01.03.2024

Anforderungen an den Beteiligtenvortrag im Falle der behaupteten nichtschuldhaften Terminsversäumung

Ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, hat alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen. Der BGH hat sich vorliegend zudem mit den Anforderungen an den nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Beteiligtenvortrag dazu befasst, dass ein Fall der schuldhaften Terminsversäumung nicht vorgelegen habe.

BGH v. 24.1.2024 - XII ZB 171/23
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller macht gegen die Antragsgegnerin, seine von ihm getrenntlebende Ehefrau, einen Anspruch auf Zahlung von 44.000 € geltend. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem AG am 27.4.2022 erschien für die Antragsgegnerin niemand, woraufhin antragsgemäß ein dem Begehren des Antragstellers stattgebender Versäumnisbeschluss erging. Gegen diesen legte die Antragsgegnerin Einspruch ein. Die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache am 23.11.2022 um 10:00 Uhr wurde der Antragsgegnerin über ihre Verfahrensbevollmächtigte am 22.9.2022 zugestellt. Zu diesem Termin erschien für die Antragsgegnerin erneut niemand. Nachdem das AG bis 10:55 Uhr zugewartet und die Sache wiederholt aufgerufen hatte, erließ es antragsgemäß einen zweiten Versäumnisbeschluss, durch den der Einspruch der Antragsgegnerin "zurückgewiesen" wurde.

Hiergegen legte die Antragsgegnerin mit der Begründung Beschwerde ein, dass eine schuldhafte Säumnis nicht vorgelegen habe. Ihre Verfahrensbevollmächtigte sei am 23.11.2022 rechtzeitig in Berlin losgefahren, um den Gerichtstermin in Frankfurt (Oder) um 10:00 Uhr wahrzunehmen. Während der Fahrt habe sie jedoch unvermittelt plötzlich "schubweise schwere krampfhafte Zustände" verbunden mit Brechreiz und Durchfall bekommen. Sie habe ihre Fahrt deshalb für rd. zwei Stunden unterbrechen müssen. Mehrfache Versuche, das AG vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen, seien erfolglos geblieben. Erst gegen Mittag habe die Verfahrensbevollmächtigte ihre Fahrt fortsetzen können und sich direkt zu einem Arzt begeben. "In der Zwischenzeit" habe auch die Kanzleimitarbeiterin der Verfahrensbevollmächtigten vergeblich versucht, die Geschäftsstelle des AG telefonisch zu erreichen.

Schließlich habe die Kanzleimitarbeiterin die "Vermittlung" des AG angerufen. Diese habe ihr mitgeteilt, dass die Verhandlung bereits vorbei sei, und sie mit der zuständigen Richterin verbunden. Die Richterin habe erklärt, dass sich der gegnerische Anwalt bei ihr gemeldet und angekündigt habe, staubedingt zu spät zu kommen. Da die Richterin "vom Büro der Antragsgegnerin" keine Benachrichtigung erhalten habe, sei ein Versäumnisbeschluss ergangen. Mit Schriftsatz vom 27.2.2023 ergänzte die Antragsgegnerin ihren Vortrag dahingehend, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte am 23.11.2022 mit dem Pkw um 7:15 Uhr in Berlin losgefahren sei und diese Fahrt ca. gegen 9:00 Uhr auf dem Parkplatz Briesenluch habe unterbrechen müssen. Eine Weiterfahrt sei nicht möglich gewesen.

Das OLG verwarf die Beschwerde der Antragsgegnerin als unzulässig, weil die Antragsgegnerin nicht schlüssig dargelegt habe, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte kein Verschulden an der Versäumung des Einspruchstermins am 23.11.2022 treffe. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde gegen einen zweiten Versäumnisbeschluss, der einem weiteren Einspruch nicht unterliegt (§ 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 345 ZPO), nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei, hängt die Zulässigkeit der Beschwerde ab. Die Verschuldensfrage ist dabei nach denselben Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie ihre Richtigkeit unterstellt den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Vortrag nicht überspannt werden.

Gemessen hieran hat das OLG die Beschwerde der Antragsgegnerin zu Recht als unzulässig verworfen. Das OLG ist zutreffend von einem der Antragsgegnerin nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten ausgegangen. Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin am 23.11.2022 erkrankungsbedingt nicht zum Einspruchstermin vor dem AG erscheinen konnte. Dieser Umstand genügt aber nicht für die Annahme, die Verfahrensbevollmächtigte habe diesen Termin unverschuldet versäumt. Denn eine schuldhafte Säumnis liegt nach BGH-Rechtsprechung regelmäßig auch dann vor, wenn ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen. Nur wenn diese Mitteilung aus unverschuldeten Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, steht ihre Unterlassung der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Antragsgegnerin nicht schlüssig dargelegt, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte den Termin am 23.11.2022 ohne Verschulden versäumt habe. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Beschwerdebegründung zwar vorgetragen, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte nach dem plötzlichen Auftreten der gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehrfach erfolglos versucht habe, das AG vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen. Dabei handelt es sich jedoch entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht um hinreichend substantiierten Vortrag. Das Beschwerdegericht hat mit Recht moniert, dass die Antragsgegnerin bis zum Ende der Beschwerdebegründungsfrist keine konkreten Angaben zum Ablauf der Fahrt ihrer Verfahrensbevollmächtigten und deren Bemühungen um eine Kontaktaufnahme mit dem AG nach der krankheitsbedingten Fahrtunterbrechung gemacht habe. Ihrem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, wann genau und wie oft ihre Verfahrensbevollmächtigte unter welcher Telefonnummer versucht habe, das AG über ihre Verhinderung in Kenntnis zu setzen. Insbesondere habe die Antragsgegnerin nicht konkret behauptet, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte etwa versucht habe, die zuständige Geschäftsstelle des AG telefonisch zu erreichen, bzw. dass sie im Falle des Nichtzustandekommens eines Gesprächs mit der Geschäftsstelle die zentrale Rufnummer des AG gewählt habe.

Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist die bloße Behauptung mehrerer erfolgloser Kontaktversuche vor 10:00 Uhr so pauschal und ungenau, dass nicht beurteilt werden kann, ob die Verfahrensbevollmächtigte ausreichende Bemühungen entfaltet hat, um ihrer Obliegenheit, dem Gericht rechtzeitig ihre Verhinderung mitzuteilen, nachzukommen. Hierfür wäre zumindest die Angabe erforderlich gewesen, wann genau die Verfahrensbevollmächtigte welche Rufnummer kontaktiert hat. Denn hätte sie etwa eine falsche Telefonnummer gewählt oder erst wenige Minuten vor 10:00 Uhr Kontaktversuche unternommen, obwohl sie ihre Fahrt nach eigenen Angaben bereits um 9:00 Uhr unterbrochen hat, wären ihre Bemühungen ersichtlich unzureichend gewesen. Wie das OLG weiter richtig erkannt hat, enthält auch der (erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangene) Schriftsatz vom 27.2.2023 keinerlei Ergänzungen zu den von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | FamFG
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§ 117 Rechtsmittel in Ehe- und Familienstreitsachen
Feskorn in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

Kommentierung | ZPO
§ 345 Zweites Versäumnisurteil
Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
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Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

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