29.08.2019

Erstes Juristisches Staatsexamen als Voraussetzung für Stipendium keine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft

Die Vergabe von Stipendien für hochbegabte Hochschulstudenten erfordert eine Auswahlentscheidung, bei der die persönlichen Umstände der Bewerber im Vordergrund stehen, und unterfällt daher nicht § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG. Wird die Vergabe von Stipendien zur Förderung von Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland an die Teilnahmevoraussetzung des in Deutschland erworbenen Ersten Juristischen Staatsexamens geknüpft, stellt dies keine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft dar.

BGH v. 25.4.2019 - I ZR 272/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist italienischer Staatsbürger, der in Deutschland geboren und wohnhaft ist. Er erwarb an einer Universität in Armenien den akademischen Grad "Bachelor of Laws". Die Beklagte ist ein eingetragener Verein und vergibt im Rahmen ihres Satzungszwecks Stipendien.

Der Kläger wandte sich an die Beklagte, in der er sein Interesse an einer Teilnahme am "Bucerius-Jura-Programm" der Beklagten bekundete. Auf der Internetseite der Beklagten war als Teilnahmevoraussetzung angegeben, dass ein Teilnehmer u.a. einen "Abschluss der Ersten Juristischen Staatsprüfung mit mindestens vollbefriedigend vor Antritt des Stipendiums" vorweisen müsse. Der Kläger bewarb sich daraufhin nicht für das Programm, da er geltend machte, durch die ablehnende Haltung der Beklagten durch den entstandenen E-Mail Verkehr zwischen den Parteien von einer Bewerbung abgehalten worden zu sein. Die Teilnahmevoraussetzung der Ersten Juristischen Staatsprüfung sei zudem als Diskriminierung wegen der ethnischen oder sozialen Herkunft als Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu sehen.

Der Kläger nahm die Beklagte auf Beseitigung und Unterlassung der Benachteiligung insbesondere wegen seiner Herkunft auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Die vor dem BGH eingelegte Revision war ebenfalls erfolglos.

Die Gründe:
Dem Kläger stehen keine Ansprüche aufgrund von Diskriminierungen wegen der ethnischen oder sozialen Herkunft des Klägers gegen die Beklagte gem. § 19 AGG zu.

Eine Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft ist bei der Begründung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte), unzulässig. Die öffentliche Ausschreibung des Stipendiums durch die Beklagte betrifft zwar die Begründung eines zivilrechtlichen Schuldverhältnisses i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG. Er erfasst nicht nur den eigentlichen Vertragsschluss, sondern darüber hinaus das Stadium der Vertragsanbahnung, in dem ein konkreter Antrag i.S.d. § 145 BGB noch nicht vorliegt.

Die Vergabe der hier in Rede stehenden Stipendien stellt jedoch kein Massengeschäft oder ein Geschäft i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG, bei dem das Ansehen der Person eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommt, dar. Dies ist der Fall, wenn die in § 1 AGG genannten Merkmale typischerweise keine Rolle spielen. Ein Ansehen der Person liegt hingegen vor, wenn der Anbieter seine Entscheidung über den Vertragsschluss erst nach einer Würdigung des Vertragspartners trifft. Das ist hier gerade der Fall. Allein die bloße Vielzahl von Schuldverhältnissen kann mithin den Charakter eines Massengeschäfts nicht bestimmen, wenn die einzelnen Schuldverhältnisse nicht ohne Ansehen der Person begründet werden.

Die öffentliche Ausschreibung des Stipendiums durch die Beklagte betrifft jedoch die Begründung eines "sonstigen" zivilrechtlichen Schuldverhältnisses, ferner auch die Begründung eines solchen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 7 AGG. Nach ihrer Satzung fördert die Beklagte die Hochschulbildung junger Menschen, deren hohe wissenschaftliche oder künstlerische Begabung und deren Persönlichkeit besondere Leistungen im Dienste der Allgemeinheit erwarten lassen. Folglich besteht ein enger Zusammenhang zwischen den vergebenen finanziellen Leistungen zur Förderung eines Forschungs- oder Studienvorhabens und der Teilnahme an den Vorhaben, die selbst unter den Bildungsbegriff des § 2 Abs. 1 Nr. 7 AGG fallen.

Eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen der ethnischen Herkunft i.S.v. § 19 Abs. 1 und 2, § 3 Abs. 1 AGG liegt nicht vor. Eine unmittelbare Benachteiligung ist gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Der Begriff der ethnischen Herkunft beruht auf dem Gedanken, dass gesellschaftliche Gruppen insbesondere durch eine Gemeinsamkeit der Staatsangehörigkeit, Religion, Sprache, kulturelle und traditionelle Herkunft und Lebensumgebung gekennzeichnet sind. Das vom Kläger beanstandete Ausschreibungskriterium - Abschluss des Ersten Juristischen Staatsexamens - knüpft weder offen noch verdeckt direkt an das Merkmal der ethnischen Herkunft an. Die Prüfung kann in Deutschland unabhängig von der ethnischen Herkunft abgelegt werden.

Es fehlt auch an den Voraussetzungen einer mittelbaren Benachteiligung des Klägers wegen der ethnischen Herkunft i.S.v. § 19 Abs. 1 und 2, § 3 Abs. 2 AGG. Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften sind zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich. Die Prüfung einer mittelbaren Benachteiligung erfordert die Bildung von Vergleichsgruppen. Der Gesamtheit der Personen, die von der Regelung erfasst werden, ist die Gesamtheit der Personen gegenüberzustellen, die durch die Regelung benachteiligt werden. Es besteht jedoch kein Anhaltspunkt dafür, dass Personen einer bestimmten ethnischen Herkunft von der Voraussetzung des Bestehens der Ersten Juristischen Staatsprüfung nachteiliger betroffen wären als Personen anderer ethnischer Herkunft.

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