Gewaltschutzverfahren: Verfahrensmangel durch Treffen einer Hauptsacheentscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren
OLG Frankfurt a.M. v. 22.8.2023 - 6 UF 115/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind seit 2011 verheiratet. Nach wiederholten vorangegangenen Trennungen und Versöhnungen kam es am 1.10.2022 zur endgültigen Trennung und Auszug der Antragstellerin. Am 21.4.2023 begehrte die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem GewSchG. Zur Begründung trug sie vor, dass der Antragsgegner bereits kurz nach der Eheschließung gewalttätig geworden sei. Während des Zusammenlebens sei es immer wieder zu Streitigkeiten gekommen. Nach ihrem ersten Auszug im Februar 2020 habe der Antragsgegner gedroht, er werde sie umbringen. Seit der endgültigen Trennung lauere er ihr annähernd täglich bei ihrem Arbeitsplatz auf und fordere sie auf, nach Hause zu kommen. Sollte sie die Scheidung einreichen, werde er sie umbringen.
Der Antragsgegner hat sich nicht eingelassen und ist auch nicht zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung erschienen. Das AG hat in dem Termin die Sache erörtert und die Antragstellerin angehört. Die Antragstellerin stellte im Termin ihren Antrag aus dem Schriftsatz vom 21.4.2023 mit der Maßgabe, dass die Gewaltschutzanordnung nicht im Wege der einstweiligen Anordnung, sondern im Wege einer Hauptsacheanordnung für die Dauer von mindestens einem Jahr ergehen soll. Das AG räumte dem Antragsgegner daraufhin eine siebentägige Stellungnahmefrist zum neu gestellten Antrag ein und kündigte eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren an.
Mit dem angefochtenen, dem Antragsgegner am 13.6.2023 zugestellten Beschluss, hat das AG Maßnahmen nach dem GewSchG für die Dauer bis zum 06.6.2024 angeordnet. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG den Beschluss des Familiengerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Das vom AG geführte Verfahren litt an einem wesentlichen Mangel, der auf Antrag der Antragstellerin gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG zur Zurückverweisung führte. Der angefochtene Beschluss konnte keinen Bestand haben. Das Familiengericht hat in einem einstweiligen Anordnungsverfahren eine Hauptsacheentscheidung getroffen, ohne ausreichend rechtliches Gehör zu gewähren und die gebotenen Ermittlungen durchzuführen.
Im vorliegenden Verfahren handelt es sich gem. § 210 FamFG um eine Gewaltschutzsache. In einem solchen Verfahren hat das Gericht gem. § 26 FamFG von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und hierzu gegebenenfalls einen Erörterungstermin zu bestimmen. Mangels Sondervorschriften steht dabei zwar die Anordnung eines Termins zur mündlichen Erörterung mit den Beteiligten nach § 32 Abs. 1 Satz 1 FamFG im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Der Gegenstand des Verfahrens, die Personen der Beteiligten, die Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens oder andere verfahrensbezogene Umstände können jedoch einen mündlichen Erörterungstermin sachdienlich erscheinen lassen, insbesondere zur Sachverhaltsaufklärung, zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und der Herbeiführung einer gütlichen Einigung, wobei letzteres in Gewaltschutzverfahren wegen § 36 Abs. 1 Satz 2 FamFG ausscheidet.
Vorliegend war ein Erörterungstermin zur Gewährung rechtlichen Gehörs und zur Durchführung der erforderlichen Ermittlungen geboten. Nachdem das Verfahren auf den Antrag der Antragstellerin zunächst als einstweiliges Anordnungsverfahren eingeleitet worden war, hat diese im Termin ihren Antrag geändert und stattdessen eine Hauptsacheentscheidung erwirken wollen. Zwar hat das AG dem Antragsgegner rechtliches Gehör zum Vorbringen der Antragstellerin im Termin und auch zum neu gestellten Antrag gewährt, indem es ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche eingeräumt hatte. Auf den beabsichtigten Wechsel der Verfahrensart und den beabsichtigten Erlass einer Hauptsacheentscheidung hat das AG den anwaltlich nicht vertretenen Antragsgegner aber nicht hingewiesen.
Ob eine siebentägige Stellungnahmefrist in Anbetracht dessen ausreichend war, dürfte bereits fraglich sein. Der Wechsel der Verfahrensart vollzog sich im Weiteren ohne Verlautbarung nach außen und ohne in der Akte ersichtliche Verfügung durch die Änderung des Aktenzeichens. Mit dem Erlass einer Entscheidung in einer Hauptsache musste der Antragsgegner wegen § 51 Abs. 3 FamFG nicht rechnen. Danach ist ein einstweiliges Anordnungsverfahren ein vom Hauptsacheverfahren selbständiges und damit getrennt zu führendes Verfahren. Die verfahrensrechtliche Eigenständigkeit des Verfahrens bedingt, dass ein Wechsel der Verfahrensart, also ein Übergang vom einstweiligen Anordnungsverfahren zum Hauptsacheverfahren nicht möglich ist.
In Anbetracht des Umstandes, dass der Antragsgegner als Naturalpartei gerichtsunerfahren ist, genügte die Einräumung einer Stellungnahmefrist nicht. Vielmehr wäre vorliegend zur Gewährung (ausreichenden) rechtlichen Gehörs ein Erörterungstermin im Hauptsacheverfahren notwendig gewesen. Überdies wären dabei von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen gewesen, um die entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen.
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Der Antragsgegner hat sich nicht eingelassen und ist auch nicht zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung erschienen. Das AG hat in dem Termin die Sache erörtert und die Antragstellerin angehört. Die Antragstellerin stellte im Termin ihren Antrag aus dem Schriftsatz vom 21.4.2023 mit der Maßgabe, dass die Gewaltschutzanordnung nicht im Wege der einstweiligen Anordnung, sondern im Wege einer Hauptsacheanordnung für die Dauer von mindestens einem Jahr ergehen soll. Das AG räumte dem Antragsgegner daraufhin eine siebentägige Stellungnahmefrist zum neu gestellten Antrag ein und kündigte eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren an.
Mit dem angefochtenen, dem Antragsgegner am 13.6.2023 zugestellten Beschluss, hat das AG Maßnahmen nach dem GewSchG für die Dauer bis zum 06.6.2024 angeordnet. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG den Beschluss des Familiengerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Das vom AG geführte Verfahren litt an einem wesentlichen Mangel, der auf Antrag der Antragstellerin gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG zur Zurückverweisung führte. Der angefochtene Beschluss konnte keinen Bestand haben. Das Familiengericht hat in einem einstweiligen Anordnungsverfahren eine Hauptsacheentscheidung getroffen, ohne ausreichend rechtliches Gehör zu gewähren und die gebotenen Ermittlungen durchzuführen.
Im vorliegenden Verfahren handelt es sich gem. § 210 FamFG um eine Gewaltschutzsache. In einem solchen Verfahren hat das Gericht gem. § 26 FamFG von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und hierzu gegebenenfalls einen Erörterungstermin zu bestimmen. Mangels Sondervorschriften steht dabei zwar die Anordnung eines Termins zur mündlichen Erörterung mit den Beteiligten nach § 32 Abs. 1 Satz 1 FamFG im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Der Gegenstand des Verfahrens, die Personen der Beteiligten, die Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens oder andere verfahrensbezogene Umstände können jedoch einen mündlichen Erörterungstermin sachdienlich erscheinen lassen, insbesondere zur Sachverhaltsaufklärung, zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und der Herbeiführung einer gütlichen Einigung, wobei letzteres in Gewaltschutzverfahren wegen § 36 Abs. 1 Satz 2 FamFG ausscheidet.
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