Grundlage hat, dass der Beklagte mit dem angegriffenen Verhalten offensichtlich nichts zu tun hat oder dass erheblicher, auch publizistischer Druck aufgebaut wird, um die Beschwerdeführerin in einen an sich ungerechtfertigten Vergleich zu zwingen.

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BVerfG PM Nr. 89 vom 4.12.2015
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