Eigenbedarf für Mischnutzung: Vermieter muss lediglich einen beachtenswerten Nachteil begründen
BGH v. 10.4.2024 - VIII ZR 286/22
Der Sachverhalt:
Die Beklagten bewohnen seit 1977 eine Dreizimmerwohnung in Berlin. Sie hatten zuletzt im September 1982 einen schriftlichen Mietvertrag abgeschlossen, wonach das Mietverhältnis am 1.7.1982 beginnen sollte. Es war zudem eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten vorgesehen, wenn seit der Überlassung des Wohnraums zehn Jahre vergangen sind. Im Juli 2013 wurde das Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Im Jahr 2018 erwarb der Kläger das Eigentum an der Wohnung.
Am 24.1.2021 erklärte der Kläger unter Berufung auf § 573 Abs. 1 BGB die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit den Beklagten zum 31.10.2021. Zur Begründung führte er u.a. aus, die Räume künftig überwiegend für seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt zu nutzen und dort auch seinen Wohnsitz begründen zu wollen, nachdem das Mietverhältnis über die bisher genutzten Kanzlei- und Wohnräume zu diesem Zeitpunkt ende. Dieser Wunsch stelle ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses dar ("Betriebsbedarf").
Mit Schreiben vom 26.8.2021 teilte das Bezirksamt dem Kläger mit, dass die Genehmigung der beantragten gewerblichen Zweckentfremdung der Wohnung beabsichtigt sei, sofern es sich bei dieser um die Hauptwohnung des Klägers handele. Mit der am 17.9.2021 zugestellten Klageschrift vom 23.8.2021 nahm der Kläger die Beklagten auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch. Zudem hat er vorsorglich erneut die ordentliche Kündigung wegen "Betriebsbedarfs" erklärt.
AG und LG haben die Räumungsklage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als hinsichtlich des auf die Kündigungserklärungen vom 24.1.2021 und in der Klageschrift vom 23.8.2021 gestützten Räumungs- und Herausgabebegehrens zum Nachteil des Klägers entschieden wurde. Die Sache wurde im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte ein Anspruch des Klägers auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht verneint werden. Rechtsfehlerhaft hat es ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses i.S.v. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB verneint. Es hat der Abwägung zwischen dem Erlangungsinteresse des Klägers und dem Bestandsinteresse der Beklagten einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es angenommen hatte, die Vorenthaltung der Mietsache müsse für den Kläger nicht lediglich einen beachtenswerten Nachteil, sondern deshalb einen gewichtigen Nachteil begründen, weil die Kündigung innerhalb der zehnjährigen Sperrfrist gem. § 577a Abs. 1, 2 BGB erklärt worden war.
Zwar obliegt es in erster Linie dem Tatrichter, unter Bewertung und Gewichtung aller für die jeweilige Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte darüber zu befinden, ob ein berechtigtes Interesse des Vermieters i.S.v. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben ist, und kann dieses Bewertungsergebnis vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob es auf einer rechtsfehlerfrei gewonnenen Tatsachengrundlage beruht, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind und der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat. Ein solcher Rechtsfehler lag hier jedoch vor.
Das Berufungsgericht hat gemeint, in den Fällen, in denen ein Vermieter - wie hier der Kläger - die Wohnung nach deren Umwandlung in Wohnungseigentum erworben hat und nunmehr das Mietverhältnis wegen einer von ihm beabsichtigten Mischnutzung zu Wohn- und überwiegend (frei-)beruflichen Zwecken ordentlich kündigt, müssten die Wertungen der Vorschrift über die Kündigungssperrfrist für Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen (§ 577a Abs. 1, 2 BGB) dergestalt in die Interessenabwägung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB einfließen, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter nicht nur einen beachtenswerten Nachteil, sondern einen "gewichtigen Nachteil" bedeuten müsse. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu. Der Gesetzgeber hat, wie der Senat im Zusammenhang mit der (von ihm verneinten) Frage nach einer analogen Anwendung des § 577a BGB betont hat, den mit der Kündigungssperrfrist bezweckten erhöhten Schutz des Mieters vor Kündigungen des Wohnungserwerbers ausdrücklich und bewusst auf die in § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB geregelten Fälle der Eigenbedarfs- und Verwertungskündigung beschränkt.
Es führte auch weder die unzutreffende noch die gänzlich fehlende Angabe des Beendigungszeitpunkts zur Unwirksamkeit der Kündigungen des Klägers. Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen der (ordentlichen) Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses gehört die Angabe der Kündigungsfrist bzw. des Kündigungstermins in der Kündigungserklärung nicht. Ergibt die Auslegung der Kündigungserklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB, dass der Vermieter ordentlich und unter Einhaltung einer Frist kündigen will, wird es regelmäßig seinem erkennbaren (hypothetischen) Willen entsprechen, dass die Kündigung das Mietverhältnis mit Ablauf der (gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten) Kündigungsfrist zum nächsten zulässigen Termin beendet. Das gilt auch, wenn der Vermieter in der Kündigungserklärung einen zu frühen Kündigungstermin angibt, sofern sein (unbedingter) Wille erkennbar ist, das Mietverhältnis auf jeden Fall zu beenden.
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Die Beklagten bewohnen seit 1977 eine Dreizimmerwohnung in Berlin. Sie hatten zuletzt im September 1982 einen schriftlichen Mietvertrag abgeschlossen, wonach das Mietverhältnis am 1.7.1982 beginnen sollte. Es war zudem eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten vorgesehen, wenn seit der Überlassung des Wohnraums zehn Jahre vergangen sind. Im Juli 2013 wurde das Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Im Jahr 2018 erwarb der Kläger das Eigentum an der Wohnung.
Am 24.1.2021 erklärte der Kläger unter Berufung auf § 573 Abs. 1 BGB die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit den Beklagten zum 31.10.2021. Zur Begründung führte er u.a. aus, die Räume künftig überwiegend für seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt zu nutzen und dort auch seinen Wohnsitz begründen zu wollen, nachdem das Mietverhältnis über die bisher genutzten Kanzlei- und Wohnräume zu diesem Zeitpunkt ende. Dieser Wunsch stelle ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses dar ("Betriebsbedarf").
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Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte ein Anspruch des Klägers auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht verneint werden. Rechtsfehlerhaft hat es ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses i.S.v. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB verneint. Es hat der Abwägung zwischen dem Erlangungsinteresse des Klägers und dem Bestandsinteresse der Beklagten einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es angenommen hatte, die Vorenthaltung der Mietsache müsse für den Kläger nicht lediglich einen beachtenswerten Nachteil, sondern deshalb einen gewichtigen Nachteil begründen, weil die Kündigung innerhalb der zehnjährigen Sperrfrist gem. § 577a Abs. 1, 2 BGB erklärt worden war.
Zwar obliegt es in erster Linie dem Tatrichter, unter Bewertung und Gewichtung aller für die jeweilige Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte darüber zu befinden, ob ein berechtigtes Interesse des Vermieters i.S.v. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben ist, und kann dieses Bewertungsergebnis vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob es auf einer rechtsfehlerfrei gewonnenen Tatsachengrundlage beruht, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind und der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat. Ein solcher Rechtsfehler lag hier jedoch vor.
Das Berufungsgericht hat gemeint, in den Fällen, in denen ein Vermieter - wie hier der Kläger - die Wohnung nach deren Umwandlung in Wohnungseigentum erworben hat und nunmehr das Mietverhältnis wegen einer von ihm beabsichtigten Mischnutzung zu Wohn- und überwiegend (frei-)beruflichen Zwecken ordentlich kündigt, müssten die Wertungen der Vorschrift über die Kündigungssperrfrist für Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen (§ 577a Abs. 1, 2 BGB) dergestalt in die Interessenabwägung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB einfließen, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter nicht nur einen beachtenswerten Nachteil, sondern einen "gewichtigen Nachteil" bedeuten müsse. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu. Der Gesetzgeber hat, wie der Senat im Zusammenhang mit der (von ihm verneinten) Frage nach einer analogen Anwendung des § 577a BGB betont hat, den mit der Kündigungssperrfrist bezweckten erhöhten Schutz des Mieters vor Kündigungen des Wohnungserwerbers ausdrücklich und bewusst auf die in § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB geregelten Fälle der Eigenbedarfs- und Verwertungskündigung beschränkt.
Es führte auch weder die unzutreffende noch die gänzlich fehlende Angabe des Beendigungszeitpunkts zur Unwirksamkeit der Kündigungen des Klägers. Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen der (ordentlichen) Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses gehört die Angabe der Kündigungsfrist bzw. des Kündigungstermins in der Kündigungserklärung nicht. Ergibt die Auslegung der Kündigungserklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB, dass der Vermieter ordentlich und unter Einhaltung einer Frist kündigen will, wird es regelmäßig seinem erkennbaren (hypothetischen) Willen entsprechen, dass die Kündigung das Mietverhältnis mit Ablauf der (gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten) Kündigungsfrist zum nächsten zulässigen Termin beendet. Das gilt auch, wenn der Vermieter in der Kündigungserklärung einen zu frühen Kündigungstermin angibt, sofern sein (unbedingter) Wille erkennbar ist, das Mietverhältnis auf jeden Fall zu beenden.
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