Keine Einbestellungspflicht wegen kontrollbedürftiger Befunde bei Versäumnis durch die Patientin
OLG Köln v. 17.6.2024 - 5 U 133/23Die 1969 geborene Klägerin war seit 1999 zur regelmäßigen gynäkologischen Betreuung in der Praxis der Beklagten. Dabei wurden auch regelmäßige Krebsvorsorgeuntersuchungen durchgeführt. Am 21.6.2017 zeigte sich bei der Untersuchung der linken Brust der Klägerin eine Verhärtung. Die Beklagte führte eine Mammasonographie durch und sprach die Empfehlung zu einer Kontrolle in drei Monaten aus. Am 28.11.2017 war eine oberflächliche Hautrötung an der Brust sichtbar. Die Beklagte empfahl eine erneute Kontrolle bei Verschlechterung/Veränderung. Ob darüber hinaus auch eine Empfehlung zur erneuten Verlaufskontrolle nach drei Monaten ausgesprochen worden war, blieb zwischen den Parteien streitig. Am 17.4.2018 meldete sich die Klägerin telefonisch bei der Beklagten und gab an, der rote Fleck auf der Brust sei größer geworden und geschwulstartig nach außen gewachsen. Ab dem 22.1.2019 wurde die Klägerin von einem anderen Arzt chemotherapeutisch behandelt und mehrmals operiert.
Die Klägerin behauptete, es seien sowohl bei der Vorstellung bei den Beklagten im Juni 2017 als auch bei der weiteren Vorstellung im November 2017 aufgrund der bestehenden Auffälligkeiten weitergehende Befunderhebungen zur Abklärung eines tumorösen Geschehens geboten gewesen. Diese seien pflichtwidrig unterblieben und nichts veranlasst worden. Die Diagnose eines malignomverdächtigen Herdbefundes sei fehlerhaft nicht gestellt worden.
Die Beklagte behauptete, die Behandlung sei fachgerecht erfolgt. Die im Juni 2017 und November 2017 erhobenen Befunde seien zwar kontrollbedürftig, nicht aber suspekt gewesen und hätten richtigerweise zu dem Ausspruch engmaschiger Kontrollempfehlungen nach drei Monaten bzw. sofort bei Verschlechterung/Veränderungen geführt. Es sei nicht den Beklagten anzulasten, dass die Klägerin der im November 2017 ausgesprochenen Kontrollempfehlung nicht gefolgt sei. Die Klägerin habe sich erst im April 2018 erneut telefonisch in der Praxis gemeldet und von zwischenzeitlich aufgetretenen gravierenden Veränderungen berichtet.
Das LG hat die auf Schmerzensgeld i.H.v. 85.000 € gerichtete Klage abgewiesen. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.
Die Gründe:
Der Senat folgte dem LG darin, dass nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme Fehler im Rahmen der ambulanten Behandlung der Klägerin am 21.6.2017 nicht festzustellen waren. Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten eindeutig ausgeführt, am 21.6.2017 seien keine Befunde erhoben worden, die die Veranlassung weitergehender Abklärungen erforderlich gemacht hätten. Zwar habe die durchgeführte Tastuntersuchung an diesem Tag erstmalig eine Verhärtung an der linken Brust der Klägerin links oben außen gezeigt. Auf diesen Befund sei auch reagiert und eine ergänzende Mammasonographie durchgeführt worden. Dieses Vorgehen und die Durchführung der Untersuchung hatte der sachverständige als fachgerecht bezeichnet. Auch für die nächste Wiedervorstellung der Klägerin in der Praxis der Beklagten am 28.11.2017 hat sich das LG zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen nicht von einem fehlerhaften Vorgehen überzeugen können.
Nimmt der Patient einen wegen kontrollbedürftiger Befunde vereinbarten Wiedervorstellungstermin nicht wahr, trifft den Arzt keine Verpflichtung, den Patienten von sich aus einzubestellen. Es lag daher im Grundsatz bei der Klägerin, sich nach Ablauf des Kontrollintervalls erneut bei den Beklagten vorzustellen. Eine Rechtsgrundlage für eine sog. "Einbestellungspflicht" war nicht ersichtlich. Der Annahme einer solchen stand bereits im Ansatz entgegen, dass es in der freien Entscheidung des Patienten steht, ob, wann und bei welchem Arzt er sich behandeln lässt. Der Arzt darf insoweit ein eigenverantwortliches Verhalten des Patienten voraussetzen. Die Vorstellung einer zwangsweisen Einbestellung und Behandlung stößt einerseits auf praktische Bedenken und ist andererseits der Rechtsordnung fremd. Ohnehin stehen dem Arzt Mittel zur Durchsetzung einer Einbestellung gegenüber dem Patienten nicht zur Verfügung.
Es bedurfte auch keines expliziten Hinweises an die Klägerin, dass die anempfohlene Kontrolle der Abklärung eines konkreten Tumorverdachts dienen sollte. Unabhängig davon, dass die Kommunikation suspekter Befunde gegenüber dem Patienten sich für den Behandler stets als Gratwanderung darstellt, war der am 28.11.2017 erhobene, gegenüber dem Vorbefund vom 21.6.2017 unveränderte Brustbefund nach den Feststellungen zwar suspekt, jedoch zunächst einmal nicht malignomverdächtig. Ein Herdbefund war nicht zu erkennen. Dass gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen der Brust generell auf die Früherkennung einer Krebserkrankung abzielen, ist allgemein bekannt und steht jeder Patientin auch ohne entsprechende Aufklärung vor Augen. Dass nichts anderes für im Rahmen dieser Untersuchungen erhobene kontrollbedürftige Befunde gilt, versteht sich von selbst und folgt bereits aus der Kontrollempfehlung als solcher.
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