17.08.2023

Dieselskandal: Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 148 Abs. 1 ZPO bis zum Ausgang eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens

Geht der Hersteller eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs mit der Anfechtungsklage gegen die nachträgliche Anordnung von Nebenbestimmungen zu einer EG-Typgenehmigung vor, ist der Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für einen Zivilrechtsstreit nicht vorgreiflich, in dem der Käufer des Fahrzeugs den Fahrzeughersteller wegen einer deliktischen Schädigung in Anspruch nimmt.

BGH v. 24.7.2023 - VIa ZB 10/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger, der die Beklagte als Kraftfahrzeugherstellerin und -verkäuferin wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf deliktischen Schadensersatz in Anspruch nimmt, wendet sich gegen die Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 148 Abs. 1 ZPO.

Der Kläger erwarb im Jahr 2016 von der Beklagten einen Neuwagen des Typs Mercedes-Benz V 220 D. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 und einem SCR-Katalysator zur Abgasreinigung mittels einer Harnstofflösung ("AdBlue") ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde eine EG-Typgenehmigung nach der Abgasnorm Euro 6 erteilt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erließ 2018 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung nachträgliche Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung für bestimmte von der Beklagten hergestellte Fahrzeuge, darunter das Fahrzeug des Klägers, und ordnete den Rückruf der Fahrzeuge an. Die Beklagte focjt die Bescheide durch Widerspruch und Klage an. Das Verfahren hierzu ist beim VG Schleswig rechtshängig. Ein von der Beklagten für die vom Rückruf betroffenen Fahrzeuge entwickeltes, vom KBA freigegebenes Software-Update wurde auf das vom Kläger erworbene Fahrzeug aufgespielt. Am 20.12.2019 veräußerte der Kläger das Fahrzeug weiter.

Der Kläger macht geltend, das KBA habe beanstandet, dass die Motorsteuerungssoftware seines Fahrzeugs die Zufuhr von "AdBlue" nach Messung einer bestimmten Stickoxidmenge ohne technische Notwendigkeit stark reduziere. Er begehrt nach einer Teilerledigungserklärung im Wesentlichen noch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von rd. 15.500 € nebst Prozesszinsen. Die Beklagte vertritt unter näheren Darlegungen die Auffassung, die vom KBA beanstandete Steuerung des SCR-Systems sei rechtmäßig.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG hat den Rechtsstreit gem. § 148 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des vor dem VG Schleswig geführten Verfahrens ausgesetzt. Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und ordnete die Fortsetzung des Verfahrens an.

Die Gründe:
Eine die Aussetzung gem. § 148 Abs. 1 ZPO rechtfertigende Vorgreiflichkeit der zu erwartenden Entscheidung des VG Schleswig im Verfahren 3 A 52/21 für den vorliegenden Rechtsstreit besteht nicht.

Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus. Vorgreiflichkeit ist insbesondere gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt. Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt dagegen die Aussetzung der Verhandlung nicht.

Das OLG ist vorliegend der Ansicht, eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB komme in Betracht, wenn die (ursprünglich) in dem Fahrzeug vorhandene, vom KBA beanstandete Steuerung des SCR-Systems als unzulässige Abschalteinrichtung gem. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sein sollte; andernfalls scheide eine Haftung aus. Über die demnach maßgebliche Frage der Rechtmäßigkeit der SCR-Steuerung wird im Verfahren über die Anfechtungsklage der hiesigen Beklagten aber nicht mit Rechtskraftwirkung entschieden. Eine Vorgreiflichkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung i.S.v. § 148 Abs. 1 ZPO ergibt sich auch nicht mittelbar aus den von ihr betroffenen Verwaltungsakten, da diesen in der Frage der Rechtmäßigkeit der SCR-Steuerung ebenfalls keine Bindungswirkung zukommt.

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