Fluggäste dürfen neuen Termin zeitlich flexibel und kostenlos umbuchen
BGH v. 27.6.2023 - X ZR 50/22
Der Sachverhalt:
Das beklagte Luftfahrtunternehmen hatte im Jahr 2020 aufgrund der Covid19-Pandemie zahlreiche Flüge storniert. Von einem Fluggast, der für Ende März 2020 Flüge von München nach Toulouse und zurück gebucht und eine Umbuchung auf Mitte Juli 2020 gewünscht hatte, verlangte die Beklagte die Zahlung eines Mehrpreises von 75 €. Von einem anderen Fluggast, der für den Zeitraum über Ostern 2020 Flüge in der Business bzw. First Class von Stockholm über Frankfurt a.M. nach Buenos Aires und zurück gebucht und eine Umbuchung auf November oder Dezember 2020 oder März 2021 gewünscht hatte, verlangte sie einen Mehrpreis von rund 3.000 €.
Der klagende Verbraucherverband hat sinngemäß beantragt, der Beklagten zu verbieten, im Falle eines annullierten Fluges dem Fluggast auf Nachfrage eine anderweitige Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes trotz verfügbarer Plätze lediglich gegen Zahlung eines Aufpreises zu ermöglichen.
LG und OLG haben die Unterlassungsklage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.
Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch gem. § 2 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 UKlaG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 a, Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setzt das Recht auf eine anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt nach Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO nicht voraus, dass die gewünschte Ersatzbeförderung in zeitlichem Zusammenhang mit dem ursprünglich vorgesehenen Flugsteht. Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO sieht hinsichtlich des Zeitpunkts, für den der Fluggast eine anderweitige Beförderung verlangen kann, keine festen Grenzen vor. Die Vorschrift überlässt die Auswahl insoweit dem Wunsch des Fluggastes. Als begrenzende Faktoren benennt sie lediglich die Vergleichbarkeit der Reisebedingungen und die Verfügbarkeit von Plätzen. Zu den Reisebedingungen i.S.d. Vorschrift gehören nicht die persönliche Reiseplanung oder die sonstigen Umstände, die den Fluggast zu der ursprünglichen Buchung bewogen haben, sondern lediglich die Modalitäten, unter denen die Beförderungsleistung erbracht wird.
Die Systematik der Fluggastrechteverordnung sowie der Sinn und Zweck ihrer einschlägigen Normen sprechen ebenfalls gegen das Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs mit dem ursprünglich vorgesehenen Flug. Nach Art. 8 Abs. 1 a FluggastrechteVO kann der Fluggast die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten verlangen. Dieses Recht hängt nicht davon ab, dass der Fluggast die Reise zu dem vorgesehenen Endziel auf anderem Wege antritt. Art. 8 Abs. 1 b und c FluggastrechteVO räumen dem Fluggast die Wahl ein zwischen einer anderweitigen Beförderung zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt. Dieser Gegenüberstellung ist zu entnehmen, dass der Zeitpunkt der anderweitigen Beförderung innerhalb der Grenzen der Verfügbarkeit der Wahl des Fluggasts unterliegen soll, wie dies Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO ausdrücklich vorsieht.
Aus dem Umstand, dass die in Art. 8 vorgesehenen Leistungen in Art. 5 Abs. 1 als Unterstützungsleistungen bezeichnet werden, lassen sich zeitliche Einschränkungen entgegen einzelnen Stimmen in der Literatur ebenfalls nicht ableiten. Der Ausdruck "Unterstützungsleistungen" mag für sich gesehen das Verständnis ermöglichen, dass es ausschließlich um Leistungen geht, die die Durchführung der ursprünglich vorgesehenen Beförderung ermöglichen sollen. Diesem Verständnis steht aber schon der Umstand entgegen, dass zu den Unterstützungsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 a FluggastrechteVO auch die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten gehört. Dass die Verordnung eine Reihe von Regelungen enthält, die das Luftfahrtunternehmen anhalten, eine möglichst zeitnahe Ersatzbeförderung anzubieten, führt entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Letztlich bedarf der Tatbestand des Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO auch nicht unter dem Aspekt der Missbrauchsgefahr einer einschränkenden Auslegung.
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Aufsatz:
Pauschalreiserecht: Die COVID-19-Pandemie und das Recht zum kostenlosen Rücktritt vor Reisebeginn
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Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2022, 1377
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Das beklagte Luftfahrtunternehmen hatte im Jahr 2020 aufgrund der Covid19-Pandemie zahlreiche Flüge storniert. Von einem Fluggast, der für Ende März 2020 Flüge von München nach Toulouse und zurück gebucht und eine Umbuchung auf Mitte Juli 2020 gewünscht hatte, verlangte die Beklagte die Zahlung eines Mehrpreises von 75 €. Von einem anderen Fluggast, der für den Zeitraum über Ostern 2020 Flüge in der Business bzw. First Class von Stockholm über Frankfurt a.M. nach Buenos Aires und zurück gebucht und eine Umbuchung auf November oder Dezember 2020 oder März 2021 gewünscht hatte, verlangte sie einen Mehrpreis von rund 3.000 €.
Der klagende Verbraucherverband hat sinngemäß beantragt, der Beklagten zu verbieten, im Falle eines annullierten Fluges dem Fluggast auf Nachfrage eine anderweitige Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes trotz verfügbarer Plätze lediglich gegen Zahlung eines Aufpreises zu ermöglichen.
LG und OLG haben die Unterlassungsklage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.
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Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setzt das Recht auf eine anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt nach Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO nicht voraus, dass die gewünschte Ersatzbeförderung in zeitlichem Zusammenhang mit dem ursprünglich vorgesehenen Flugsteht. Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO sieht hinsichtlich des Zeitpunkts, für den der Fluggast eine anderweitige Beförderung verlangen kann, keine festen Grenzen vor. Die Vorschrift überlässt die Auswahl insoweit dem Wunsch des Fluggastes. Als begrenzende Faktoren benennt sie lediglich die Vergleichbarkeit der Reisebedingungen und die Verfügbarkeit von Plätzen. Zu den Reisebedingungen i.S.d. Vorschrift gehören nicht die persönliche Reiseplanung oder die sonstigen Umstände, die den Fluggast zu der ursprünglichen Buchung bewogen haben, sondern lediglich die Modalitäten, unter denen die Beförderungsleistung erbracht wird.
Die Systematik der Fluggastrechteverordnung sowie der Sinn und Zweck ihrer einschlägigen Normen sprechen ebenfalls gegen das Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs mit dem ursprünglich vorgesehenen Flug. Nach Art. 8 Abs. 1 a FluggastrechteVO kann der Fluggast die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten verlangen. Dieses Recht hängt nicht davon ab, dass der Fluggast die Reise zu dem vorgesehenen Endziel auf anderem Wege antritt. Art. 8 Abs. 1 b und c FluggastrechteVO räumen dem Fluggast die Wahl ein zwischen einer anderweitigen Beförderung zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt. Dieser Gegenüberstellung ist zu entnehmen, dass der Zeitpunkt der anderweitigen Beförderung innerhalb der Grenzen der Verfügbarkeit der Wahl des Fluggasts unterliegen soll, wie dies Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO ausdrücklich vorsieht.
Aus dem Umstand, dass die in Art. 8 vorgesehenen Leistungen in Art. 5 Abs. 1 als Unterstützungsleistungen bezeichnet werden, lassen sich zeitliche Einschränkungen entgegen einzelnen Stimmen in der Literatur ebenfalls nicht ableiten. Der Ausdruck "Unterstützungsleistungen" mag für sich gesehen das Verständnis ermöglichen, dass es ausschließlich um Leistungen geht, die die Durchführung der ursprünglich vorgesehenen Beförderung ermöglichen sollen. Diesem Verständnis steht aber schon der Umstand entgegen, dass zu den Unterstützungsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 a FluggastrechteVO auch die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten gehört. Dass die Verordnung eine Reihe von Regelungen enthält, die das Luftfahrtunternehmen anhalten, eine möglichst zeitnahe Ersatzbeförderung anzubieten, führt entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Letztlich bedarf der Tatbestand des Art. 8 Abs. 1 c FluggastrechteVO auch nicht unter dem Aspekt der Missbrauchsgefahr einer einschränkenden Auslegung.
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