Ausnahmetatbestand der FluggastrechteVO: Annullierung eines Fluges bei annullierter Pauschalreise
BGH v. 4.6.2024 - X ZR 162/23
Der Sachverhalt:
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Ausgleichsleistungen nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Die beiden Kläger buchten bei Aida Cruises eine Kreuzfahrt, die vom 22.12.2021 bis 8.1.2022 stattfinden sollte. Im Reisepreis inbegriffen war der Rückflug von Las Palmas (Gran Canaria) mit einem anderen Luftfahrtunternehmen.
Am 2.1.2022 teilte Aida Cruises mit, das Schiff werde wegen einer Covid-19-Erkrankung zahlreicher Besatzungsmitglieder nicht auslaufen; aus dem Bereich Hannover stammende Passagiere würden am Folgetag von der Beklagten von Lissabon nach Hannover zurückbefördert. Die Beklagte führte die Rückflüge aufgrund eines Chartervertrags mit Aida Cruises aus. Der Rückflug, für den die Kläger ursprünglich eingeteilt waren, fand nicht statt. Die Kläger kamen mit einem Ersatzflug in Hannover mit einer Verspätung von mehr als 24 Stunden an.
Das AG hat die auf Ausgleichszahlung in Höhe von 400 € pro Person gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Revision der Beklagten hat der BGH zurückgewiesen.
Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b FluggastrechteVO bejaht. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO normierten Voraussetzungen für die Anwendung der Verordnung erfüllt sind.
Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Anwendung der Verordnung nicht nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO ausgeschlossen ist. Nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO gilt die Verordnung nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird. Dieser Ausnahmetatbestand ist im Streitfall nicht erfüllt. Unabhängig davon, ob im Streitfall eine Annullierung der Pauschalreise vorliegt, ist der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Klageansprüche nicht darauf gestützt werden, dass die Annullierung der Reise zugleich zur Annullierung des Fluges geführt hat, sondern darauf, dass ein trotz Annullierung der Reise vorgesehener Flug annulliert worden ist.
Der Wortlaut von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO könnte allerdings dahin verstanden werden, dass eine Anwendung der Fluggastrechteverordnung stets ausscheidet, wenn eine Pauschalreise annulliert wird, ohne dass die Annullierung eines Fluges hierfür ausschlaggebend war. Dieses Verständnis widerspräche jedoch der Systematik der Vorschrift.
Entgegen der Auffassung der Revision schließt Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO Konstellationen, in denen wegen eines Notfalls kurzfristig eine Beförderungsmöglichkeit geschaffen werden muss, nicht generell aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO knüpft an den oben dargelegten Ursachenzusammenhang zwischen der Annullierung einer Pauschalreise und der Annullierung eines Fluges an. Die Vorschrift differenziert hierbei nicht danach, aus welchem Grund die Pauschalreise annulliert worden ist. Deshalb kann sie nicht als Ausnahmeregelung für Notfälle interpretiert werden.
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass keine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO vorgelegen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei einem Flug, der als Teil einer Pauschalreise gebucht wurde, für die Beurteilung, ob eine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO gegeben ist, auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen als Leistungsträger abzustellen. In diesem Verhältnis ist die Rückbeförderung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall entgeltlich erfolgt.
Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Beförderung nicht aufgrund eines für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren reduzierten Tarifs im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO erfolgt ist. Das von der Revision angeführte Vorbringen der Beklagten vermag den Tatbestand von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO unabhängig von diesen Fragen jedenfalls deshalb nicht auszufüllen, weil sich daraus keine Reduzierung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO ergibt.
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BGH online
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Ausgleichsleistungen nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Die beiden Kläger buchten bei Aida Cruises eine Kreuzfahrt, die vom 22.12.2021 bis 8.1.2022 stattfinden sollte. Im Reisepreis inbegriffen war der Rückflug von Las Palmas (Gran Canaria) mit einem anderen Luftfahrtunternehmen.
Am 2.1.2022 teilte Aida Cruises mit, das Schiff werde wegen einer Covid-19-Erkrankung zahlreicher Besatzungsmitglieder nicht auslaufen; aus dem Bereich Hannover stammende Passagiere würden am Folgetag von der Beklagten von Lissabon nach Hannover zurückbefördert. Die Beklagte führte die Rückflüge aufgrund eines Chartervertrags mit Aida Cruises aus. Der Rückflug, für den die Kläger ursprünglich eingeteilt waren, fand nicht statt. Die Kläger kamen mit einem Ersatzflug in Hannover mit einer Verspätung von mehr als 24 Stunden an.
Das AG hat die auf Ausgleichszahlung in Höhe von 400 € pro Person gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Revision der Beklagten hat der BGH zurückgewiesen.
Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b FluggastrechteVO bejaht. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO normierten Voraussetzungen für die Anwendung der Verordnung erfüllt sind.
Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Anwendung der Verordnung nicht nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO ausgeschlossen ist. Nach Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO gilt die Verordnung nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird. Dieser Ausnahmetatbestand ist im Streitfall nicht erfüllt. Unabhängig davon, ob im Streitfall eine Annullierung der Pauschalreise vorliegt, ist der Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Klageansprüche nicht darauf gestützt werden, dass die Annullierung der Reise zugleich zur Annullierung des Fluges geführt hat, sondern darauf, dass ein trotz Annullierung der Reise vorgesehener Flug annulliert worden ist.
Der Wortlaut von Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO könnte allerdings dahin verstanden werden, dass eine Anwendung der Fluggastrechteverordnung stets ausscheidet, wenn eine Pauschalreise annulliert wird, ohne dass die Annullierung eines Fluges hierfür ausschlaggebend war. Dieses Verständnis widerspräche jedoch der Systematik der Vorschrift.
Entgegen der Auffassung der Revision schließt Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO Konstellationen, in denen wegen eines Notfalls kurzfristig eine Beförderungsmöglichkeit geschaffen werden muss, nicht generell aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Art. 3 Abs. 6 Satz 2 FluggastrechteVO knüpft an den oben dargelegten Ursachenzusammenhang zwischen der Annullierung einer Pauschalreise und der Annullierung eines Fluges an. Die Vorschrift differenziert hierbei nicht danach, aus welchem Grund die Pauschalreise annulliert worden ist. Deshalb kann sie nicht als Ausnahmeregelung für Notfälle interpretiert werden.
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass keine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO vorgelegen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei einem Flug, der als Teil einer Pauschalreise gebucht wurde, für die Beurteilung, ob eine kostenlose Beförderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 FluggastrechteVO gegeben ist, auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen als Leistungsträger abzustellen. In diesem Verhältnis ist die Rückbeförderung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall entgeltlich erfolgt.
Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Beförderung nicht aufgrund eines für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren reduzierten Tarifs im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO erfolgt ist. Das von der Revision angeführte Vorbringen der Beklagten vermag den Tatbestand von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO unabhängig von diesen Fragen jedenfalls deshalb nicht auszufüllen, weil sich daraus keine Reduzierung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 FluggastrechteVO ergibt.
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