Einigungsgebühr kann auch für einen Zwischenvergleich in einer Familiensache fällig werden
BGH v. 25.5.2023 - IX ZR 161/22
Der Sachverhalt:
Die klagende Rechtsanwältin hat von der Beklagten die Zahlung einer 1,0 Einigungsgebühr nach den Nr. 1000, 1003 VV RVG verlangt. Die Beklagte war Antragsgegnerin in einem Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangsrechts vor dem Familiengericht. Sie war von der Klägerin vertreten worden. Zwischen der Klägerin und der Beklagten war eine Vergütungsvereinbarung geschlossen worden, nach der die anfallenden Gebühren nach einem Gegenstandswert von 10.000 € abgerechnet werden sollten.
Im Termin vor dem Familiengericht war unter Mitwirkung der Klägerin ein gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich, insbesondere über öffentliche Umgangskontakte und das Einverständnis der Eltern mit der befristeten Bestellung eines Umgangspflegers, geschlossen worden. Danach wurde der Mandatsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten beendet.
Das AG hat der Klägerin die geltend gemachte Einigungsgebühr nach einem Gegenstandswert von 10.000 € zugesprochen. Berufung und Revision der Beklagten gegen die Verurteilung zur Entrichtung der Einigungsgebühr blieben erfolglos.
Gründe:
Die Vorinstanzen sind mit Recht davon ausgegangen, dass durch die Mitwirkung der klagenden Rechtsanwältin beim Abschluss des gerichtlich gebilligten Zwischenvergleichs im Umgangsverfahren eine 1,0 Einigungsgebühr nach den Nr. 1000, 1003 VV RVG in der einschlägigen, bis zum 30.9.2021 geltenden Fassung entstanden ist.
Die bisherige Rechtsprechung behandelt die Frage, ob es sich bei Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG um einen eigenständigen Gebührentatbestand oder um eine Ergänzung der in Nr. 1000 VV RVG geregelten Voraussetzungen handelt, entweder nicht ausdrücklich oder lässt sie offen. Die Frage, ob sich der letzte Halbsatz des Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG ("wenn hierdurch ...") auch auf den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich bezieht, wird teilweise verneint. Das OLG Köln und das Thüringer OLG haben es hingegen für notwendig gehalten, dass eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder diese der getroffenen Vereinbarung folgt. Richtigerweise ist Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG kein eigenständiger Gebührentatbestand und gilt das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung im letzten Halbsatz des Abs. 2 nicht für den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich.
Es ist davon auszugehen, dass Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG zusätzliche Voraussetzungen für die Entstehung der Einigungsgebühr enthält, diese aber nicht abschließend regelt. Danach reicht die Mitwirkung am Abschluss eines gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleichs nicht aus. Hinzukommen muss, dass durch den Vergleich der Streit oder die Ungewissheit beseitigt wird (Anmerkung Abs. 5 Satz 3 iVm Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zur Nr. 1000 VV RVG). Daran hat sich durch die Neufassung der Anmerkung zur Nr. 1000 VV RVG durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2020 (BGBl. I S. 3320) nichts geändert. Der Gesetzgeber hat das Erfordernis der Beseitigung von Streit oder Ungewissheit gleichsam vor die Klammer gezogen. Deshalb verweisen die in Abs. 5 der Anmerkung enthaltenen Regelungen über Vereinbarungen in Kindschaftssachen nicht mehr ausdrücklich auf dieses Erfordernis.
Streit oder Ungewissheit kann auch durch einen gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Zwischenvergleich beseitigt werden. Der Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Anmerkung zur Nr. 1000 VV RVG spricht allerdings dafür, dass für die Entstehung der Einigungsgebühr eine endgültige Einigung über alle streitigen oder ungewissen Punkte erforderlich ist. In Bezug genommen wird "der" Streit oder "die" Ungewissheit und damit die gesamte im konkreten Fall vorliegende Uneinigkeit oder Unsicherheit. Ein solches Verständnis widerspräche jedoch Sinn und Zweck der Einigungsgebühr. Die streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts soll gefördert werden, die Einigungsgebühr dadurch gerichtsentlastend wirken.
Diese Regelungsziele erfassen auch Teileinigungen. Diese können gegenständlich oder zeitlich beschränkt erfolgen. Auch ein Zusammenspiel aus gegenständlich und zeitlich beschränkter Einigung ist denkbar. Maßgeblich ist, ob die geregelten Teile unabhängig vom weiterhin streitigen Rest Bestand haben sollen. Die Einbeziehung von Teileinigungen führt nicht zu einer unbilligen Gebührenlast für den Mandanten.
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BGH online
Die klagende Rechtsanwältin hat von der Beklagten die Zahlung einer 1,0 Einigungsgebühr nach den Nr. 1000, 1003 VV RVG verlangt. Die Beklagte war Antragsgegnerin in einem Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangsrechts vor dem Familiengericht. Sie war von der Klägerin vertreten worden. Zwischen der Klägerin und der Beklagten war eine Vergütungsvereinbarung geschlossen worden, nach der die anfallenden Gebühren nach einem Gegenstandswert von 10.000 € abgerechnet werden sollten.
Im Termin vor dem Familiengericht war unter Mitwirkung der Klägerin ein gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich, insbesondere über öffentliche Umgangskontakte und das Einverständnis der Eltern mit der befristeten Bestellung eines Umgangspflegers, geschlossen worden. Danach wurde der Mandatsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten beendet.
Das AG hat der Klägerin die geltend gemachte Einigungsgebühr nach einem Gegenstandswert von 10.000 € zugesprochen. Berufung und Revision der Beklagten gegen die Verurteilung zur Entrichtung der Einigungsgebühr blieben erfolglos.
Gründe:
Die Vorinstanzen sind mit Recht davon ausgegangen, dass durch die Mitwirkung der klagenden Rechtsanwältin beim Abschluss des gerichtlich gebilligten Zwischenvergleichs im Umgangsverfahren eine 1,0 Einigungsgebühr nach den Nr. 1000, 1003 VV RVG in der einschlägigen, bis zum 30.9.2021 geltenden Fassung entstanden ist.
Die bisherige Rechtsprechung behandelt die Frage, ob es sich bei Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG um einen eigenständigen Gebührentatbestand oder um eine Ergänzung der in Nr. 1000 VV RVG geregelten Voraussetzungen handelt, entweder nicht ausdrücklich oder lässt sie offen. Die Frage, ob sich der letzte Halbsatz des Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG ("wenn hierdurch ...") auch auf den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich bezieht, wird teilweise verneint. Das OLG Köln und das Thüringer OLG haben es hingegen für notwendig gehalten, dass eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder diese der getroffenen Vereinbarung folgt. Richtigerweise ist Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG kein eigenständiger Gebührentatbestand und gilt das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung im letzten Halbsatz des Abs. 2 nicht für den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich.
Es ist davon auszugehen, dass Abs. 2 der Anmerkung zur Nr. 1003 VV RVG zusätzliche Voraussetzungen für die Entstehung der Einigungsgebühr enthält, diese aber nicht abschließend regelt. Danach reicht die Mitwirkung am Abschluss eines gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleichs nicht aus. Hinzukommen muss, dass durch den Vergleich der Streit oder die Ungewissheit beseitigt wird (Anmerkung Abs. 5 Satz 3 iVm Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zur Nr. 1000 VV RVG). Daran hat sich durch die Neufassung der Anmerkung zur Nr. 1000 VV RVG durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2020 (BGBl. I S. 3320) nichts geändert. Der Gesetzgeber hat das Erfordernis der Beseitigung von Streit oder Ungewissheit gleichsam vor die Klammer gezogen. Deshalb verweisen die in Abs. 5 der Anmerkung enthaltenen Regelungen über Vereinbarungen in Kindschaftssachen nicht mehr ausdrücklich auf dieses Erfordernis.
Streit oder Ungewissheit kann auch durch einen gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Zwischenvergleich beseitigt werden. Der Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Anmerkung zur Nr. 1000 VV RVG spricht allerdings dafür, dass für die Entstehung der Einigungsgebühr eine endgültige Einigung über alle streitigen oder ungewissen Punkte erforderlich ist. In Bezug genommen wird "der" Streit oder "die" Ungewissheit und damit die gesamte im konkreten Fall vorliegende Uneinigkeit oder Unsicherheit. Ein solches Verständnis widerspräche jedoch Sinn und Zweck der Einigungsgebühr. Die streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts soll gefördert werden, die Einigungsgebühr dadurch gerichtsentlastend wirken.
Diese Regelungsziele erfassen auch Teileinigungen. Diese können gegenständlich oder zeitlich beschränkt erfolgen. Auch ein Zusammenspiel aus gegenständlich und zeitlich beschränkter Einigung ist denkbar. Maßgeblich ist, ob die geregelten Teile unabhängig vom weiterhin streitigen Rest Bestand haben sollen. Die Einbeziehung von Teileinigungen führt nicht zu einer unbilligen Gebührenlast für den Mandanten.
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