31.10.2023

Berliner Obergrenze für Eltern-Zuzahlungen für Betreuung in Kitas unwirksam

Die in Berlin für zusätzliche Leistungen freier Träger von Kindertagesstätten geltende strikte Obergrenze für monatliche Zuzahlungen der Eltern ist mit dem Anspruch der freien Jugendhilfeträger auf gleichheitsgerechte Beteiligung am staatlichen System der Kindertagesstättenfinanzierung unvereinbar (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 3 ff. SGB VIII).

BVerwG v. 26.10.2023 - 5 C 6.22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist als Trägerin der freien Jugendhilfe anerkannt und betreibt in Berlin u.a. drei Kindertagesstätten mit rd. 400 Betreuungsplätzen. Ihr Konzept sieht nach ihren Angaben eine bilinguale frühkindliche bzw. vorschulische Bildung sowie einen höheren Personalschlüssel vor, die einen höheren Aufwand bedingten, als er in anderen Kindertagesstätten üblich sei. Diesen höheren Finanzbedarf hat die Klägerin durch Zuzahlungen der Eltern gedeckt.

Seit 2018 ist in Anlage 10 Abs. 6 der Berliner Rahmenvereinbarung über die Finanzierung und Leistungssicherstellung der Tageseinrichtungen (RV Tag) vorgesehen, dass freie Träger mit den Eltern nur noch Zuzahlungen von maximal 90 € pro Kind und Monat inkl. 30 € für Frühstück und Vesper vereinbaren dürfen. Nachdem die Klägerin dieser Regelung nicht nachgekommen war, kürzte das beklagte Land die ihr zustehende monatliche Betriebskostenerstattung für die erbrachten Betreuungsleistungen.

VG und OVG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin gab das BVerwG der Klage statt.

Die Gründe:
Vorrangiger bundesrechtlicher Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Finanzierungssysteme der Länder im Bereich der Kindertageseinrichtungen ist, wie das BVerwG bereits im Jahr 2010 entschieden hat, der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Hierbei ist insbesondere der Grundsatz der Trägerpluralität (§ 3 Abs. 1 SGB VIII) zu beachten. Danach darf bei der Ausgestaltung der Förderung grundsätzlich nicht nach Wertorientierungen oder Inhalten, Methoden und Arbeitsformen der freien Träger differenziert werden.

Diese sind vielmehr wegen der ihnen gewährleisteten Autonomie (§ 4 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) befugt, in ihrem pädagogischen Leistungsangebot auch über das hinauszugehen, was Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder andere freie Träger für erforderlich halten. Dies schließt das Recht ein, die hierfür notwendigen und nicht durch die öffentliche Förderung abgedeckten Mittel durch Zuzahlungen von Seiten der Eltern zu erheben, wenn ein deren Wunsch- und Wahlrecht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) entsprechender Bedarf besteht.

Die in der RV Tag, die das BVerwG als untergesetzliche Rechtsnorm (Normvertrag) eingeordnet hat, vorgesehene strikte Zuzahlungsbegrenzung hält den vor diesem Hintergrund erforderlichen strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand. Sie verfolgt zwar einen legitimen Zweck. Denn sie soll der Absicherung der in Berlin eingeführten (weitgehenden) Elternbeitragsfreiheit dienen und zur Verwirklichung von Chancengleichheit bei der Inanspruchnahme von Tagesstättenplätzen die ökonomischen Zugangsschwellen möglichst niedrig halten. Zur Erreichung dieses Zwecks ist sie auch geeignet und erforderlich.

Die Regelung erweist sich allerdings als unangemessen, weil sie das vom Bundesgesetzgeber mit einem hohen Rang versehene Rechtsgut der Trägerpluralität bei Überschreiten der Zuzahlungshöchstgrenze ausnahmslos zurücktreten lässt. Sie berücksichtigt nicht, ob der jeweilige Träger zur Verwirklichung seiner gewählten pädagogischen Zielsetzung zwingend auf eigene Einnahmen angewiesen ist, die er durch Zuzahlungen decken will. Ob dies bei belastbaren Erkenntnissen über eine relevante Zahl von Fällen, in denen Tagesstättenplätze durch hohe Zuzahlungen dem chancengleichen Zugang entzogen werden, anders zu bewerten wäre, war hier nicht zu entscheiden.

Die Unwirksamkeit der Regelung (Anlage 10 Abs. 6 RV Tag) führt auch dazu, dass es an der Rechtsgrundlage für die vom beklagten Land vorgenommene Kürzung der Kostenerstattung (§ 7 Abs. 2 RV Tag) fehlt. Das beklagte Land war daher zur Zahlung einbehaltener Gelder i.H.v. 200.000 € an die Klägerin zu verurteilen.

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BVerwG PM Nr. 75 vom 26.10.2023
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