Gebot der Gefährdungsvermeidung - Wann reichen 50 cm Abstand nicht mehr aus?
LG Saarbrücken v. 10.11.2023, 13 S 8/23
Der Sachverhalt:
Die Beklagten zu 1) und 2) sind die Erben des mittlerweile verstorbenen H., der zum Zeitpunkt des Unfallereignisses mit seinem von ihm gehaltenen und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Fahrzeug unterwegs war. Der Kläger hatte zur gleichen Zeit sein Auto am Straßenrand geparkt und durch die hintere Tür auf der Fahrerseite beladen. Der H. fuhr in die geöffnete Fahrzeugtür des Klägers. Die Drittbeklagte regulierte ausgehend von einer Schadensteilung den Schaden am klägerischen Fahrzeug in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands von 3.135 € und einer Kostenpauschale von 25 € zzgl. der sich aus diesem Betrag ergebenden vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Der Kläger hat behauptet, die hintere linke Tür seines Fahrzeugs sei im Zeitpunkt der Kollision nur leicht geöffnet gewesen und habe nicht in den Verkehrsraum hineingeragt. Dies sei für heranfahrende Fahrzeuge bereits aus einigem Abstand erkennbar gewesen. Der Unfallgegner sei mit unzureichendem Seitenabstand am klägerischen Fahrzeug vorbeigefahren und habe dabei die Tür beschädigt, wobei er hierbei den Verkehrsraum verlassen habe. Er verlangte von den Beklagten als Gesamtschuldner weitere 1.567 €. Die Beklagten haben behauptet, die Tür des klägerischen Fahrzeuges sei plötzlich geöffnet worden, als sich das Fahrzeug des H. der späteren Unfallstelle genähert habe. Ein Ausweichen oder Bremsen sei nicht mehr möglich gewesen.
Das AG hat die Klage abgewiesen. Bei der nach § 17 StVG anzustellenden Abwägung der Verursachungsbeiträge überwiege die Beklagtenseite nicht, weswegen aus ihrer Sicht im schlechtesten Fall von einer Schadensteilung auszugehen sei. Die sich daraus ergebende Verpflichtung zum Ersatz der Hälfte des Schadens sei jedoch durch die vorgerichtliche Zahlung bereits erfüllt worden. Auf die Berufung des Klägers hat das LG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Zu Unrecht hat das AG keinen Verstoß der Beklagtenseite gegen § 1 Abs. 2 StVO in Form der Nichteinhaltung eines ausreichenden Seitenabstands angenommen.
Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm. eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht. Im Rahmen der Abwägung zwischen einem Verstoß gegen § 14 StVO und einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO tritt erster komplett zurück, wenn der Fahrer des parkenden Fahrzeugs auf einer gut einsehbaren Straße schon mindestens 10 Sekunden in der geöffneten Tür mit dem Verladen von Gegenständen befasst ist.
Im vorliegenden Fall war das Abstandsgebot nicht eingehalten worden. Denn selbst wenn man eine komplett geöffnete Tür unterstellt, betrug der Abstand zwischen dem Körper des klägerischen Fahrzeugs und dem äußersten Rand der geöffneten Tür höchstens 0,95 m, wonach der Abstand zwischen dem Hinterreifen und dem Fahrbandrand ca. 50 cm betrug. Zudem war erwiesen, dass sich der Kläger während des gesamten Verladevorgangs neben seinem Fahrzeug in der geöffneten Tür stehend befand. Letztlich war die Kammer davon überzeugt, dass der gesamte Verladevorgang schon mindestens 10 Sekunden angedauert hatte, bevor es zur streitgegenständlichen Kollision kam, sodass der Kläger aufgrund der gut einsehbaren Straße für H. ohne Weiteres erkennbar war. Der der Beklagtenseite anzulastende Verkehrsverstoß war somit bei Abwägung der beiden Ursachenbeiträge als bei weitem schwerwiegender anzusehen.
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