25.10.2022

Arzthaftungsrecht: Eingeschränkte Dokumentationspflicht vor Gabe eines Kontrastmittels

Zwar hatte der Sachverständige zunächst die fehlende Dokumentation einer Aufklärung als Behandlungsfehler gerügt. Später ging er aber davon aus, dass die Braunüle in der Radiologie noch einmal getestet worden sei. Dies sei unmittelbar vor Gabe des Kontrastmittels veranlasst worden. Dokumentationspflichtig sei das nicht.

LG Köln v. 30.3.2022 - 25 O 237/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der Ehemann der verstorbenen Klägerin. Die Beklagte ist die Trägerin eines Krankenhauses. Die verstorbene Klägerin war am 29.4.2019 mit dem Rettungswagen auf Veranlassung ihres behandelnden Orthopäden bei der Beklagten gegen 10:53 Uhr mit starken Nackenschmerzen und Kopfschmerzen eingeliefert worden. Ein orthopädisches Problem hatte der einweisende Arzt an diesem Tag nicht erkennen können. Er hatte die Patientin vielmehr wegen eines "Vernichtungskopfschmerzes" vom Freitag zuvor, dem 26.4.2019, der sich über den ganzen Kopf ausgebreitet und auch in den Nacken angestrahlt hatte, zwecks differenzialdiagnostischer Abklärung an die Beklagte überwiesen. Dies geschah auch deswegen, da die Klägerin zugleich auch über Übelkeit und Erbrechen geklagt hatte. Es bestand daher der Verdacht auf eine subarachnoidale Blutung.

In der Notaufnahme der Beklagten wurde der Patientin eine Venenverweilkanüle am rechten Handrücken angelegt. Da bei der Klägerin ein CT-Angio des Schädels durchgeführt werden musste, wurde der Patientin über diese Kanüle ein Röntgenkontrastmittel verabreicht. Bei der Kontrastmittelinjektion kam es zu einem Paravasat, in dem die Infusionsflüssigkeit unbeabsichtigt in das umliegende Gewebe der Vene gelangte. Die angelegte Venenverweilkanüle wurde nach Eintritt des Paravasats entfernt. Gleichwohl schwollen die Hand und der Unterarm der Patientin stark an. Wegen des Paravasats war die intravenöse Angiografie der Arterie vertebralis nicht möglich. Da die CT -Untersuchung den Verdacht auf eine Subarachnoidal-Blutung bestätigte, wurde die Verlegung in die Universitätsklinik veranlasst. Dort erfolgte eine weitere CT-Untersuchung mit erneuter intravenöser Kontrastmittelgabe. Das Paravasat führte bei der Patientin zu einer größeren Wunde am Handrücken.

Die Klägerin behauptete, die Verabreichung des Kontrastmittels in die falsch liegende Verweilkanüle sei behandlungsfehlerhaft erfolgt. Zudem erhob sie Aufklärungsrüge mit dem Vorwurf, sie sei über das Risiko der Entstehung eines Paravasats unzureichend aufgeklärt worden. Nach ihrem Tod machte der Kläger als ihr Rechtsnachfolger Ansprüche auf Schmerzensgeld i.H.v. mind. 3.000 € und auf erstattung der Rechtsanwaltskosten wegen des Vorwurfs von Behandlungsfehlern und unzureichender Aufklärung geltend.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Eine Haftung ergab sich weder aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag der Beklagten mit der verstorbenen Ehefrau des Klägers (§§ 280 Abs. 1, 630 a ff., 278 BGB) noch aufgrund einer rechtswidrigen Körperverletzung (§§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB).

Der Kläger hat nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht beweisen können, dass seine verstorbene Ehefrau von der Beklagten fehlerhaft behandelt worden war, § 286 ZPO. Zwar hatte der Sachverständige zunächst die fehlende Dokumentation einer Aufklärung als Behandlungsfehler gerügt. Später ging er aber davon aus, dass die Braunüle in der Radiologie noch einmal getestet worden sei. Dies sei unmittelbar vor Gabe des Kontrastmittels veranlasst worden. Dokumentationspflichtig sei das nicht.

Es war nach Auffassung des Sachverständigen auch trotz der Schmerzbekundungen der Patientin - diese blieben zwischen den Parteien im Übrigen streitig - richtig gewesen, die liegende, getestete Braunüle zu verwenden. Schmerzen könnten auch bei einer komplikationslosen Behandlung erfolgen. Die Äußerung von Schmerzen sei daher nicht so schwerwiegend, dass damit die Indikation für die Neuanlage einer weiteren Braunüle gegeben sei. Insgesamt gehe er davon aus, dass die Braunüle primär richtig gelegen habe und es dann zu einer Gefäßruptur gekommen sei. Auf erneutes Befragen, ob er in irgendeiner Weise ein behandlungsfehlerhaftes Verhalten erkennen oder vermuten könne, verneinte der Sachverständige dies.

Selbst für den Fall, dass eine Aufklärung über das Risiko eines Paravasats bei einer CT- Kontrastmittelgabe über eine Verweilkanüle nicht ordnungsgemäß erfolgt wäre, würde der Einwand der hypothetischen Einwilligung der von Beklagtenseite erhoben wurde, vorliegend durchgreifen. Einen Entscheidungskonflikt hatte die Klägerseite nicht benannt und plausibel machen können. Denn bei der Patientin war der Verdacht einer cerebralen Subarachnoidal- Blutung (SAB) gegeben, eine potentiell lebensbedrohliche Erkrankung einer möglichen Blutung im Hirnschädel, sodass bei einem klinisch begründeten Verdacht die entsprechende Diagnostik sofort notfallmäßig durchgeführt werden musste, um eine zielgerichtete Therapie einleiten zu können.

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