Kohl-Witwe scheitert mit Verfassungsbeschwerden zum postmortalen Persönlichkeitsrecht des Altkanzlers
BVerfG v. 24.10.2022 - 1 BvR 19/22
Der Sachverhalt:
Gegenstand der einen Verfassungsbeschwerde (1 BvR 19/22) sind gerichtliche Entscheidungen in einem zunächst vom früheren Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und nach dessen Tod von seiner Witwe Maike Kohl-Richter (Beschwerdeführerin) gegen die Beklagten geführten Verfahren, gerichtet auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen des Buches "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle". OLG und BGH sahen die Unterlassungsklage nur teilweise als begründet an.
Die andere Verfassungsbeschwerde (1 BvR 110/22) richtet sich gegen gerichtliche Urteile, die das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts Kohls über dessen Tod hinaus betrafen. Kohl hatte die Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle" auf Geldentschädigung i.H.v. 5 Mio. € in Anspruch genommen. Nach Kohls Tod während des Berufungsverfahrens wies das OLG die von der Beschwerdeführerin als Alleinerbin fortgeführte Klage insgesamt ab. Die hiergegen gerichtete Revision blieb vor dem BGH ohne Erfolg.
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.
Die Gründe:
+++ 1 BvR 19/22 +++
Die Verfassungsbeschwerde betreffend die Unterlassungsklage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist als Alleinerbin Kohls zwar befugt, dessen postmortales Persönlichkeitsrecht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Sie hat ihre Verfassungsbeschwerde jedoch nicht hinlänglich substantiiert begründet.
Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind nur lebende Personen. Über den Tod des Menschen hinaus bleibt jedoch der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG bestehen. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Das Unterschieben nicht getätigter Äußerungen wie auch die unrichtige, verfälschte und entstellte Wiedergabe einer Äußerung können zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße berühren. Um von einer die Menschenwürde in ihrem unantastbaren Kern treffenden Verletzung auszugehen, muss jedoch eine grobe Herabwürdigung und Erniedrigung des allgemeinen Achtungsanspruchs, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, oder des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, dargelegt werden.
Vorliegend konnte die Beschwerdeführerin nicht darlegen, dass durch die angegriffenen Passagen der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungsanspruch Kohls grob herabgewürdigt oder erniedrigt wurde. Der vom früheren Bundeskanzler durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden. Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten ist nicht der innerste Kern der Persönlichkeit des Erblassers betroffen.
Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs sind die angegriffenen Urteile nicht zu beanstanden. Der BGH hat (wie schon das OLG) seinem Urteil die zutreffenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde gelegt. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Annahme eines Verstoßes notwendige, die unantastbare Menschenwürde treffende Verletzung vorliegend nicht gegeben ist. Eine Infragestellung des durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruchs genügt nicht. Hiergegen ist aus verfassungsgerichtlicher Sicht nichts zu erinnern.
+++ 1 BvR 110/22 +++
Die Verfassungsbeschwerde betreffend das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts Kohls über dessen Tod hinaus ist unbegründet.
Die erkennenden Gerichte haben die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht nicht dadurch verletzt, dass sie der Beschwerdeführerin als Kohls Alleinerbin einen Entschädigungsanspruch wegen einer zu Lebzeiten Kohls entstandenen Persönlichkeitsrechtsverletzung verweigert haben. Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen muss. Der BGH hat (entsprechend dem angegriffenen Urteil des OLG) in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei im Grundsatz nicht vererblich. Dies gelte auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchsinhabers bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergebe sich entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs. Insoweit stehe der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Einem Verstorbenen könne aber Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention diene, gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde.
Diese Ausführungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folgt keine Pflicht der Zivilgerichte, die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des persönlichkeitsrechtlichen Sanktionensystems auszuweiten. Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithält. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde Kohls gegen Übergriffe durch die Beklagten schutzlos gestellt war. Dem Altkanzler standen zu Lebzeiten, der Beschwerdeführerin stehen nach seinem Versterben Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten zu.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Keine Vererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung vor Rechtskraft
BGH vom 29.11.2021 - VI ZR 258/18
Tobias Hermann, AfP 2022, 41
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BVerfG PM Nr. 108 vom 15.12.2022
Gegenstand der einen Verfassungsbeschwerde (1 BvR 19/22) sind gerichtliche Entscheidungen in einem zunächst vom früheren Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und nach dessen Tod von seiner Witwe Maike Kohl-Richter (Beschwerdeführerin) gegen die Beklagten geführten Verfahren, gerichtet auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen des Buches "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle". OLG und BGH sahen die Unterlassungsklage nur teilweise als begründet an.
Die andere Verfassungsbeschwerde (1 BvR 110/22) richtet sich gegen gerichtliche Urteile, die das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts Kohls über dessen Tod hinaus betrafen. Kohl hatte die Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Buches "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle" auf Geldentschädigung i.H.v. 5 Mio. € in Anspruch genommen. Nach Kohls Tod während des Berufungsverfahrens wies das OLG die von der Beschwerdeführerin als Alleinerbin fortgeführte Klage insgesamt ab. Die hiergegen gerichtete Revision blieb vor dem BGH ohne Erfolg.
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.
Die Gründe:
+++ 1 BvR 19/22 +++
Die Verfassungsbeschwerde betreffend die Unterlassungsklage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist als Alleinerbin Kohls zwar befugt, dessen postmortales Persönlichkeitsrecht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Sie hat ihre Verfassungsbeschwerde jedoch nicht hinlänglich substantiiert begründet.
Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sind nur lebende Personen. Über den Tod des Menschen hinaus bleibt jedoch der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG bestehen. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Das Unterschieben nicht getätigter Äußerungen wie auch die unrichtige, verfälschte und entstellte Wiedergabe einer Äußerung können zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße berühren. Um von einer die Menschenwürde in ihrem unantastbaren Kern treffenden Verletzung auszugehen, muss jedoch eine grobe Herabwürdigung und Erniedrigung des allgemeinen Achtungsanspruchs, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, oder des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, dargelegt werden.
Vorliegend konnte die Beschwerdeführerin nicht darlegen, dass durch die angegriffenen Passagen der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Achtungsanspruch Kohls grob herabgewürdigt oder erniedrigt wurde. Der vom früheren Bundeskanzler durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden. Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten ist nicht der innerste Kern der Persönlichkeit des Erblassers betroffen.
Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs sind die angegriffenen Urteile nicht zu beanstanden. Der BGH hat (wie schon das OLG) seinem Urteil die zutreffenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde gelegt. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für die Annahme eines Verstoßes notwendige, die unantastbare Menschenwürde treffende Verletzung vorliegend nicht gegeben ist. Eine Infragestellung des durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruchs genügt nicht. Hiergegen ist aus verfassungsgerichtlicher Sicht nichts zu erinnern.
+++ 1 BvR 110/22 +++
Die Verfassungsbeschwerde betreffend das Fortbestehen des Geldentschädigungsanspruchs wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts Kohls über dessen Tod hinaus ist unbegründet.
Die erkennenden Gerichte haben die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht nicht dadurch verletzt, dass sie der Beschwerdeführerin als Kohls Alleinerbin einen Entschädigungsanspruch wegen einer zu Lebzeiten Kohls entstandenen Persönlichkeitsrechtsverletzung verweigert haben. Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen muss. Der BGH hat (entsprechend dem angegriffenen Urteil des OLG) in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei im Grundsatz nicht vererblich. Dies gelte auch dann, wenn der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzten und ursprünglichen Anspruchsinhabers bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergebe sich entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs. Insoweit stehe der Genugtuungsgedanke im Vordergrund. Einem Verstorbenen könne aber Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention diene, gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde.
Diese Ausführungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folgt keine Pflicht der Zivilgerichte, die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des persönlichkeitsrechtlichen Sanktionensystems auszuweiten. Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithält. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde Kohls gegen Übergriffe durch die Beklagten schutzlos gestellt war. Dem Altkanzler standen zu Lebzeiten, der Beschwerdeführerin stehen nach seinem Versterben Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten zu.
Rechtsprechung:
Keine Vererblichkeit des Geldentschädigungsanspruchs wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung vor Rechtskraft
BGH vom 29.11.2021 - VI ZR 258/18
Tobias Hermann, AfP 2022, 41
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Rechtssicherheit und Kompetenz mit dem Beratermodul Medienrecht. Für alle Fragen rund um die Recherche und Berichterstattung in Presse, Funk und neuen Medien. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet dieses Modul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!