27.11.2023

Barunterhaltsinteressen des in einem paritätischen Wechselmodell betreuten Kindes - Wem steht das Wahlrecht zu?

Dem Elternteil, der die Barunterhaltsinteressen des in einem paritätischen Wechselmodell betreuten Kindes verfolgt, steht ein Wahlrecht zu, ob er beim Familiengericht eine Entscheidung nach § 1628 Satz 1 BGB beantragt oder ob er beim Familiengericht auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1809 Abs. 1 Satz 1 BGB hinwirkt. Das Wahlrecht zwischen diesen Alternativen steht nicht dem Familiengericht zu, das vielmehr zunächst über einen Antrag nach § 1628 Satz 1 BGB entscheiden muss.

OLG Schleswig-Holstein v. 21.11.2023 - 8 UF 161/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind die seit 2014 getrenntlebenden Eltern der Kinder M. und E. Der Beteiligte zu 1) ist halbtags als angestellter Kameramann beschäftigt. Die Beteiligte zu 2) ist Lehrerin in Teilzeit mit einer Dreiviertelstelle. Beiden steht die elterliche Sorge für die Kinder gemeinsam zu. Die Pflege und Erziehung der Kinder erfolgt im "paritätischen Wechselmodell" mit wöchentlichem Wechsel. Der Beteiligte zu 1) forderte die Beteiligte zu 2) im Mai 2021 zur Erteilung einer Auskunft über ihre Einkünfte wegen Kindesunterhalts auf, woraufhin die Beteiligten zu 2) einen Zahlungsanspruch zurückwies.

Das Familiengericht hat der Beteiligten zu 2) im Verfahren der einstweiligen Anordnung aufgegeben, an die Kinder zu Händen des Beteiligten zu 1) monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 50 % des jeweiligen Mindestunterhalts zu zahlen, abzüglich eines Viertels des Kindergeldes. Die Beteiligte zu 2) berechnete einen "Ausgleichsanspruch" gegen sie i.H.v. 66 €. Daraufhin hat der Beteiligte zu 1) beantragt, ihm die Befugnis einzuräumen, die Kinder auch im Hauptsacheverfahren gegen die Beteiligte zu 2) wegen rückständigen und laufenden Kindesunterhalts zu vertreten. Es bestehe ein erhebliches Gefälle zwischen seinem Einkommen von 1.150 € netto monatlich und dem der Beteiligten zu 2) i.H.v. 3.200 €, sodass diese für die Kinder Barunterhalt zu seinen Händen zahlen müsse.

Die Beteiligte zu 2) war der Ansicht, der Beteiligte zu 1) genüge seiner Erwerbsobliegenheit mit einer Halbtagstätigkeit nicht. Unterhaltsansprüche ab Mai 2021 seien verwirkt. Hilfsweise hat sie beantragt, ihr den Teil der elterlichen Sorge allein zu übertragen, der sie berechtigt, die Kinder hinsichtlich laufenden Kindesunterhalts in einem Hauptsacheverfahren zu vertreten. Ganz hilfsweise hat sie beantragt, diesen Teil der elterlichen Sorge einem Ergänzungspfleger zu übertragen.

Das Familiengericht hat - ohne ausdrückliche Entscheidung über die Anträge der Beteiligten auf gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern - durch den angefochtenen Beschluss eine Ergänzungspflegschaft für die Kinder angeordnet und eine Fachanwältin für Familienrecht zur Ergänzungspflegerin bestimmt. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat das OLG den Beschluss geändert und den Beteiligten zu 1) zum alleinigen Vertreter der Kinder im Hauptsacheverfahren bestimmt.

Die Gründe:
Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht nach § 1628 Satz 1 BGB auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Nach § 1697a Abs. 1 BGB trifft das Gericht die Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Infolgedessen war die Entscheidung über die gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen auf Kindesunterhalt in einem Hauptsacheverfahren dem Beteiligten zu 1) zu übertragen. Dieser hatte geltend gemacht, dass die Beteiligte zu 2) wegen des Einkommensgefälles zu seinen Händen ergänzend Barunterhalt für die Kinder zahlen müsse. Die Beteiligte zu 2) hatte dagegen nicht geltend gemacht, dass der Beteiligte zu 1) zu ihren Händen Barunterhalt für die Kinder zahlen müsse. Die gebotene gerichtliche Klärung in einem Hauptsacheverfahren ist deshalb zu erwarten, wenn der Beteiligte zu 1) die Kinder allein vertreten kann. Eine solche Klärung kann (sinnvoll) nicht erfolgen, wenn die Kinder durch die Beteiligte zu 2) allein vertreten werden.

Berechtigte Interessen der Beteiligten zu 2) stehen dem nicht entgegen, insbesondere nicht der Gegensatz der Interessen der Beteiligten. Dieser liegt in der Natur der Sache und entspricht dem allgemeinen und sehr häufigen Interessengegensatz zwischen Eltern, wenn der Elternteil, in dessen Obhut sich die Kinder befinden, nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB Unterhaltsansprüche der Kinder gegen den anderen Elternteil geltend macht. Ein Gegensatz der Interessen des Beteiligten zu 1) und der Kinder besteht nicht. Der Beteiligte zu 1 beabsichtigt, Unterhaltsansprüche der Kinder gegen die Beteiligte zu 2) mit der Begründung geltend zu machen, dass während des Aufenthalts der Kinder bei ihm gemessen am Einkommen der Beteiligten zu 2) zu wenig Barunterhalt zur Verfügung stehe. Sollte der Beteiligte zu 1) in Vertretung der Kinder mit diesem Anliegen im Hauptsacheverfahren durchdringen, stünde den Kindern beim jeweiligen Aufenthalt bei ihren Eltern gleichmäßig Barunterhalt zur Verfügung. Die Übertragung der Entscheidung zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen umfasst auch die Vertretung der Kinder in einem gerichtlichen Verfahren.

Die Voraussetzungen des § 1809 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Ergänzungspflegschaft lagen nicht vor. Dem Elternteil, der die Barunterhaltsinteressen des in einem paritätischen Wechselmodell betreuten Kindes verfolgt, steht ein Wahlrecht zu, ob er beim Familiengericht eine Entscheidung nach § 1628 Satz 1 BGB beantragt oder ob er beim Familiengericht auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1809 Abs. 1 Satz 1 BGB hinwirkt. Das Wahlrecht zwischen diesen Alternativen steht nicht dem Familiengericht zu, das vielmehr zunächst über einen Antrag nach § 1628 Satz 1 BGB entscheiden muss.

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