Differenzschaden in Dieselverfahren: Anrechnung des Restwerts eines Fahrzeugs unabhängig von Weiterveräußerung
BGH v. 27.11.2023 - VIa ZR 159/22Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb Anfang Juli 2013 für 31.000 € von einem Dritten ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz C 220 CDI, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle erfolgt mittels Abgasrückführung und in Abhängigkeit von Temperaturen (Thermofenster). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) veranlasste in Bezug auf das Fahrzeug des Klägers keinen Rückruf. Gleichwohl bot die Beklagte ein vom KBA freigegebenes Software-Update im Zuge einer freiwilligen Service-Maßnahme an.
Der Kläger verlangte gestützt auf die Behauptung, das Fahrzeug verfüge neben dem Thermofenster über eine auf die Prüfstandsbedingungen optimierte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), von der Beklagten zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Zinsen abzgl. des Werts der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen. Ferner beantragte der Kläger die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und ihrer Schadensersatzpflicht.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das OLG eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das OLG eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat.
Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße i.S.d. Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.
Das OLG hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sog. "großen" Schadensersatzes verneint. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann. Demzufolge hat das OLG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
Der Beschluss war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Sollte das OLG im wiedereröffneten Berufungsverfahren die Voraussetzungen für einen Differenzschaden des Klägers bejahen, wird es zu beachten haben, dass der Restwert des Fahrzeugs nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) im Wege der Vorteilsausgleichung ohne Rücksicht darauf anzurechnen ist, ob er durch eine Weiterveräußerung realisiert worden ist.
Rechtsprechung:
Zum Differenzschaden in Dieselverfahren
BGH vom 20.07.2023 - III ZR 267/20
ZIP 2023, 1903
ZIP0059108
Rechtsprechung:
Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB bei Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung ("Diesel-Skandal")
BGH vom 26.06.2023 - VIA ZR 335/21
ZIP 2023, 1421
ZIP0056882
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