20.04.2021

Hälftige Gewerbemiete bei einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung wegen Corona

Bei einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung wegen der Corona-Pandemie kann die Gewerbemiete wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf die Hälfte herabzusetzen sein. Eine Existenzbedrohung des Mieters muss nicht im Einzelfall festgestellt werden.

KG Berlin v. 1.4.2021 - 8 U 1099/20
Der Sachverhalt:
Der Beklagte begehrt in diesem Verfahren als Eigentümer einer als Spielhalle vermieteten Gewerbeeinheit im Wege einer Widerklage die Zahlung der restlichen Gewerbemiete für die Monate April und Mai 2020.

Das LG wies die Widerklage ab. Das KG gab ihr teilweise statt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision zum BGH wurde zugelassen.

Die Gründe:
Der Beklagte hat Anspruch auf eine hälftige Zahlung der ausstehenden Miete. Die Klägerin kann sich wegen der Schließungsanordnung des Landes Berlin auf die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB berufen, sodass der vertraglich vereinbarte Mietzins um 50 % zu reduzieren ist. Der Mietzahlungsanspruch für die Monate April und Mai 2020 ist zwar nicht aufgrund des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020 zu verneinen, da dieses ohnehin nur bis zum 30.6.2020 geregelte Leistungsverweigerungsrecht nicht für Miet- und Pachtverträge gilt. Die Miete ist aber wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB anzupassen und - für den hier vorliegenden Fall der vollständigen Schließung des Geschäftsbetriebes der Mieterin - um 50 % zu reduzieren.

Zur Geschäftsgrundlage der Parteien als Vermieter und Mieterin von Geschäftsräumen gehört auch die Vorstellung, dass es nicht zu einer Pandemie mit weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens infolge pandemiebedingter Nutzungsuntersagungen und -beeinträchtigungen kommen wird, so dass das Auftreten einer Pandemie mit den entsprechenden weitreichenden staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche und soziale Leben eine schwerwiegende Änderung der für die Vertragslaufzeit vorgestellten Umstände bedeutet und damit das tatsächliche Element der Störung der Geschäftsgrundlage verwirklicht. Vorliegend hat die Klägerin die Räume, die sie vor Beginn der Pandemie angemietet hat, durch hierzu ergangene staatliche Vorschriften oder Anordnungen über die Schließung überhaupt nicht in der vertraglich vorgesehenen Weise für ihr Gewerbe nutzen können. Es liegt daher nahe, dass die Vertragsparteien, wenn sie diese Veränderung vorhergesehen hätten, den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten. Dabei ist zu vermuten, dass eine Mietabsenkung für den Zeitraum einer zweimonatigen Zwangsschließung der Spielhalle vereinbart worden wäre, wenn die Parteien die Beschränkungen im Zuge der Covid-Pandemie vorhergesehen hätten.

Es geht im Streitfall nicht um ein "normales" Risiko der Gebrauchstauglichkeit bzw. Verwendung des Mietobjekts, sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie, die als Systemkrise eine Störung der Geschäftsgrundlage ist. Das mit der Störung der Geschäftsgrundlage verbundene Risiko kann daher regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Der aufgrund der Pandemie staatlich angeordnete Shutdown stellt einen derart tiefgreifenden, unvorhersehbaren, außerhalb der Verantwortungssphäre beider Vertragsparteien liegenden und potenziell existenzgefährdenden Eingriff in die im Vertrag vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit dar, dass - unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls - die Nachteile solidarisch von beiden Vertragsparteien zu tragen sind und die Miete daher bei vollständiger Betriebsuntersagung zur Hälfte zu reduzieren ist. Dabei muss eine konkrete Existenzbedrohung für den Mieter anhand seiner betriebswirtschaftlichen Daten nicht positiv festgestellt werden, sondern die unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen im Sinne der Rechtsprechung des BGH sind auch dann zu vermuten, wenn eine angeordnete Schließung einen Monat oder länger andauert.
KG Berlin PM Nr. 19 vom 16.4.2021
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