Dieselskandal: Zur Darlegungs- und Beweislast für das vom beklagten Hersteller Erlangte
BGH v. 12.9.2022 - VIa ZR 122/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger erwarb im Juni 2015 bei einem Fahrzeughändler unter Verwendung eines Bestellformulars ein Neufahrzeug des Typs VW Touran Comfortline 1,6 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.
Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von rd. 34.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen. Daneben hat er die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr teilweise statt und verurteilte die Beklagte, an den Kläger rd. 27.100 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat zwar rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzgl. einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne. Ebenfalls noch zutreffend ist das OLG von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sog. "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht teleologisch zu reduzieren. Die Feststellungen des OLG tragen indessen nicht die Annahme, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf des Klägers i.S.d. § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" hat.
Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat. Liegt dem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen. Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang. Gemessen daran fehlt es an konkreten Feststellungen des OLG zu den vertraglichen Beziehungen der Parteien und des am Fahrzeugkauf beteiligten Fahrzeughändlers.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass von der dem OLG zunächst obliegenden Klärung, wer Vertragspartner des Klägers geworden ist, das Vorgehen bei der Ermittlung des vom Kläger nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB Erlangten abhängen wird: Sofern der Kläger den Kaufvertrag über das Fahrzeug direkt mit der Beklagten - vertreten durch den Händler - geschlossen hat, besteht der nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB von der Beklagten erlangte Vermögensvorteil in dem Anspruch gegen den Kläger auf Zahlung des vereinbarten Bruttokaufpreises. Eine von der Beklagten an den Händler als ihren Vertreter gezahlte Vertriebsprovision wäre nicht in Abzug zu bringen. Auch insoweit handelte es sich um Aufwand der Beklagten, der nur als Entreicherung berücksichtigt werden könnte, auf die sich die Beklagte nach § 818 Abs. 4, § 819 BGB nicht berufen kann. Da die Beklagte im Falle des Direktkaufs die Forderung aus Kaufvertrag gegen den Kläger erlangt hätte, wäre es für die Höhe des Anspruchs des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte unerheblich, wenn der Händler den Kaufpreis für die Beklagte vereinnahmt, bei der Weitergabe des für die Beklagte eingezogenen Kaufpreises gegen eine Forderung der Beklagten auf Herausgabe des vom Händler Erlangten nach § 667 BGB mit einem eigenen Anspruch auf Gewähr einer Vertriebsprovision aus dem zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsverhältnis aufgerechnet und entsprechend nur einen um die Vertriebsprovision verringerten Betrag an die Beklagte weitergeleitet hätte. Die in der Aufrechnung liegende Verkürzung des Leistungswegs beträfe auch dann nur den Aufwand der Beklagten.
Stellt das OLG fest, dass der Kläger das Fahrzeug im Wege einer Absatzkette gekauft hat, hätte es bei der Ermittlung des von der Beklagten Erlangten wiederum vom Händlereinkaufspreis einschließlich der gesetzlichen Umsatzsteuer auszugehen. Eine die gesetzliche Umsatzsteuer betreffende abweichende Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Händler, die dazu führte, dass die Umsatzsteuer nicht untrennbarer Teil der vom Händler der Beklagten aus dem Kaufvertrag über das Fahrzeug geschuldeten Leistung wäre, oder einen entsprechenden Handelsbrauch hätte die Beklagte darzulegen und zu beweisen. Davon abgesehen obläge es allerdings dem Kläger als dem für den Grund und die Höhe eines Restschadensersatzanspruchs nach §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB darlegungs- und beweispflichtigen Geschädigten, Vortrag zu dem nach Eintritt der Verjährung noch durchsetzbaren Umfang seines Restschadensersatzanspruchs und damit zu dem Gegenstand und der Höhe des vom Schädiger erlangten Vermögensvorteils zu halten. Dies schließt Vortrag zu einer Händlermarge, die zur Ermittlung des Händlereinkaufspreises von dem vom Geschädigten gezahlten Kaufpreis abzuziehen ist, mit ein. Zur Verteidigung kann sich der beklagte Hersteller gegenüber dem Tatsachenvortrag des Geschädigten im Grundsatz auf ein einfaches Bestreiten beschränken. Eine sekundäre Darlegungslast trifft ihn nur, wenn der Geschädigte keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist jeden falls nicht erfüllt, solange der Geschädigte sich die erforderlichen Informationen durch eine Nachfrage bei seinem Verkäufer selbst beschaffen kann.
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Kurzbeitrag:
BGH: Verweigerung des Vorteilsausgleichs durch den Geschädigten ("Diesel-Skandal")
ZIP 2022, R4
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BGH online
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger erwarb im Juni 2015 bei einem Fahrzeughändler unter Verwendung eines Bestellformulars ein Neufahrzeug des Typs VW Touran Comfortline 1,6 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.
Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von rd. 34.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen. Daneben hat er die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr teilweise statt und verurteilte die Beklagte, an den Kläger rd. 27.100 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat zwar rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzgl. einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne. Ebenfalls noch zutreffend ist das OLG von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sog. "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht teleologisch zu reduzieren. Die Feststellungen des OLG tragen indessen nicht die Annahme, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf des Klägers i.S.d. § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" hat.
Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat. Liegt dem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen. Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang. Gemessen daran fehlt es an konkreten Feststellungen des OLG zu den vertraglichen Beziehungen der Parteien und des am Fahrzeugkauf beteiligten Fahrzeughändlers.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass von der dem OLG zunächst obliegenden Klärung, wer Vertragspartner des Klägers geworden ist, das Vorgehen bei der Ermittlung des vom Kläger nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB Erlangten abhängen wird: Sofern der Kläger den Kaufvertrag über das Fahrzeug direkt mit der Beklagten - vertreten durch den Händler - geschlossen hat, besteht der nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB von der Beklagten erlangte Vermögensvorteil in dem Anspruch gegen den Kläger auf Zahlung des vereinbarten Bruttokaufpreises. Eine von der Beklagten an den Händler als ihren Vertreter gezahlte Vertriebsprovision wäre nicht in Abzug zu bringen. Auch insoweit handelte es sich um Aufwand der Beklagten, der nur als Entreicherung berücksichtigt werden könnte, auf die sich die Beklagte nach § 818 Abs. 4, § 819 BGB nicht berufen kann. Da die Beklagte im Falle des Direktkaufs die Forderung aus Kaufvertrag gegen den Kläger erlangt hätte, wäre es für die Höhe des Anspruchs des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte unerheblich, wenn der Händler den Kaufpreis für die Beklagte vereinnahmt, bei der Weitergabe des für die Beklagte eingezogenen Kaufpreises gegen eine Forderung der Beklagten auf Herausgabe des vom Händler Erlangten nach § 667 BGB mit einem eigenen Anspruch auf Gewähr einer Vertriebsprovision aus dem zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsverhältnis aufgerechnet und entsprechend nur einen um die Vertriebsprovision verringerten Betrag an die Beklagte weitergeleitet hätte. Die in der Aufrechnung liegende Verkürzung des Leistungswegs beträfe auch dann nur den Aufwand der Beklagten.
Stellt das OLG fest, dass der Kläger das Fahrzeug im Wege einer Absatzkette gekauft hat, hätte es bei der Ermittlung des von der Beklagten Erlangten wiederum vom Händlereinkaufspreis einschließlich der gesetzlichen Umsatzsteuer auszugehen. Eine die gesetzliche Umsatzsteuer betreffende abweichende Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Händler, die dazu führte, dass die Umsatzsteuer nicht untrennbarer Teil der vom Händler der Beklagten aus dem Kaufvertrag über das Fahrzeug geschuldeten Leistung wäre, oder einen entsprechenden Handelsbrauch hätte die Beklagte darzulegen und zu beweisen. Davon abgesehen obläge es allerdings dem Kläger als dem für den Grund und die Höhe eines Restschadensersatzanspruchs nach §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB darlegungs- und beweispflichtigen Geschädigten, Vortrag zu dem nach Eintritt der Verjährung noch durchsetzbaren Umfang seines Restschadensersatzanspruchs und damit zu dem Gegenstand und der Höhe des vom Schädiger erlangten Vermögensvorteils zu halten. Dies schließt Vortrag zu einer Händlermarge, die zur Ermittlung des Händlereinkaufspreises von dem vom Geschädigten gezahlten Kaufpreis abzuziehen ist, mit ein. Zur Verteidigung kann sich der beklagte Hersteller gegenüber dem Tatsachenvortrag des Geschädigten im Grundsatz auf ein einfaches Bestreiten beschränken. Eine sekundäre Darlegungslast trifft ihn nur, wenn der Geschädigte keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist jeden falls nicht erfüllt, solange der Geschädigte sich die erforderlichen Informationen durch eine Nachfrage bei seinem Verkäufer selbst beschaffen kann.
Kurzbeitrag:
BGH: Verweigerung des Vorteilsausgleichs durch den Geschädigten ("Diesel-Skandal")
ZIP 2022, R4
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