04.08.2023

Keine Übertragung der Impfentscheidung bei fehlender Empfehlung als Regelimpfung

Die Entscheidung über die Durchführung einer Impfung ist nicht nach § 1628 BGB auf einen die Impfung befürwortenden Elternteil zu übertragen, wenn die Ständige Impfkommission (STIKO) sie in dem Alter des betroffenen Kindes nicht mehr als Regelimpfung empfiehlt und der die Impfung befürwortende Elternteil die Voraussetzungen einer Indikationsimpfung nicht geltend macht.

OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.2023 - 6 UF 53/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind die Eltern eines sechsjährigen Jungen. Der Vater hatte beantragt, ihm die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Impfung des Kindes gegen Rotavirus, Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten (Pertussis), Haemophilus influenzae Typ b (Hib), Kinderlähmung (Poliopyelitis), Hepatitis B, Pneumokokken, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken (Varizellen) zu übertragen. Der Junge war bis dato nicht gegen diese Erkrankungen geimpft. Mit seinem Antrag hat der Vater ein ärztliches Attest vorgelegt, in dem der behandelnde Kinderarzt festgehalten hat, dass nach körperlicher Untersuchung keine relevanten körperlichen Gesundheitsstörungen festgestellt werden konnten und dass geschilderte Darmbeschwerden keine Kontraindikation für Schutzimpfungen darstellten.

Die Mutter hat sich dem Antrag entgegengestellt. Sie hat geltend gemacht, dass bei dem Kind verschiedene Kontraindikationen vorlägen, die dazu führen könnten, dass es nicht gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut (im Folgenden STIKO) geimpft werden sollte. Bei dem großen Bruder des Kindes habe eine Sechsfachimpfung plus Meningokokkenimpfung zu schrillem Schreien, massivem Überstrecken geführt und sich ein neurologischer Impfschaden durch Einschlafstörungen angedeutet. Es sei zum vorübergehenden Verlust motorischer Fähigkeiten gekommen.

Das AG hat dem Antrag des Vaters stattgegeben. Auf die Beschwerde der Mutter hat das OLG den Beschluss aufgehoben, soweit dem Vater die Entscheidungsbefugnis über eine Impfung des Kindes gegen Rotavirus, Haemophilus influenzae Typ b (hib) und Pneumokokken übertragen worden war. In diesem Umfang wurde der Antrag des Vaters zurückgewiesen. Im Übrigen wurde die Beschwerde der Mutter zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die Beschwerde war begründet bezüglich der Nachholimpfungen gegen Rotavirus, Haemophilus influenzae Typ b (hib) und Pneumokokken, weil die Impfungen im Alter des betroffenen Kindes von der STIKO nicht als Regelimpfung empfohlen werden und der Vater keine Impfnotwendigkeit im Ausnahmefall geltend gemacht hatte, sondern selbst altersbedingt nicht empfohlene Impfungen nicht durchführen lassen wollte. Insoweit liegt zum jetzigen Zeitpunkt keine fehlende Einigung der Eltern i.S.d. § 1628 BGB vor.

Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil durch das Familiengericht nach § 1628 Satz 1 BGB setzt voraus, dass sich die Eltern in einer bestimmten Angelegenheit der elterlichen Sorge von erheblicher Bedeutung nicht einigen können, mithin eine konkrete Meinungsdifferenz der Eltern besteht. Eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB ist als Ausdruck des Wächteramts des Staates infolge der Freiheitsgarantie des Art 6 Abs. 2 GG gegenüber dem Recht und der Pflicht der Eltern zur Entscheidung der die Familie betreffenden Angelegenheiten lediglich subsidiär möglich, wenn Belange des Kindeswohls gem. § 1697a BGB dies erfordern. Besteht keine Meinungsverschiedenheit der Eltern fehlt es auch an einem Rechtsschutzbedürfnis des den Antrag stellenden Elternteils. Nach den unbestrittenen und auf die Angaben der STIKO im Epidemiologischen Bulletin 4/2023 gestützten Angaben der Mutter muss die Rotavirus-Impfserie bis zum Alter von 32 Wochen abgeschlossen sein, in der Liste der Nachhol- und Auffrischimpfungen für Kinder zwischen 5 und 11 Jahren ist die Impfung gegen den Rotavirus nicht aufgeführt. Das betroffene Kind ist sechs Jahre alt, eine Impfung daher von der STIKO nicht empfohlen.

Nach den ebenfalls unbestrittenen und auf die Angaben der STIKO im Epidemiologischen Bulletin 4/2023 gestützten Angaben der Mutter ist die Pneumokokken-Impfung ab dem Alter von mehr als zwei Jahren nur noch für Kinder mit besonderem Risiko empfohlen. In der Liste der Nachhol- und Auffrischimpfungen für Kinder zwischen 5 und 11 Jahren ist die Impfung gegen Pneumokokken nicht aufgeführt. Eine Regelimpfung ist für das betroffene sechsjährige Kind daher nicht empfohlen. Die sich gegen die Impfung wendende Mutter machte zwar eine Immundefizienz des Kindes geltend, die eine Indikationsimpfung gegen Pneumokokken begründen kann. Der die Impfung befürwortende Vater hat sich hierauf aber nicht berufen.

Zuletzt ist die Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ b (hib) nicht in der Liste der Nachhol- und Auffrischimpfungen für Kinder zwischen 5 und 11 Jahren aufgeführt. Da bei den altersabhängigen Empfehlungen zur Durchführung von Nachholimpfungen die Tabelle für das jeweilige Alter zu nutzen und für das betroffene Kind die Tabelle für das Alter zwischen 5 und 11 Jahren maßgeblich ist, wird eine Nachholimpfung gegen hib nicht empfohlen. Gründe für eine Indikationsimpfung hat der Vater nicht vorgetragen. Da er erklärt hat, nicht empfohlene Impfungen nicht durchführen lassen zu wollen, besteht für diese Impfungen keine Meinungsverschiedenheit der Eltern.

Mehr zum Thema:

Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. Recherchieren Sie hier mit den führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Topaktuelle Online-Aktualisierungen im Erman BGB; Updates im Zöller ZPO. Zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!

Aktionsmodul Familienrecht:
Online-Unterhaltsrechner mit jeweils den aktuellen Werten der Düsseldorfer Tabelle. Top Inhalte online: FamRZ und FamRZ-Buchreihe von Gieseking, FamRB von Otto Schmidt, "Gerhardt" von Wolters Kluwer und vielen Standardwerken. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Für Fachanwälte mit Beiträgen zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
LaReDa Hessen
Zurück