06.10.2021

Flugannullierung wegen Solidaritätsstreik des Kabinenpersonals kein "außergewöhnlicher Umstand" i.S.d. der Fluggastrechteverordnung

Der Streik der Belegschaft der gebuchten Fluglinie (Eurowings) aus Solidarität mit der Belegschaft der Muttergesellschaft (Lufthansa) ist nicht als außergewöhnlicher Umstand anzusehen, der die Fluglinie von Ausgleichsverpflichtungen wegen Flugannullierung befreien kann.

EuGH v. 6.10.2021 - C-613/20
Der Sachverhalt:
Ein Fluggast von Eurowings verlangt vor dem LG Salzburg eine Entschädigung i.H.v. 250 €, weil der Flug von Salzburg nach Berlin (Tegel), den er gebucht hatte, aufgrund eines Streiks des Kabinenpersonals annulliert wurde. Eurowings macht geltend, dass es sich bei dem Streik um einen außergewöhnlichen Umstand gehandelt habe und das Unternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um die Auswirkungen des Streiks zu begrenzen. Das Kabinenpersonal habe sich mit einem Streikaufruf gegen die Konzernmutter Lufthansa solidarisiert, wobei sich der Streik bei Eurowings verselbständigt habe und selbst nach einer Einigung zwischen der Gewerkschaft und Lufthansa noch fortgesetzt worden sei.

Das LG hat den EuGH vor diesem Hintergrund um Auslegung der Fluggastrechteverordnung Nr. 261/2004 ersucht.

Mit seinem Urteil antwortet der EuGH dem LG wie folgt:
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Gehaltsforderungen und/oder Sozialleistungen der Beschäftigten, die durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens aus Solidarität mit einem Streik eingeleitet wurden, der gegen die Muttergesellschaft geführt wird, zu deren Tochtergesellschaften dieses Unternehmen gehört, an denen sich eine für die Durchführung eines Fluges unerlässliche Beschäftigtengruppe dieser Tochtergesellschaft beteiligt und die über die ursprünglich von der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft angekündigte Dauer hinaus fortgeführt werden, obwohl inzwischen eine Einigung mit der Muttergesellschaft erzielt wurde, nicht unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" im Sinne dieser Bestimmung fallen.

Die Gründe:
Der Streik kann weder als Ereignis angesehen werden, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Tochtergesellschaft ist, noch als Ereignis, das von dieser in keiner Weise beherrschbar ist.

Wenn eine Gewerkschaft die Beschäftigten einer Muttergesellschaft zum Streik aufruft, ist vorhersehbar, dass sich die Beschäftigten anderer Konzernteile diesem Streik aus Solidarität oder mit dem Ziel anschließen, bei dieser Gelegenheit ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Außerdem verfügt der Arbeitgeber, da für ihn der Ausbruch eines Streiks ein vorhersehbares Ereignis darstellt, grundsätzlich über die Mittel, sich darauf vorzubereiten und damit dessen Folgen gegebenenfalls abzufangen, sodass die Ereignisse für ihn zu einem gewissen Grad beherrschbar bleiben. Laut dem LG musste Eurowings bei insgesamt 712 für den Streiktag vorgesehenen Flügen lediglich 158 Flüge annullieren.
EuGH online
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