06.06.2023

Kabelschaden durch Rammarbeiten: Wer haftet?

Die Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die im Zuge von Straßenbauarbeiten der öffentlichen Hand neue Fahrzeugrückhaltesysteme (Schutzplanken) montieren, handeln nicht in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes, wenn das beauftragte Fachunternehmen bei den zu erbringenden Montagearbeiten, die der Daseinsvorsorge dienen und bei denen der hoheitliche Charakter daher nicht im Vordergrund steht, über einen relevanten eigenen Ausführungsspielraum verfügt. Bei schuldhafter Beschädigung fremder Versorgungsleitungen (hier: durch Rammarbeiten) haftet das private Unternehmen nach § 823 Abs. 1 BGB.

BGH v. 13.4.2023 - III ZR 215/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt ein Asphaltmischwerk. Die Beklagte, ein deutschlandweit tätiges Tief- und Straßenbauunternehmen, war im April 2019 mit Zuschlagsschreiben des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein im Namen und für Rechnung des Streithelfers der Klägerin (Straßenbaulastträger) im Zuge der grundhaften Erneuerung einer Straße mit der Montage neuer Fahrzeugrückhaltesysteme (Schutz- bzw. Leitplanken) beauftragt worden. Anlässlich einer Baubesprechung wurde festgehalten, dass das Herstellen der Suchgräben durch die S. AG die Beklagte nicht von ihrer Pflicht entbinde, sich über vorhandene Versorgungsleitungen im Bereich der aufzustellenden Fahrzeugrückhaltesysteme bei den Versorgungsträgern zu informieren.

Am 23.7.2019 beschädigten Mitarbeiter der Beklagten im Zuge der Schutzplankenmontage bei Rammarbeiten ein erdverlegtes Stromkabel. Eigene Erkundigungen zur Lage etwaiger Versorgungsleitungen hatte die Beklagte zuvor nicht vorgenommen. Sie verließ sich vielmehr auf von der S. AG gesetzte Markierungspfosten und auf dem Straßenbelag angebrachte farbige Markierungen sowie eine von dieser erstellten Planskizze. Aufgrund des Kabelschadens kam es zu einem mehrstündigen Stromausfall, wodurch in dem Asphaltmischwerk der Klägerin die Anlagensteuerung beschädigt wurde, was einen vorübergehenden Stillstand der Produktion zur Folge hatte.

Die Klägerin und ihr Streithelfer waren der Ansicht, die Beklagte sei passivlegitimiert und hafte gem. § 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz. Die Beauftragung der Beklagten stelle sich weder als Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben dar, noch sei diese als Verwaltungshelferin bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig geworden. Die Beklagte habe vielmehr eine eigenständige zivilrechtliche Erkundigungs- und Sicherungspflicht bezüglich der beschädigten Versorgungsleitung verletzt. Die Beklagte hielt dagegen, sie sei als Verwaltungshelferin ohne eigenen Gestaltungsspielraum bei der Errichtung der Schutzplanken tätig geworden. Auf die Erkundigungen und Suchgrabungen der S. AG habe sie sich verlassen dürfen.

Das LG hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 35.211 € verurteilt. Der BGH hat diese Entscheidung bestätigt.

Gründe:
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte gem. § 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz haftet. Sie war nicht als Verwaltungshelferin des Straßenbaulastträgers tätig geworden, sondern hatte die Leitplanken als private Fachfirma in eigener Verantwortung und mit einem relevanten eigenen Ausführungsspielraum montiert.

In seinem Anwendungsbereich verdrängt § 839 BGB als vorrangige Spezialregelung zwar konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff BGB. Im Rahmen der Haftung nach § 839 BGB tritt gem. Art. 34 Satz 1 GG - im Wege der befreienden Haftungsübernahme - der Staat bzw. die jeweilige Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegner des Geschädigten an die Stelle dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat; in diesem Falle scheidet eine persönliche Haftung des Amtsträgers gegenüber dem Geschädigten aus. Der Anwendungsbereich der Amtshaftung gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG war hier jedoch nicht eröffnet, da die Mitarbeiter der Beklagten bei der Montage der Schutzplanken nicht in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hatten.

Zwar können auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies kommt neben den Fällen der Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben auch dann in Betracht, wenn Private als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werden. Das OLG hat die Verwaltungshelfereigenschaft der Beklagten unter Zugrundelegung dieses Maßstabs allerdings zutreffend verneint. Bei den von ihr zu erbringenden Montagearbeiten stand der hoheitliche Charakter nicht im Vordergrund. Die Beklagte verfügte zudem über einen relevanten eigenen Ausführungsspielraum.

Zwar handelt es sich bei der Montage von Schutzplanken im Rahmen der Erneuerung einer öffentlichen Straße als Maßnahme der Verkehrssicherung um eine hoheitliche Aufgabe. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 StrWG SH werden die mit dem Bau, der Unterhaltung und der Überwachung der Verkehrssicherheit der öffentlichen Straßen zusammenhängenden Aufgaben als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit wahrgenommen. Der hoheitliche Charakter steht bei der Errichtung von Schutzplanken jedoch nicht im Vordergrund. Vielmehr handelt es sich um eine Maßnahme im Bereich der Daseinsvorsorge. Hier ist eine Haftung des Staates für das Handeln Privater zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, allerdings ist sie nicht in gleicher Weise geboten wie im Bereich der Eingriffsverwaltung, in dem der Staat mit hoheitlichen Anordnungen in die Rechts- und Freiheitssphäre von Bürgern eingreift und sich daher nicht der eigenen Haftung dadurch entziehen kann, dass er die Durchführung einer Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt.

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Aufsatz

Peter Itzel
Neuere Entwicklungen im Amts‑, Staatshaftungs- und Entschädigungsrecht
MDR 2023, 261

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