Dauerverbleibensanordnung kann Adoption nicht ersetzen
BGH v. 6.12.2023 - XII ZB 485/21
Der Sachverhalt:
Das heute sechsjährige Kind kam als Frühchen einer drogenabhängigen Kasachin - heute unbekannten Aufenthalts - mit Entzugserscheinungen auf die Welt. Es wurde im April 2017 vom Jugendamt in Obhut genommen, nachdem der Kontakt zu der Mutter abgerissen war. Im Anschluss wurde Pflegschaft und im Mai 2017 Vormundschaft angeordnet. Das zum Vormund bestellte Jugendamt stellte anschließend einen Antrag zur Adoptionsvermittlung. Daraufhin wurde das Kind am 21.7.2017 in Adoptionspflege gegeben. Es lebt seitdem bei seinen Adoptivpflegeeltern. Das Kind wurde am Herzen operiert.
Der Kindesvater ist türkischer Staatsangehöriger. Auch er war drogenabhängig und seit 1994 mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, inklusive Haft. Seit Juni 2019 befand er sich zum Drogenentzug in einer forensischen Psychiatrie. Sein Aufenthalt im Maßregelvollzug war bis September 2022 vorgesehen. Er ist Vater zweier weiterer Kinder einer anderen Frau, die in der Türkei leben. Die Kindesmutter hatte ihn zunächst nicht als Kindesvater benannt. Seine rechtliche Vaterschaft wurde erst 2019 festgestellt. Sorgeerklärungen haben die Eltern nicht abgegeben.
Die Adoptivpflegeeltern hatten im September 2018 die Adoption beantragt, wozu der Kindesvater seine Einwilligung verweigerte, wobei er mit einem Verbleib des Kindes bei den Adoptivpflegeeltern einverstanden war. Das Jugendamt hat daraufhin im Namen des Kindes die Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters in die Adoption beantragt. Zwei auf Initiative des Vaters parallel geführte Verfahren auf Umgang und Auskunftserteilung wurden im Hinblick auf das laufende Adoptionsverfahren ausgesetzt.
Das AG hat die Einwilligung des Kindesvaters in die Adoption antragsgemäß ersetzt. Das OLG hat den Antrag im Beschwerdeverfahren zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde der Anzunehmenden hat der BGH diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Verfahren unterliegt als Adoptionssache nach § 186 Nr. 2 FamFG dem Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 26 FamFG. Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob einer der Ersetzungsgründe des § 1748 BGB vorliegt, und ist nicht an die Begründung des Antrags gebunden. Auch die Interessenabwägung nach § 1748 Abs. 4 BGB erfordert eine insoweit vollständige und von Amts wegen durchzuführende Sachverhaltsaufklärung. Ist eine gerichtliche Anhörung des Kindes insbesondere mit Rücksicht auf dessen Alter durchführbar, darf sie in einer Adoptionssache nicht deswegen unterbleiben, weil das Kind nicht darüber informiert ist, dass es von seinen sozialen Eltern abweichende (leibliche) Eltern hat.
Die Ersetzung der Einwilligung des Vaters in die Adoption nach § 1748 Abs. 4 BGB verlangt ähnlich § 1748 Abs. 1 bis 3 BGB eine Berücksichtigung von dessen Vorverhalten. Eine Ersetzung der Einwilligung kommt nur dann in Betracht, wenn der Vater das Scheitern eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu verantworten hat und die Adoption einen so erheblichen Vorteil für das Kind bieten würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Verwandtschaftsbandes nicht bestehen würde. Bei der Abwägung der Kindesbelange mit dem Elternrecht des leiblichen Vaters ist zu beachten, dass die Adoption nicht (mehr) zwangsläufig mit einem Kontaktabbruch zwischen leiblichem Vater und Kind verbunden ist. Doch auch wenn dem Vater nur ein weniger schweres Fehlverhalten gegenüber dem Kind vorzuwerfen ist, kann die Ersetzung der Einwilligung geboten sein, wenn er auf Dauer nicht für eine Übertragung des Sorgerechts in Betracht kommt.
Die angefochtene Entscheidung wurde diesen Maßstäben jedoch nicht in vollem Umfang gerecht. So ist das Beschwerdegericht nicht der Frage nachgegangen, ob der Vater - abgesehen von einem von der Adoption losgelöst möglichen persönlichen Kontakt mit dem Kind - voraussichtlich auf Dauer für eine Übertragung des Sorgerechts in Betracht kommt und damit elterliche Verantwortung wahrnehmen kann. Die Rechtsbeschwerde machte insofern zu Recht geltend, dass es nicht dem Kindeswohl entspricht, wenn das Kind etwa während der gesamten Minderjährigkeit einen Vormund hätte, während die Pflegeeltern nicht Inhaber der elterlichen Sorge wären. Entgegen der Auffassung des OLG wird dem elementaren Interesse des Kindes an einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung nicht schon durch die Möglichkeit einer Dauerverbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB hinreichend Rechnung getragen.
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Aufsatz:
Pflichtberatung vor Stiefkindadoptionen seit 1.4.2021
Bernhard Knittel, FamRZ 2023, 1516
Aktionsmodul Familienrecht:
Online-Unterhaltsrechner mit jeweils den aktuellen Werten der Düsseldorfer Tabelle. Top Inhalte online: FamRZ und FamRZ-Buchreihe von Gieseking, FamRB von Otto Schmidt, "Gerhardt" von Wolters Kluwer und vielen Standardwerken. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Für Fachanwälte mit Beiträgen zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Das heute sechsjährige Kind kam als Frühchen einer drogenabhängigen Kasachin - heute unbekannten Aufenthalts - mit Entzugserscheinungen auf die Welt. Es wurde im April 2017 vom Jugendamt in Obhut genommen, nachdem der Kontakt zu der Mutter abgerissen war. Im Anschluss wurde Pflegschaft und im Mai 2017 Vormundschaft angeordnet. Das zum Vormund bestellte Jugendamt stellte anschließend einen Antrag zur Adoptionsvermittlung. Daraufhin wurde das Kind am 21.7.2017 in Adoptionspflege gegeben. Es lebt seitdem bei seinen Adoptivpflegeeltern. Das Kind wurde am Herzen operiert.
Der Kindesvater ist türkischer Staatsangehöriger. Auch er war drogenabhängig und seit 1994 mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, inklusive Haft. Seit Juni 2019 befand er sich zum Drogenentzug in einer forensischen Psychiatrie. Sein Aufenthalt im Maßregelvollzug war bis September 2022 vorgesehen. Er ist Vater zweier weiterer Kinder einer anderen Frau, die in der Türkei leben. Die Kindesmutter hatte ihn zunächst nicht als Kindesvater benannt. Seine rechtliche Vaterschaft wurde erst 2019 festgestellt. Sorgeerklärungen haben die Eltern nicht abgegeben.
Die Adoptivpflegeeltern hatten im September 2018 die Adoption beantragt, wozu der Kindesvater seine Einwilligung verweigerte, wobei er mit einem Verbleib des Kindes bei den Adoptivpflegeeltern einverstanden war. Das Jugendamt hat daraufhin im Namen des Kindes die Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters in die Adoption beantragt. Zwei auf Initiative des Vaters parallel geführte Verfahren auf Umgang und Auskunftserteilung wurden im Hinblick auf das laufende Adoptionsverfahren ausgesetzt.
Das AG hat die Einwilligung des Kindesvaters in die Adoption antragsgemäß ersetzt. Das OLG hat den Antrag im Beschwerdeverfahren zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde der Anzunehmenden hat der BGH diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Verfahren unterliegt als Adoptionssache nach § 186 Nr. 2 FamFG dem Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 26 FamFG. Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob einer der Ersetzungsgründe des § 1748 BGB vorliegt, und ist nicht an die Begründung des Antrags gebunden. Auch die Interessenabwägung nach § 1748 Abs. 4 BGB erfordert eine insoweit vollständige und von Amts wegen durchzuführende Sachverhaltsaufklärung. Ist eine gerichtliche Anhörung des Kindes insbesondere mit Rücksicht auf dessen Alter durchführbar, darf sie in einer Adoptionssache nicht deswegen unterbleiben, weil das Kind nicht darüber informiert ist, dass es von seinen sozialen Eltern abweichende (leibliche) Eltern hat.
Die Ersetzung der Einwilligung des Vaters in die Adoption nach § 1748 Abs. 4 BGB verlangt ähnlich § 1748 Abs. 1 bis 3 BGB eine Berücksichtigung von dessen Vorverhalten. Eine Ersetzung der Einwilligung kommt nur dann in Betracht, wenn der Vater das Scheitern eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu verantworten hat und die Adoption einen so erheblichen Vorteil für das Kind bieten würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Verwandtschaftsbandes nicht bestehen würde. Bei der Abwägung der Kindesbelange mit dem Elternrecht des leiblichen Vaters ist zu beachten, dass die Adoption nicht (mehr) zwangsläufig mit einem Kontaktabbruch zwischen leiblichem Vater und Kind verbunden ist. Doch auch wenn dem Vater nur ein weniger schweres Fehlverhalten gegenüber dem Kind vorzuwerfen ist, kann die Ersetzung der Einwilligung geboten sein, wenn er auf Dauer nicht für eine Übertragung des Sorgerechts in Betracht kommt.
Die angefochtene Entscheidung wurde diesen Maßstäben jedoch nicht in vollem Umfang gerecht. So ist das Beschwerdegericht nicht der Frage nachgegangen, ob der Vater - abgesehen von einem von der Adoption losgelöst möglichen persönlichen Kontakt mit dem Kind - voraussichtlich auf Dauer für eine Übertragung des Sorgerechts in Betracht kommt und damit elterliche Verantwortung wahrnehmen kann. Die Rechtsbeschwerde machte insofern zu Recht geltend, dass es nicht dem Kindeswohl entspricht, wenn das Kind etwa während der gesamten Minderjährigkeit einen Vormund hätte, während die Pflegeeltern nicht Inhaber der elterlichen Sorge wären. Entgegen der Auffassung des OLG wird dem elementaren Interesse des Kindes an einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung nicht schon durch die Möglichkeit einer Dauerverbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB hinreichend Rechnung getragen.
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Bernhard Knittel, FamRZ 2023, 1516
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