Erstattungsansprüche bei pandemiebedingtem Rücktritt von Pauschalreise
EuGH v. 14.9.2023 - C-83/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger schloss im Oktober 2019 mit dem beklagten Reiseveranstalter Tuk Tuk Travel einen Vertrag über eine Pauschalreise für zwei Personen nach Vietnam und Kambodscha: Die Abreise von Madrid (Spanien) sollte am 8.3.2020 stattfinden, die Rückkehr war am 24.3.2020 geplant. Der Kläger zahlte fast die Hälfte des Gesamtreisepreises. Der Vertrag enthielt Informationen über die Möglichkeit eines Rücktritts vor dem Abreisedatum gegen Gebühren. Dagegen war die Möglichkeit eines Rücktritts ohne Gebühren aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände, die am Bestimmungsort auftreten, wie sie in der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) vorgesehen ist, im Vertrag nicht genannt.
Am 12.2.2020 setzte der Kläger angesichts der Ausbreitung des Coronavirus in Asien die Beklagte von seiner Entscheidung, vom Vertrag zurückzutreten, in Kenntnis und verlangte von ihr die Erstattung aller ihm zustehenden Beträge. Der Reiseveranstalter kündigte dem Kläger gegenüber an, dass ihm nach Abzug der Stornierungskosten nur ein kleiner Teil des gezahlten Betrags erstattet werde. Hiergegen richtet sich die Klage des Klägers. Er trägt vor, er sei fast einen Monat vor dem geplanten Abreisedatum vom Vertrag zurückgetreten, und macht das Vorliegen höherer Gewalt geltend: die Ausbreitung des Coronavirus in Asien. Der Kläger, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, beantragt nur eine teilweise Erstattung des gezahlten Betrags, da er davon ausgeht, dass ein Viertel dieses Betrags den der Beklagten entstandenen Verwaltungskosten entspreche.
Das mit der Rechtssache befasste spanische Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und bitten den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens um Auslegung der Pauschalreiserichtlinie. Es fragt sich u. a., ob dem Reisenden nach der Richtlinie von Amts wegen die Erstattung aller getätigten Zahlungen zugesprochen werden darf, wenn er aufgrund außergewöhnlicher Umstände vom Vertrag zurückgetreten ist. Das spanische Gericht stellt fest, dass diese Möglichkeit gegen grundlegenden Prinzipien des spanischen Verfahrensrechts verstieße.
Die Gründe:
Ein Reiseveranstalter hat den Reisenden nach der Pauschalreiserichtlinie u.a. über sein Rücktrittsrecht zu informieren. Aufgrund der Bedeutung des durch die Richtlinie gewährten Rücktrittsrechts (sowie des daraus folgenden Anspruchs auf volle Erstattung aller getätigten Zahlungen) ist es für seinen wirksamen Schutz erforderlich, dass das nationale Gericht einen Verstoß dagegen von Amts wegen aufgreifen darf, insbesondere wenn der Reisende sein Recht nicht geltend macht, weil er nicht weiß, dass es besteht. Diese Prüfung von Amts wegen unterliegt jedoch bestimmten Voraussetzungen.
Diese Voraussetzungen scheinen im vorliegenden Fall vorbehaltlich der Prüfung durch das spanische Gericht erfüllt zu sein, zumal der EuGH bereits allgemein festgestellt hat, dass der Begriff der unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände den Ausbruch einer weltweiten gesundheitlichen Notlage umfassen kann, und die Rechtssache vor dem spanischen Gericht die Erstattung der vom Reisenden getätigten Zahlungen nach seiner Entscheidung, aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus vom Vertrag zurückzutreten, betrifft. Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger nicht wusste, dass sein Rücktrittsrecht besteht, da die Beklagte ihn hierüber nicht informiert hat.
Das spanische Gericht wäre demnach verpflichtet, das Rücktrittsrecht von Amts wegen zu prüfen. Es hat somit insbesondere zum einen den Kläger über dieses Recht zu informieren und ihm zum anderen die Möglichkeit einzuräumen, es im laufenden Gerichtsverfahren geltend zu machen.
Die Prüfung von Amts wegen verlangt dagegen vom nationalen Gericht nicht, dass es den betreffenden Pauschalreisevertrag von Amts wegen ohne Gebühren beendet und dem Reisenden einen Anspruch auf volle Erstattung aller getätigten Zahlungen gewährt. Der Reisende hat zu entscheiden, ob er dieses Recht bei dem Gericht geltend machen möchte.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 202
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 65
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EuGH PM Nr. 140 vom 14.9.2023
Der Kläger schloss im Oktober 2019 mit dem beklagten Reiseveranstalter Tuk Tuk Travel einen Vertrag über eine Pauschalreise für zwei Personen nach Vietnam und Kambodscha: Die Abreise von Madrid (Spanien) sollte am 8.3.2020 stattfinden, die Rückkehr war am 24.3.2020 geplant. Der Kläger zahlte fast die Hälfte des Gesamtreisepreises. Der Vertrag enthielt Informationen über die Möglichkeit eines Rücktritts vor dem Abreisedatum gegen Gebühren. Dagegen war die Möglichkeit eines Rücktritts ohne Gebühren aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände, die am Bestimmungsort auftreten, wie sie in der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie) vorgesehen ist, im Vertrag nicht genannt.
Am 12.2.2020 setzte der Kläger angesichts der Ausbreitung des Coronavirus in Asien die Beklagte von seiner Entscheidung, vom Vertrag zurückzutreten, in Kenntnis und verlangte von ihr die Erstattung aller ihm zustehenden Beträge. Der Reiseveranstalter kündigte dem Kläger gegenüber an, dass ihm nach Abzug der Stornierungskosten nur ein kleiner Teil des gezahlten Betrags erstattet werde. Hiergegen richtet sich die Klage des Klägers. Er trägt vor, er sei fast einen Monat vor dem geplanten Abreisedatum vom Vertrag zurückgetreten, und macht das Vorliegen höherer Gewalt geltend: die Ausbreitung des Coronavirus in Asien. Der Kläger, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, beantragt nur eine teilweise Erstattung des gezahlten Betrags, da er davon ausgeht, dass ein Viertel dieses Betrags den der Beklagten entstandenen Verwaltungskosten entspreche.
Das mit der Rechtssache befasste spanische Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und bitten den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens um Auslegung der Pauschalreiserichtlinie. Es fragt sich u. a., ob dem Reisenden nach der Richtlinie von Amts wegen die Erstattung aller getätigten Zahlungen zugesprochen werden darf, wenn er aufgrund außergewöhnlicher Umstände vom Vertrag zurückgetreten ist. Das spanische Gericht stellt fest, dass diese Möglichkeit gegen grundlegenden Prinzipien des spanischen Verfahrensrechts verstieße.
Die Gründe:
Ein Reiseveranstalter hat den Reisenden nach der Pauschalreiserichtlinie u.a. über sein Rücktrittsrecht zu informieren. Aufgrund der Bedeutung des durch die Richtlinie gewährten Rücktrittsrechts (sowie des daraus folgenden Anspruchs auf volle Erstattung aller getätigten Zahlungen) ist es für seinen wirksamen Schutz erforderlich, dass das nationale Gericht einen Verstoß dagegen von Amts wegen aufgreifen darf, insbesondere wenn der Reisende sein Recht nicht geltend macht, weil er nicht weiß, dass es besteht. Diese Prüfung von Amts wegen unterliegt jedoch bestimmten Voraussetzungen.
Diese Voraussetzungen scheinen im vorliegenden Fall vorbehaltlich der Prüfung durch das spanische Gericht erfüllt zu sein, zumal der EuGH bereits allgemein festgestellt hat, dass der Begriff der unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände den Ausbruch einer weltweiten gesundheitlichen Notlage umfassen kann, und die Rechtssache vor dem spanischen Gericht die Erstattung der vom Reisenden getätigten Zahlungen nach seiner Entscheidung, aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus vom Vertrag zurückzutreten, betrifft. Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger nicht wusste, dass sein Rücktrittsrecht besteht, da die Beklagte ihn hierüber nicht informiert hat.
Das spanische Gericht wäre demnach verpflichtet, das Rücktrittsrecht von Amts wegen zu prüfen. Es hat somit insbesondere zum einen den Kläger über dieses Recht zu informieren und ihm zum anderen die Möglichkeit einzuräumen, es im laufenden Gerichtsverfahren geltend zu machen.
Die Prüfung von Amts wegen verlangt dagegen vom nationalen Gericht nicht, dass es den betreffenden Pauschalreisevertrag von Amts wegen ohne Gebühren beendet und dem Reisenden einen Anspruch auf volle Erstattung aller getätigten Zahlungen gewährt. Der Reisende hat zu entscheiden, ob er dieses Recht bei dem Gericht geltend machen möchte.
Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 202
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 65
Auch abrufbar im Aktionsmodul Zivilrecht:
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