03.12.2024

Haftung des Krankenhausträgers für Fehler des Durchgangsarztes bei Erstversorgung nach Arbeitsunfall?

Ordnet der Durchgangsarzt nach der als (öffentlich-rechtliche Amtsausübung ein-zuordnenden) Erstversorgung des Unfallverletzten die besondere ambulante Heilbehandlung an und übernimmt diese, haftet er für Behandlungsfehler bei dieser besonderen ambulanten Heilbehandlung persönlich. Dies gilt auch, wenn der Durchgangsarzt zugleich bei einem Krankenhausträger angestellt ist.

LG Flensburg v. 22.11.2024, 3 O 324/16
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Trägerin einer Klinik. Sie ist ein nach dem Verletzungsartenverfahren (im Folgenden auch: VAV-Verfahren) für die stationären Heilverfahren von gesetzlich Unfallversicherten zugelassenes Krankenhaus. Die Streithelferin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Kläger war Baggerführer. Am 26.6.2015 hatte er beim Betanken eines Baggers einen Arbeitsunfall erlitten und sich an der linken Schulter verletzt. Die durchgangsärztliche Erstversorgung erfolgte im Klinikum der Beklagten. Der Durchgangsarzt (D-Arzt) ordnete wegen mangelnder OP-Kapazität zunächst die besondere ambulante Heilbehandlung mit Ruhigstellung und Wiedervorstellung am 29.6.2015 an. Fehler bei dieser Erstversorgung rügte der Kläger nicht.

Es folgten zwei Operationen und zahlreiche ambulante Nachbehandlungen. Der Kläger warf der Beklagten mehrere Behandlungsfehler vor. Nach der zweiten Operation am 23.7.2015 sei der erneute Ausriss der Supraspinatussehne verkannt worden. In der Folge sei einer operative Refixation aufgrund des Zeitablaufs unmöglich geworden. Der Kläger leide nun unter einem Dauerschaden, benötige für beinahe sämtliche Verrichtungen des Lebens Hilfe, leide unter ständigen Schmerzen und einer psychischen Belastung. Infolgedessen sei ein Schmerzensgeld von mind. 30.000 € gerechtfertigt.

Der Kläger meinte weiter, die Behandlung durch die Ärzte der Beklagten sei auf Grundlage eines Krankenhausaufnahmevertrags i.S. eines totalen Krankenhausvertrags erfolgt. Daraus folge eine Haftung der Beklagte für Fehler ihrer Ärzte auch im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen stationären besonderen Heilbehandlung. Nur im Falle einer ambulanten besonderen Heilbehandlung fehle es an der Haftung des Krankenhausträgers. Die Beklagte meinte, eine Haftung käme schon nicht in Betracht, da die im VAV-Verfahren erfolgte besondere stationäre Behandlung als durchgangsärztliche Heilbehandlung des konkreten Arztes und nicht als Heilbehandlung durch den Krankenhausträger erfolge. Eine Haftung der Beklagten komme daher für die stationäre Behandlung des Klägers nicht in Betracht. Erst recht falle die berufsgenossenschaftliche ambulante Behandlung des Klägers nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schmerzensgeld, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der ärztlichen Pflichten aus dem Behandlungsvertrag (§ 280 Abs. 1, § 630a, §§ 249, 253 BGB) noch nach Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1, §§ 249, 253 BGB).

Für die den Zeitraum der ambulanten besonderen Heilbehandlung betreffenden Behandlungsfehlerrügen fehlte es an der Passivlegitimation der Beklagten. Ordnet der Durchgangsarzt nach der als (öffentlich-rechtliche Amtsausübung ein-zuordnenden) Erstversorgung des Unfallverletzten die besondere ambulante Heilbehandlung an und übernimmt diese, haftet er für Behandlungsfehler bei dieser besonderen ambulanten Heilbehandlung persönlich (BGH, Urt. v. 30.7.2024 - VI ZR 115/22; BGH, Urt. v. 10.3.2020 - VI ZR 281/19). Dies gilt auch, wenn der Durchgangsarzt zugleich bei einem Krankenhausträger angestellt ist. Eine Haftung des Krankenhausträger kommt insoweit nicht in Betracht, weil der zum Durchgangsarzt bestellte Arzt eines Krankenhauses die ambulante Behandlung eines Unfallverletzten im Durchgangsarztverfahren nicht aufgrund des mit dem Krankenhausträger bestehenden Anstellungsverhältnisses, sondern unabhängig hiervon aufgrund der Bestellung durch die Berufsgenossenschaften als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ausführt.

So lag der Fall hier. Ausweislich der Behandlungsdokumentation erfolgte die postoperative Versorgung des Klägers beider Operationen im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen besonderen ambulanten Heilbehandlung durch den im Hause der Beklagten tätigen D-Arzt, der jeweils gegenüber der Streithelferin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung aus dem VAV-Verfahren berichtete. Für etwaige Fehler bei dieser ambulanten Behandlung des Klägers im Durchgangsarztverfahren hätte die Beklagte nicht einzustehen.

Demgegenüber ging die Kammer für die durchgeführten zwei stationären besonderen Heilbehandlungen im Verletzungsartenverfahren davon aus, dass der Kläger mit der Beklagten als Krankenhausträger einen totalen Krankenhausaufnahmevertrag geschlossen hatte. Leitet der Durchgangsarzt hingegen eine stationäre besondere Heilbehandlung im stationären Durchgangsarztverfahren, Verletzungsartenverfahren oder im Schwerstverletzungsartenverfahren ein, kommt für die stationäre besondere Heilbehandlung ein totaler Krankenhausvertrag zwischen dem Krankenhausträger und dem Unfallverletzten zustande. Für den Zeitraum der stationären besonderen Heilbehandlung konnten jedoch keine Behandlungsfehler festgestellt werden.

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Aufsatz
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