Bei der Bemessung des Grads der Berufsunfähigkeit ist nicht immer nur der Zeitanteil einer nicht mehr ausübbaren Einzeltätigkeit entscheidend
BGH 19.7.2017, IV ZR 535/15Die Klägerin hatte im Februar 2007 bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und deren Besondere Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ) zugrunde lagen Nach § 1 Abs. 1 BB-BUZ erbringt die Beklagte Leistungen im Falle mindestens 50 %iger Berufsunfähigkeit. Nach § 2 Abs. 1 BB-BUZ liegt eine Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, die ärztlich nachzuweisen ist, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen nicht in der Lage ist, ihren Beruf, so wie er im gesunden Zustand ausgeübt worden ist, weiter auszuüben.
Bei Abschluss des Vertrags war die Klägerin als Hauswirtschafterin in Vollzeit in einer Anwaltskanzlei beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte dabei das Putzen der Kanzleiräume, das Erledigen von Einkäufen und das Planen und Durchführen des Mittagstischs für ca. 15-30 Personen.
Im März 2007 stürzte die Klägerin eine Treppe hinunter und war danach für längere Zeit krankgeschrieben. Sie befand sich in der Folgezeit u.a. wegen psychischer Probleme sowie Rückenbeschwerden in ärztlicher Behandlung. Seit 2011 ist sie nur noch in einem Privathaushalt tätig. Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei in ihrem Beruf zu mehr als 50 % berufsunfähig. Aufgrund einer somatoformen Schmerzstörung könne sie nur noch drei Stunden am Tag als Haushaltshilfe arbeiten. Sie machte im Revisionsverfahren, die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab April 2007 und die Feststellung ihrer Beitragsfreiheit geltend. Die Revision der Klägerin war entgegen der Entscheidungen in den Vorinstanzen erfolgreich.
Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat bei seiner Befassung mit dem unfallchirurgisch-orthopädischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. einen nicht zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt.
Der Sachverständige hatte angenommen, dass die Funktionseinschränkungen aus einem bei der Klägerin vorliegenden HWS- und LWS-Syndrom lediglich mit 20 % zu bewerten sei. Er begründete dies damit, dass der Klägerin lediglich längerfristige wirbelsäulenbelastende Arbeiten nicht mehr möglich seien. Solche Tätigkeiten nähmen aber nur einen geringen zeitlichen Anteil an der beschrieben Tätigkeit der Klägerin ein. Das Heben schwerer Lasten von 5 bis 10 kg beim Einkaufen benötige weniger Zeit, als das Kochen und Putzen. Es handele sich nicht um eine sechsstündige Dauerbelastung.
Es steht jedoch fest, dass zu den wesentlichen Aufgaben der Klägerin aufgrund ihres Anstellungsvertrags die vollständige Durchführung des Mittagstischs sowie damit unmittelbar verbunden die Erledigung des Einkaufs gehörte. Angesichts des ihr zur Verfügung stehenden Budgets musste die Klägerin ihren Wocheneinkauf auf dem Großmarkt tätigen, wo es viele Lebensmittel nur in Großpackungen von mehr als 5-10 kg zu kaufen gibt. Außerdem musste sie die Einkäufe in den Keller tragen und dabei die Strecke mehrmals zurücklegen. Der wöchentliche Großeinkauf ist untrennbarer Bestandteil der von der Klägerin arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung der Betreibung der Kantine. Soweit der Klägerin nicht mehr die Einkäufe möglich gewesen sein sollten, war ihr auch die Führung der Kantine nicht mehr möglich. Sie hätte die Pflichten in diesem Bereich vollständig nicht mehr erfüllen können.
Für die Bemessung des Grads der Berufsunfähigkeit darf nicht nur auf den Zeitanteil einer einzelnen Tätigkeit abgestellt werden, die die versicherte Person nicht mehr ausüben kann, wenn die Einzelleistung untrennbar zu einem beruflichen Gesamtvorgang gehört. Das Berufungsgericht muss im weiteren Verfahren prüfen, ob und inwieweit sich die Beeinträchtigungen der Klägerin auf die Fähigkeit der Durchführung der Kantine auswirken und ob der Klägerin aufgrund der Einschränkungen bei anderen Tätigkeiten eine mehr als 50 %ige Berufsunfähigkeit attestiert werden kann.
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