12.08.2024

Mieterhöhung über den Mietspiegel hinaus? ("Stichtagszuschlag")

Vermieter fordern teilweise eine Mieterhöhung, die über die Anpassung der Miete aufgrund des Mietspiegels hinausgeht. Sie begründen dies auch mit der gestiegenen Inflation seit Erlass des Mietspiegels ("Stichtagszuschlag"). Das LG München I setzte dem jetzt deutliche Grenzen. Ein solcher Zuschlag lasse sich jedenfalls nicht mit dem Anstieg des Verbraucherpreisindex (Inflation) begründen. Es handelt sich um eine Entscheidung von erheblicher Bedeutung für eine Vielzahl von Mietverhältnissen in München.

LG München I v. 17.7.2024 - 14 S 3692/24
Der Sachverhalt:
Die (Berufungs-)Klägerin begehrte die Zustimmung zu einer Mieterhöhung. Sie vertrat insbesondere die Ansicht, es sei in Zeiten hoher Inflation die Berücksichtigung einer Stichtagsdifferenz sachgerecht. Sie forderte deshalb einen Zuschlag zu den Mietwerten des Mietspiegels 2023 wegen einer ungewöhnlichen Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete, die in der Zeit zwischen der Datenerhebung zum Mietspiegel und dem Zugang des Mieterhöhungsverlangens eingetreten sei.

Der beim AG zur Entscheidung berufene Richter ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Das LG teilte die Auffassung des Erstgerichts. Auf den Hinweisbeschluss des LG, wonach die Entscheidung des Erstgerichts zutreffend ist, wurde die Berufung zurückgenommen.

Die Gründe:
Zwar kommt den Gerichten nach einem Urteil des BGH aus dem Jahr 2013 bei Beurteilung eines Mieterhöhungsverlangens in Fällen, in denen zwischen dem Erhebungsstichtag eines Mietspiegels und dem Zugang des Zustimmungsverlangens nachträglich "ungewöhnliche Steigerungen der ortsüblichen Vergleichsmiete" festzustellen sind, ein weiter Beurteilungsspielraum zu. In dessen Rahmen ist das Tatgericht grundsätzlich auch befugt, einen Stichtagszuschlag vorzunehmen, wenn dies dem Gericht zur Bildung einer sachgerechten Einzelvergleichsmiete angemessen erscheint.

Vorliegend hat das Erstgericht jedoch seinen Beurteilungsspielraum eingehalten. Insbesondere hat es eine ungewöhnliche Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete zutreffend verneint. Ein Anstieg nach dem Index für Nettokaltmieten in Bayern von nur wenig mehr als 3 % bedeutet keinen außergewöhnlichen Mietanstieg.

Eine "ungewöhnliche Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete" lässt sich über den Mietspiegel hinaus nicht mit einem Anstieg des Verbrauchpreisindex begründen. Beim Berechnen des Verbraucherpreisindex bzw. der Inflationsrate wird ein sog. Warenkorb verwendet, der rund 700 Güterarten umfasst und sämtliche von privaten Haushalten in Deutschland gekauften Waren und Dienstleistungen repräsentiert. Dem Verbraucherpreisindex kann für den spezifischen Anstieg der Wohnungsmieten und erst recht für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete keine belastbare Aussage entnommen werden.

Die Einführung einer "Stichtagspraxis" könnte außerdem zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, die die bedeutsame Befriedungsfunktion des Mietspiegels gerade in angespannten Mietmärkten gefährden könnte.

Hintergrund:
Das Thema "Stichtagszuschlag" ist sehr aktuell. Es wurde bereits über eine Entscheidung des AG München in der Presse berichtet, in der einer auf den Stichtagszuschlag gestützten Klage stattgegeben wurde. Die 14. Zivilkammer des LG München I ist u.a. für alle Berufungen gegen Entscheidungen des AG München in Fragen von Mieterhöhungsverlangen allein zuständig.

Beim AG München wird die Frage des Stichtagszuschlag von den zuständigen Richterinnen und Richtern unterschiedlich beantwortet. Eine Vielzahl von Berufungen mit der streitgegenständlichen Frage, ob ein Verweis auf den Verbraucherpreisindex ausreichend sei, um einen Stichtagszuschlag zu begründen, sind bereits beim LG München I anhängig.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Mieterhöhung; Gutachten trotz Mietspiegel; maßgeblicher Zeitraum der Vergleichsmieten
BGH vom 28.4.2021 - VIII ZR 22/20
Olaf Riecke, MietRB 2021, 193

Aufsatz:
Fünf Jahre "Mietpreisbremse" in Berlin - eine Bestandsaufnahme
Astrid Siegmund, MietRB 2020, 121

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LG München I PM Nr. 9 vom 8.8.2024
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