Kein Widerspruchsrecht des Mieters gegen ordentliche Kündigung - auch nach Schonfristzahlung
BGH v. 1.7.2020 - VIII ZR 323/18
Der Sachverhalt:
Der (inzwischen verstorbene) Ehemann der Beklagten zu 1 hatte 1987 von der Rechtsvorgängerin der Kläger eine Zweieinhalbzimmerwohnung in Berlin angemietet. Die Beklagte zu 1 lebt seit 1989 in der Wohnung und ist nach dem Tod ihres Ehegatten im Jahr 2004 in das Mietverhältnis eingetreten. Im Jahr 2007 zog auch ihr Lebensgefährte, der Beklagte zu 2, in die Wohnung ein, in der sie nunmehr mit ihren gemeinsamen minderjährigen Kindern (geboren in den Jahren 2011 und 2014) leben. Die Miete betrug zuletzt einschließlich Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung 563,92 €.
Nachdem ein Zahlungsrückstand von 1.629,16 € (1.303,85 € Grundmiete und 325,31 € Betriebskostennachzahlung) aufgelaufen war, kündigten die Kläger mit Schreiben vom 24.2.2016 das Mietverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Wegen des vorgenannten Rückstands erhoben die Kläger in einem Vorprozess Klage auf Zahlung rückständiger Miete gegen die Beklagte zu 1, die daraufhin mit Urteil vom 21.6.2017 antragsgemäß zur Zahlung verurteilt wurde. Ende Juli 2017 summierte sich der Mietrückstand auf 2.757 €.
Mit der vorliegenden Klage haben die Kläger zunächst die Beklagte zu 1 und durch Klagerweiterung in der Berufungsinstanz auch den Beklagten zu 2 auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch genommen, wobei sie wegen des Rückstands per Ende Juli 2017 in der Klagschrift erneut die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung ausgesprochen haben. Die Mietrückstände sind innerhalb der Schonfrist vom Jobcenter vollständig beglichen worden. Die Beklagte zu 1 hat geltend gemacht, die Beendigung des Mietverhältnisses stelle für sie angesichts der langen Wohndauer und der damit einhergehenden Verwurzelung, wegen fehlenden Ersatzwohnraums sowie mit Rücksicht auf die bei beiden Kindern bestehenden Entwicklungsauffälligkeiten eine unzumutbare Härte dar.
Das AG hat der Räumungsklage gegen die Beklagte zu 1 stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 1 hat das LG durch Teilurteil bezüglich der Beklagten zu 1 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, die Räumungsklage insoweit abgewiesen und ausgesprochen, dass sich das Mietverhältnis nach §§ 574, 574a BGB infolge einer nicht zu rechtfertigenden Härte auf unbestimmte Zeit verlängere. Im Hinblick auf die gegen den Beklagten zu 2 gerichtete Räumungsklage hat das Berufungsgericht das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Auf die Revision der Kläger hat der BGH das Teilurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Berufungsgericht hat ein unzulässiges Teilurteil erlassen, das bereits aus diesem Grund der Aufhebung unterliegt. Nach der ständigen BGH-Rechtsprechung ist ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Demnach durfte das Berufungsgericht ein klageabweisendes Teilurteil gegen die Beklagte zu 1 nicht mit der Begründung erlassen, sie habe der ordentlichen Kündigung der Kläger wirksam widersprochen, weil diese für sie eine unbillige Härte bedeute, so dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen sei.
Diese Begründung berührt, entgegen der rechtsirrigen Annahme des Berufungsgerichts, nicht allein das Rechtsverhältnis der Kläger zur Beklagten zu 1, sondern auch das Rechtsverhältnis zum Beklagten zu 2. Denn bestünde ein Herausgabeanspruch der Kläger gegen die Beklagte zu 1 nicht, wären die Anspruchsvoraussetzungen des § 546 Abs. 2 BGB, der einen Herausgabeanspruch des Vermieters nach Beendigung des Mietverhältnisses gegen den mitbesitzenden Dritten - hier den Beklagten zu 2 - regelt, nicht erfüllt. Allein dies führt zu einer materiell-rechtlichen Verzahnung der Räumungsansprüche der Kläger gegen die Beklagten zu 1 und 2. Aufgrund dessen besteht auch die Gefahr divergierender Entscheidungen.
Zudem hat das LG verkannt, dass das Widerspruchsrecht der Beklagten zu 1 gem. § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist. Die - vom Berufungsgericht nicht im Einzelnen geprüften - Voraussetzungen einer richterlichen Rechtsfortbildung im Wege einer teleologischen Reduktion liegen nicht vor. Der nach Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB gegebene Anspruch des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses ist nach § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Vermieter die außerordentliche Kündigung erklärt hat; es genügt, wenn dem Vermieter bei Zugang der ordentlichen Kündigung (auch) ein Recht zur fristlosen Kündigung zusteht.
Eine fristgerechte Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ändert an dem Ausschluss des Fortsetzungsanspruchs des Mieters nichts, da sie einer ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung im Wege der gesetzlichen Fiktion lediglich rückwirkend deren Gestaltungswirkung nimmt, nicht aber dazu führt, dass ein Grund für die fristlose Kündigung von vornherein nicht bestand. Für eine teleologische Reduktion von § 574 Abs. 1 BGB dahin, dass das Widerspruchsrecht des Mieters mit fristgerechter Schonfristzahlung neu entsteht oder wiederauflebt, ist kein Raum, da es an einer hierfür notwendigen planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes - verdeckten Regelungslücke - fehlt.
BGH online
Der (inzwischen verstorbene) Ehemann der Beklagten zu 1 hatte 1987 von der Rechtsvorgängerin der Kläger eine Zweieinhalbzimmerwohnung in Berlin angemietet. Die Beklagte zu 1 lebt seit 1989 in der Wohnung und ist nach dem Tod ihres Ehegatten im Jahr 2004 in das Mietverhältnis eingetreten. Im Jahr 2007 zog auch ihr Lebensgefährte, der Beklagte zu 2, in die Wohnung ein, in der sie nunmehr mit ihren gemeinsamen minderjährigen Kindern (geboren in den Jahren 2011 und 2014) leben. Die Miete betrug zuletzt einschließlich Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung 563,92 €.
Nachdem ein Zahlungsrückstand von 1.629,16 € (1.303,85 € Grundmiete und 325,31 € Betriebskostennachzahlung) aufgelaufen war, kündigten die Kläger mit Schreiben vom 24.2.2016 das Mietverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Wegen des vorgenannten Rückstands erhoben die Kläger in einem Vorprozess Klage auf Zahlung rückständiger Miete gegen die Beklagte zu 1, die daraufhin mit Urteil vom 21.6.2017 antragsgemäß zur Zahlung verurteilt wurde. Ende Juli 2017 summierte sich der Mietrückstand auf 2.757 €.
Mit der vorliegenden Klage haben die Kläger zunächst die Beklagte zu 1 und durch Klagerweiterung in der Berufungsinstanz auch den Beklagten zu 2 auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch genommen, wobei sie wegen des Rückstands per Ende Juli 2017 in der Klagschrift erneut die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung ausgesprochen haben. Die Mietrückstände sind innerhalb der Schonfrist vom Jobcenter vollständig beglichen worden. Die Beklagte zu 1 hat geltend gemacht, die Beendigung des Mietverhältnisses stelle für sie angesichts der langen Wohndauer und der damit einhergehenden Verwurzelung, wegen fehlenden Ersatzwohnraums sowie mit Rücksicht auf die bei beiden Kindern bestehenden Entwicklungsauffälligkeiten eine unzumutbare Härte dar.
Das AG hat der Räumungsklage gegen die Beklagte zu 1 stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 1 hat das LG durch Teilurteil bezüglich der Beklagten zu 1 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, die Räumungsklage insoweit abgewiesen und ausgesprochen, dass sich das Mietverhältnis nach §§ 574, 574a BGB infolge einer nicht zu rechtfertigenden Härte auf unbestimmte Zeit verlängere. Im Hinblick auf die gegen den Beklagten zu 2 gerichtete Räumungsklage hat das Berufungsgericht das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Auf die Revision der Kläger hat der BGH das Teilurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Berufungsgericht hat ein unzulässiges Teilurteil erlassen, das bereits aus diesem Grund der Aufhebung unterliegt. Nach der ständigen BGH-Rechtsprechung ist ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Demnach durfte das Berufungsgericht ein klageabweisendes Teilurteil gegen die Beklagte zu 1 nicht mit der Begründung erlassen, sie habe der ordentlichen Kündigung der Kläger wirksam widersprochen, weil diese für sie eine unbillige Härte bedeute, so dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen sei.
Diese Begründung berührt, entgegen der rechtsirrigen Annahme des Berufungsgerichts, nicht allein das Rechtsverhältnis der Kläger zur Beklagten zu 1, sondern auch das Rechtsverhältnis zum Beklagten zu 2. Denn bestünde ein Herausgabeanspruch der Kläger gegen die Beklagte zu 1 nicht, wären die Anspruchsvoraussetzungen des § 546 Abs. 2 BGB, der einen Herausgabeanspruch des Vermieters nach Beendigung des Mietverhältnisses gegen den mitbesitzenden Dritten - hier den Beklagten zu 2 - regelt, nicht erfüllt. Allein dies führt zu einer materiell-rechtlichen Verzahnung der Räumungsansprüche der Kläger gegen die Beklagten zu 1 und 2. Aufgrund dessen besteht auch die Gefahr divergierender Entscheidungen.
Zudem hat das LG verkannt, dass das Widerspruchsrecht der Beklagten zu 1 gem. § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist. Die - vom Berufungsgericht nicht im Einzelnen geprüften - Voraussetzungen einer richterlichen Rechtsfortbildung im Wege einer teleologischen Reduktion liegen nicht vor. Der nach Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB gegebene Anspruch des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses ist nach § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Vermieter die außerordentliche Kündigung erklärt hat; es genügt, wenn dem Vermieter bei Zugang der ordentlichen Kündigung (auch) ein Recht zur fristlosen Kündigung zusteht.
Eine fristgerechte Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ändert an dem Ausschluss des Fortsetzungsanspruchs des Mieters nichts, da sie einer ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung im Wege der gesetzlichen Fiktion lediglich rückwirkend deren Gestaltungswirkung nimmt, nicht aber dazu führt, dass ein Grund für die fristlose Kündigung von vornherein nicht bestand. Für eine teleologische Reduktion von § 574 Abs. 1 BGB dahin, dass das Widerspruchsrecht des Mieters mit fristgerechter Schonfristzahlung neu entsteht oder wiederauflebt, ist kein Raum, da es an einer hierfür notwendigen planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes - verdeckten Regelungslücke - fehlt.