21.11.2023

Fluggastrechte nach Flugannullierung - Luftfahrtunternehmen muss zu zumutbaren Ersatzbeförderungen vortragen

Als zumutbare Maßnahmen iSv. Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO kommen nicht nur Ersatzbeförderungen in Betracht, mit denen die Verspätung am Endziel auf weniger als drei Stunden begrenzt werden kann. Dementsprechend sind Luftfahrtunternehmen gehalten, auch dann zu anderweitigen Möglichkeiten einer Ersatzbeförderung vorzutragen, wenn mit diesen eine Verspätung von mindestens drei Stunden gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan ebenfalls nicht zu vermeiden gewesen wäre.

BGH v. 10.10.2023 - X ZR 123/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Die Zedenten verfügten über eine bestätigte Buchung für einen von der Beklagten durchzuführenden Flug, der planmäßig am 8.1.2020 um 7:20 Uhr in Reykjavik starten und um 12:05 Uhr in München landen sollte. Der Flug wurde aufgrund einer Blizzardwarnung annulliert. Der vorhergesagte Blizzard führte zu Beeinträchtigungen des Flugverkehrs im Bereich des Flughafens Reykjavik. Die Nutzung der Fluggastbrücken wurde aus Sicherheitsgründen eingestellt.

Die Zedenten erreichten ihr Ziel mit einem Ersatzflug am 10.1.2020. Die Klägerin macht geltend, eine Ersatzbeförderungsmöglichkeit habe bereits am 9.1.2020 zur Verfügung gestanden.

Das AG wies die auf Ausgleichszahlung iHv. 800 € gerichtete Klage ab. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Die Revision vor dem BGH hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO, weil die Beklagte die Annullierung des Fluges auch nicht hätte vermeiden können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Umbuchungsmöglichkeiten könnten keine Berücksichtigung mehr finden, wenn auch damit weder die Annullierung noch eine Verspätung von mindestens drei Stunden zu vermeiden sei. Aufgrund der im konkreten Fall herrschenden Umstände habe für die Beklagte offenkundig keine Möglichkeit bestanden, die Zedenten derart umzubuchen, dass sie ihr Endziel innerhalb einer höchstens dreistündigen Verspätung erreicht hätten.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Beklagte gehalten, zu anderweitigen Möglichkeiten einer Ersatzbeförderung auch dann vorzutragen, wenn mit diesen eine Verspätung von mindestens drei Stunden gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan ebenfalls nicht zu vermeiden gewesen wäre.

Zu den gemäß der EuGH-Rechtsprechung gebotenen Maßnahmen gehört es, dem Fluggast eine mögliche anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anzubieten, den das betroffene oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt. Dem Luftfahrtunternehmen obliegt dabei der Nachweis, dass es ihm offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, die betroffenen Fluggäste durch zumutbare Maßnahmen der genannten Art schnellstmöglich anderweitig zu befördern (EuGH v. 14.1.2021 - C-264/20).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommen als zumutbare Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO nicht nur Ersatzbeförderungen in Betracht, mit denen die Verspätung am Endziel auf weniger als drei Stunden begrenzt werden kann.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist im Streitfall deshalb die Beklagte gehalten, näher vorzutragen, welche Möglichkeiten einer Ersatzbeförderung bestanden und welche Maßnahmen die Beklagte ergriffen hat. Das Berufungsgericht wird den Sachverhalt nach der Zurückverweisung diesbezüglich aufzuklären haben.

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Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 65

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