Eintragung einer Vorfrist zur Fristensicherung
BGH v. 24.10.2023 - VI ZB 53/22
Der Sachverhalt:
Das LG wies die Klage durch Versäumnisurteil ab und erhielt dieses nach Einspruch aufrecht. Die Klägerin legte gegen das ihr am 17.2.2022 zugestellte Urteil fristgerecht Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 19.5.2022 begründete die Klägerin die Berufung und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.
Zur Begründung trug der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor, die Säumnis beruhe auf einem Versehen seiner Angestellten. Diese habe gemäß erteilter Weisung zwar die Berufungsfrist in den Fristenkalender eingetragen, allerdings aus im Nachhinein nicht mehr aufklärbaren Gründen nicht auch die Berufungsbegründungsfrist, obwohl beide Fristen als "notiert" und damit als im Fristenkalender eingetragen vermerkt worden seien. Das Empfangsbekenntnis werde von ihm mit Datum versehen und unterzeichnet. Zugleich würden die Fristen notiert und die Akte zwecks Notierung der Fristen im Fristenkalender an die Angestellte übergeben. Die Fristen würden sodann von der Angestellten - nach erneuter Prüfung der Richtigkeit der notierten Frist - einzeln im Fristenkalender eingetragen und hinter dem Datum des jeweiligen Fristablaufs mit einem entsprechenden Vermerk "notiert" mit dem Kürzel der Angestellten versehen. Die Akte werde sodann wieder an ihn gegeben, um zu kontrollieren, ob der Erledigungsvermerk "notiert" aufgebracht worden sei.
Im vorliegenden Fall sei der Posteingang über das beA erfolgt und sei somit von ihm direkt bearbeitet worden. Nach Kenntnisnahme des erstinstanzlichen Urteils seien durch ihn die Fristen für die Berufung und die Berufungsbegründung notiert worden. Die Angestellte habe dann beide Fristen in den Fristenkalender eintragen sollen. Bei Einlegung der Berufung habe er sich noch einmal vergewissert, dass hinter beiden notierten Fristen ein Eintragungsvermerk aufgebracht worden sei. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass auch die Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß eingetragen worden sei. In der beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Angestellten ist ausgeführt, es sei ihr nicht erklärlich, aus welchem Grunde sie nicht auch die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender eingetragen habe.
Das KG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Nach den zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Umständen ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruht. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Notierung von Vorfristen angeordnet hatte.
Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist.
Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter diese Vorgaben bei der Organisation seiner Kanzlei eingehalten hatte. Dies macht die Rechtsbeschwerde auch nicht geltend. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist nicht auszuschließen, dass bei Notierung einer Vorfrist die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden wäre. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt ist. Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre.
Bei auf die Vorfrist bezogen unterstellt ordnungsgemäßem Vorgehen wären die Akten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig vorgelegt worden. In diesem Fall hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rechtzeitig bemerkt, dass eine Berufungsbegründung noch nicht erstellt war. Ein Rechtsanwalt hat eine ihm aufgrund einer Vorfrist vorgelegte und damit in seinen persönlichen Verantwortungsbereich (zurück-)gelangte Fristsache rechtzeitig zu bearbeiten und für die Weiterleitung der bearbeiteten Sache in der Weise Sorge zu tragen, dass der entsprechende Schriftsatz fristgerecht bei Gericht eingeht. Dieser Pflicht wird er nicht durch eine weitere, auf den Tag des Fristablaufs notierte Frist enthoben. Hätte mithin der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach Vorlage der Akten zur Vorfrist die Berufungsbegründung fristgerecht fertiggestellt und einer Büroangestellten mit der Weisung übergeben, sie bei Gericht einzureichen, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden.
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Das LG wies die Klage durch Versäumnisurteil ab und erhielt dieses nach Einspruch aufrecht. Die Klägerin legte gegen das ihr am 17.2.2022 zugestellte Urteil fristgerecht Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 19.5.2022 begründete die Klägerin die Berufung und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.
Zur Begründung trug der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor, die Säumnis beruhe auf einem Versehen seiner Angestellten. Diese habe gemäß erteilter Weisung zwar die Berufungsfrist in den Fristenkalender eingetragen, allerdings aus im Nachhinein nicht mehr aufklärbaren Gründen nicht auch die Berufungsbegründungsfrist, obwohl beide Fristen als "notiert" und damit als im Fristenkalender eingetragen vermerkt worden seien. Das Empfangsbekenntnis werde von ihm mit Datum versehen und unterzeichnet. Zugleich würden die Fristen notiert und die Akte zwecks Notierung der Fristen im Fristenkalender an die Angestellte übergeben. Die Fristen würden sodann von der Angestellten - nach erneuter Prüfung der Richtigkeit der notierten Frist - einzeln im Fristenkalender eingetragen und hinter dem Datum des jeweiligen Fristablaufs mit einem entsprechenden Vermerk "notiert" mit dem Kürzel der Angestellten versehen. Die Akte werde sodann wieder an ihn gegeben, um zu kontrollieren, ob der Erledigungsvermerk "notiert" aufgebracht worden sei.
Im vorliegenden Fall sei der Posteingang über das beA erfolgt und sei somit von ihm direkt bearbeitet worden. Nach Kenntnisnahme des erstinstanzlichen Urteils seien durch ihn die Fristen für die Berufung und die Berufungsbegründung notiert worden. Die Angestellte habe dann beide Fristen in den Fristenkalender eintragen sollen. Bei Einlegung der Berufung habe er sich noch einmal vergewissert, dass hinter beiden notierten Fristen ein Eintragungsvermerk aufgebracht worden sei. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass auch die Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß eingetragen worden sei. In der beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Angestellten ist ausgeführt, es sei ihr nicht erklärlich, aus welchem Grunde sie nicht auch die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender eingetragen habe.
Das KG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
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Nach den zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Umständen ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruht. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Notierung von Vorfristen angeordnet hatte.
Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist.
Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter diese Vorgaben bei der Organisation seiner Kanzlei eingehalten hatte. Dies macht die Rechtsbeschwerde auch nicht geltend. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist nicht auszuschließen, dass bei Notierung einer Vorfrist die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden wäre. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt ist. Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre.
Bei auf die Vorfrist bezogen unterstellt ordnungsgemäßem Vorgehen wären die Akten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig vorgelegt worden. In diesem Fall hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rechtzeitig bemerkt, dass eine Berufungsbegründung noch nicht erstellt war. Ein Rechtsanwalt hat eine ihm aufgrund einer Vorfrist vorgelegte und damit in seinen persönlichen Verantwortungsbereich (zurück-)gelangte Fristsache rechtzeitig zu bearbeiten und für die Weiterleitung der bearbeiteten Sache in der Weise Sorge zu tragen, dass der entsprechende Schriftsatz fristgerecht bei Gericht eingeht. Dieser Pflicht wird er nicht durch eine weitere, auf den Tag des Fristablaufs notierte Frist enthoben. Hätte mithin der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach Vorlage der Akten zur Vorfrist die Berufungsbegründung fristgerecht fertiggestellt und einer Büroangestellten mit der Weisung übergeben, sie bei Gericht einzureichen, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden.
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