04.11.2024

Kündigung wegen Eigenbedarfs: Mieter obsiegt gegen Sammelleidenschaft des Ehegatten der Vermieterin

Eheprobleme einer Vermieterin begründen nicht zwangsläufig ein Recht auf Eigenbedarfskündigung, um den Gatten mit Sammlerleidenschaft in der streitgegenständlichen 6,5-Zimmer-Wohnung unterzubringen und die Ehe so zu retten. Insbesondere in angespannten Wohnlagen ist Personen mit Sammlereigenschaften zuzumuten, nicht ihren gesamten Lagerbestand unmittelbar in der Wohnung selbst zur Verfügung stehen zu haben.

AG Köln v. 28.8.2024 - 213 C 61/24
Der Sachverhalt:
Mit unbefristeten Mietvertrag vom 14.6.2014 hatte der Beklagte von der Klägerin eine Wohnung im 1. OG angemietet. Die Klägerin wohnt gemeinsam mit ihrem Ehemann ebenfalls in dem Haus, dort im 2.OG. Sie ist seit 2013 Eigentümerin des Hauses, das bereits ihr Familienhaus war und wohnt seit über 25 Jahren im 2. OG. Von 2000 bis 2013 bewohnte sie ihre Wohnung allein, ab 2013 dann bis heute gemeinsam mit ihrem Ehemann. Der Beklagte hat Teile der streitgegenständlichen 6,5-Zimmer-Wohnung, die 200m² fasst, je untervermietet. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestand zunächst ein freundschaftliches Verhältnis, das sich allerdings änderte und in rechtliche Streitigkeiten, u.a. wegen Ansprüchen aus Mietminderung, mündete.

Die Klägerin kündigte durch Schreiben vom 2.11.2023 dem Beklagten mit Frist zum 31.7.2024 das Mietverhältnis ordentlich wegen Eigenbedarfs. Demnach sollte ihr Ehemann in die Wohnung einziehen, da es in der Ehe zu erheblichen Spannungen gekommen sei. Seit seines Einzuges habe sie zu wenig Platz für ihre eigenen Maltätigkeiten. Auch sollte der Ehemann durch Einzug in die streitgegenständliche Wohnung die Möglichkeit haben, dort seinen aufgrund seiner Sammelleidenschaft umfangreichen Hausstand statt wie bisher im Keller in der Wohnung leichter zugänglich unterzubringen. Ohne Auszug des Ehemanns drohe die Ehe zu scheitern.

Der Beklagte widersprach der Kündigung. Er behauptete, der wahre Grund für die Kündigung sei nicht der Eigenbedarf, sondern die persönlichen, rechtlichen und auch gerichtlichen Auseinandersetzungen der Klägerin mit ihm. Außerdem sei der Eigenbedarf angesichts der Größe der streitgegenständlichen Wohnung unverhältnismäßig.

Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen.

Die Gründe:
Die Klägerin war nicht zur Kündigung nach § 573 Abs. Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 BGB berechtigt. Dies zugrunde gelegt nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der vorgetragene Eigenbedarf i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB besteht, § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der vernünftigerweise in Betracht kommenden Zweifeln Schweigen gebietet. § 286 ZPO fordert den Richter hierbei auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Dies bedeutet, dass der Richter lediglich an Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf (Greger in: Zöller, ZPO, 36. Aufl. 2024, § 286 ZPO, Rn. 13). Und bei Würdigung des zur Verfügung stehenden Prozessstoffes unter Miteinbeziehung der Zeugenvernehmungen hat das Gericht verbleibende vernünftige Zweifel daran, dass der Ehemann in die streitgegenständliche Wohnung zu Wohnzwecken einziehen wollte. Vielmehr bestanden deutliche Anhaltspunkte, dass aufgrund der beabsichtigten Nutzung der gewerbliche Zweck überwiegte. Daran vermochte auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Ehemann glaubhaft vorgetragen hatte, für ihn gehöre Wohnen und Arbeiten zusammen.

Die Klägerin war auch nicht nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB zur Kündigung berechtigt. Die Beantwortung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses vorliegt, erfordert eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Vielzahl möglicher Kündigungstatbestände umfasst. Im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Geschehensabläufe und der auf beiden Seiten zu berücksichtigenden Belange entzieht sich die Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen ein berechtigtes Interesse in diesem Sinne gegeben ist, einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung. Es obliegt daher in erster Linie dem Tatrichter, unter Bewertung und Gewichtung aller für die jeweilige Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte darüber zu befinden, ob ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben ist.

Diese nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB vorzunehmende Interessenabwägung ging hier zu Lasten der Klägerin. Denn die Differenzen im räumlichen Zusammenleben der Klägerin mit ihrem Ehemann stammten nicht nur aus persönlichen Differenzen, sondern aus der Sammlereigenschaft des Gatten. Zwar ist die persönliche Eigenschaft, in erhöhtem Maße Dinge, insbesondere Kunst und Kulturgegenstände zu sammeln, ein dem von Art. 12 GG geschützten Berufsinteressen dienender Gesichtspunkt ist. Dem stand jedoch das Interesse des Beklagten gegenüber, das ebenfalls verfassungsrechtlichen Schutzrang nach Art. 14 GG genießt. Insbesondere in angespannten Wohnlagen wie hier ist Personen mit Sammlereigenschaften zuzumuten, nicht ihren gesamten Lagerbestand unmittelbar in der Wohnung selbst zur Verfügung stehen zu haben. Soweit zeitlich zumutbar entfernte Stauraumkapazitäten, die keinen Wohnraum darstellen, zur Verfügung stehen, ist "Sammlern" ein Ausweichen von Teilen ihrer Sammelgegenstände in diese zumutbar.

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