08.03.2024

Genehmigung der Einwilligung in eine OP an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen des Kindes

Die Kindeseltern können in operative Eingriffe an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen des nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung, die eine Angleichung des körperlichen Erscheinungsbildes des Kindes an das männliche oder weibliche Geschlecht zur Folge haben könnte, nur einwilligen, wenn der Eingriff nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden kann (§ 1631e Abs. 2 S. 1 BGB).

AG Mannheim v. 6.3.2024 - 8 F 1366/24
Der Sachverhalt:
Das 2023 geborene Kind der Antragsteller ist dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen. Ihre inneren weiblichen Geschlechtsorgane sind unauffällig. Ihr Chromosomensatz ist weiblich und es sind Eierstöcke sowie eine Gebärmutter vorhanden. Bei ihr ist jedoch ein Androgenitales Syndrom (AGS) diagnostiziert. Der eigentlich weibliche Körper produziert bereits pränatal vermehrt Sexualhormone (sog. Androgene), die in ihrer Wirkung dem männlichen Sexualhormon Testosteron entsprechen.

Aufgrund der fehlenden Trennung von Harn- und Geschlechtstrakt kommt es zu einer Flüssigkeitsfüllung in der Vagina und der Gebärmutter mit Urin, da diese unmittelbar mit der Harnblase verbunden sind. Damit einher geht ein erhöhtes Risiko von Harnwegsinfekten, welche im Zusammenspiel mit der vorhandenen Nebenniereninsuffizienz zu einer lebensbedrohlichen Krise (sog. Addison-Krise) führen können. Daneben könnte die Betroffene aufgrund des derzeit fehlenden Vaginaleingangs später keinen Geschlechtsverkehr haben.

Die Kindeseltern haben einen Antrag auf gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Operation nach § 1631e BGB gestellt. Dem Antrag beigefügt war die Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission i.S.d. § 1631e Abs. 4 BGB vom 19.01.2024, welche die Durchführung des operativen Eingriffs "zur Abwehr einer Gefährdung des Kindeswohles durch Komplikationen bei Unterlassung" empfohlen hat.

Das AG hat die Einwilligung der Kindeseltern in den operativen Eingriff bei ihrer Tochter familiengerichtlich genehmigt.

Die Gründe:
Die Kindeseltern können in operative Eingriffe an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen des nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung, die eine Angleichung des körperlichen Erscheinungsbildes des Kindes an das männliche oder weibliche Geschlecht zur Folge haben könnte, nur einwilligen, wenn der Eingriff nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden kann (§ 1631e Abs. 2 S. 1 BGB). Sofern dieser operative Eingriff nicht zur Abwehr einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Kindes erforderlich ist und daher nicht bis zur Erteilung der Genehmigung aufgeschoben werden kann, bedarf diese Einwilligung der Genehmigung des Familiengerichts (§ 1631e Abs. 3 S. 1 BGB). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Das bei dem Kind diagnostizierte Androgenitale Syndrom (AGS) ist eine Variante der Geschlechtsentwicklung nach der DSD-Klassifikation gemäß der Chicago-Konsensuskonferenz 2005. Der operative Eingriff hat eine Angleichung des körperlichen Erscheinungsbildes der Betroffenen an das weibliche Geschlecht zur Folge, da bei der Operation die Urethra von der Vagina getrennt wird und ein normal weiter Vaginaleingang in den Damm eingepflanzt wird. Der Eingriff kann auch nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung der Betroffenen aufgeschoben werden. Denn aufgrund der Sinus urogenitalis besteht das Risiko einer Harnwegsinfektion, die aufgrund der mit AGS einhergehenden Nebenniereninsuffizienz zu einer lebensbedrohlichen Krise führen kann.

Die Genehmigung war vorliegend zu erteilen, da der geplante Eingriff dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1631e Abs. 3 S. 2 BGB). Insofern greift die gesetzliche Vermutung des § 1631e Abs. 3 S. 3 BGB. Die Kindeseltern haben dem Gericht eine den Eingriff befürwortende Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission nach § 1631e Abs. 4 BGB vorgelegt. Das Gericht schließt sich der überzeugenden Stellungnahme der Kommission an, wonach die Operation im frühen Kindesalter medizinisch notwendig ist, um Schaden vom Kind abzuwehren. Die Angleichung ist auch keineswegs lediglich kosmetisch indiziert, sondern aus rein medizinischen Gründen erforderlich.

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