Mietzahlung des Mieters nach Kündigung während Vorenthaltung der Mietsache kann Bargeschäft sein
BGH v. 17.10.2024 - IX ZR 244/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 24.11.2015 am 12.2.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH (Schuldnerin). Er verlangt von dem Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr von zehn Zahlungen i.H.v. insgesamt rd. 100.000 €, welche die Schuldnerin monatlich als Mieten nach Kündigung des zugrundeliegenden Mietvertrags in der Zeit zwischen dem 10.2. und dem 10.11.2015 an den Beklagten gezahlt hat. Der Beklagte hat hilfsweise die Aufrechnung erklärt mit Ansprüchen i.H.v. insgesamt rd. 30.000 € auf Zahlung von Miete oder Nutzungsentschädigung einerseits und aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO andererseits.
Gegenstand des Mietvertrags zwischen der Schuldnerin als Mieterin und dem Beklagten als Vermieter war eine Gewerbeimmobilie, in der die Schuldnerin zuletzt ein Restaurant betrieb und von der sie einen Teil untervermietete. Nach dem Vertrag war die Zahlung der Miete bis spätestens am dritten Werktag eines jeden Monats geschuldet. Außerdem war vereinbart, dass die Schuldnerin bestimmte Betriebs- und Nebenkosten direkt gegenüber dem entsprechenden Gläubiger zu tragen hatte. Im Dezember 2013 kündigte der Beklagte den Mietvertrag ordentlich zum 30.6.2014. Weitere Kündigungen folgten. Die Schuldnerin und der Beklagte stritten über die Wirksamkeit der Kündigungen. Der Beklagte erhob eine Räumungsklage gegen die Schuldnerin, die er im ersten Rechtszug verlor und im zweiten gewann. Die Schuldnerin erhob Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts. Das Verfahren vor dem BGH wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin unterbrochen. Die Immobilie wurde im Zuge einer im Juni 2016 zwischen dem Kläger, dem Beklagten und der neuen Mieterin getroffenen Vereinbarung an den Beklagten zurückgegeben.
Die im Mietvertrag vorgesehene direkte Entrichtung von Betriebs- und Nebenkosten nahm die Schuldnerin ab Dezember 2014 nicht mehr vor. Der dadurch entstandene Zahlungsrückstand betrug rd. 3.600 € im Dezember 2014 und rd. 11.000 € im Mai 2015. Im Februar 2016 war der Rückstand auf rd. 16.700 € angewachsen. Die angefochtenen Mietzahlungen für die Monate Februar bis November 2015 leistete die Schuldnerin jeweils einige (höchstens elf) Tage nach dem im Mietvertrag vereinbarten Zeitpunkt.
Das LG hielt die streitgegenständlichen Anfechtungsansprüche auf der Grundlage von § 143 Abs. 1, § 133 Abs. 1, § 129 Abs. 1 InsO für begründet. Die Hilfsaufrechnung des Beklagten hatte wegen des Anspruchs auf Zahlung von Miete oder Nutzungsentschädigung (rd. 10.600 €) Erfolg. Den hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Anspruch aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO (rd. 19.000 €) hielt das LG für unbegründet. Die Berufung des Beklagten hatte vor dem KG keinen Erfolg. Auf die Rechtsmittel des Beklagten hob der BGH die Urteile von LG und KG auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Die streitgegenständlichen Zahlungen sind nicht nach § 133 Abs. 1 InsO in der auf den Streitfall anwendbaren (Art. 103j Abs. 1 EGInsO) bis zum 4.4.2017 geltenden Fassung anfechtbar. Auch andere Anfechtungstatbestände sind nicht verwirklicht. Da die Klage unbegründet ist, kommt es auf die vom Beklagten erklärten Hilfsaufrechnungen nicht an.
Die angefochtenen Zahlungen sind jedenfalls in bargeschäftsähnlicher Lage erfolgt, was der Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes entgegensteht. Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 133 Abs. 1 InsO a.F., die nach der Neuausrichtung der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung fortgilt, kann der Schuldner in Fällen kongruenter Leistungen trotz der Indizwirkung einer erkannten Zahlungsunfähigkeit nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handeln, wenn er seine Leistung Zug um Zug gegen eine zur Fortführung seines Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat, die den Gläubigern im Allgemeinen nutzt.
Vorliegend sind die Voraussetzungen eines Bargeschäfts gegeben. Zudem hat das KG mit Recht angenommen, dass die angefochtenen Zahlungen zur Abgeltung der weiteren Nutzung der Gewerbeimmobilie erfolgten, die zur Fortführung des Unternehmens der Schuldnerin, dem Betrieb des Restaurants und der Untervermietung, unentbehrlich war und den Gläubigern im Allgemeinen nutzte. Der Annahme einer bargeschäftlichen Abwicklung steht nicht entgegen, dass der Mietvertrag in den Zeitpunkten der angefochtenen Zahlungen wirksam gekündigt gewesen und die Zahlungen demzufolge eine gem. § 546a Abs. 1 Fall 1 BGB geschuldete Nutzungsentschädigung gewesen sein könnte. Eine Bardeckung ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt ist. Durch die Worte "für die" wird ausgedrückt, dass eine Bardeckung nur vorliegt, wenn Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung miteinander verknüpft sind. Nur eine der Parteivereinbarung entsprechende Leistung ist kongruent und geeignet, den Bargeschäftseinwand auszufüllen.
Durch eine (unterstellt) wirksame Kündigung entfällt die zur Annahme eines Bargeschäfts notwendige Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung nicht. Die dann bestehende Pflicht der Schuldnerin, für die Dauer der Vorenthaltung der Immobilie die vereinbarte Miete zu bezahlen (§ 546a Abs. 1 Fall 1 BGB), findet hinreichenden Ausdruck in der ursprünglich getroffenen Parteivereinbarung. Die Regelungen des § 546a BGB sind grundsätzlich abdingbar. Treffen die Parteien des Mietvertrags keine von § 546a BGB abweichenden Regelungen, beziehen sie stillschweigend eine Abwicklung des gekündigten Mietverhältnisses nach Maßgabe des § 546a BGB in ihre Vereinbarung ein. Die Abwicklung beruht insoweit auf der getroffenen Vereinbarung.
Dem entspricht es, dass der Anspruch aus § 546a Abs. 1 BGB vertragsähnlicher Natur ist. Er gewährt einen Ausgleich dafür, dass der Mieter die Nutzungsmöglichkeit der Mieträume nach Beendigung des Mietverhältnisses weiterhin für sich in Anspruch nimmt. Der Entschädigungsanspruch tritt daher im Rahmen des Abwicklungsschuldverhältnisses als vertraglicher Anspruch eigener Art an die Stelle des Anspruchs auf die Miete. Die Anknüpfung an die ursprünglich getroffene Parteivereinbarung kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass nach § 546a Abs. 1 Fall 1 BGB die vereinbarte Miete geschuldet ist und sich auch die Fälligkeit des Anspruchs nach dem Mietvertrag richtet.
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 24.11.2015 am 12.2.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH (Schuldnerin). Er verlangt von dem Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr von zehn Zahlungen i.H.v. insgesamt rd. 100.000 €, welche die Schuldnerin monatlich als Mieten nach Kündigung des zugrundeliegenden Mietvertrags in der Zeit zwischen dem 10.2. und dem 10.11.2015 an den Beklagten gezahlt hat. Der Beklagte hat hilfsweise die Aufrechnung erklärt mit Ansprüchen i.H.v. insgesamt rd. 30.000 € auf Zahlung von Miete oder Nutzungsentschädigung einerseits und aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO andererseits.
Gegenstand des Mietvertrags zwischen der Schuldnerin als Mieterin und dem Beklagten als Vermieter war eine Gewerbeimmobilie, in der die Schuldnerin zuletzt ein Restaurant betrieb und von der sie einen Teil untervermietete. Nach dem Vertrag war die Zahlung der Miete bis spätestens am dritten Werktag eines jeden Monats geschuldet. Außerdem war vereinbart, dass die Schuldnerin bestimmte Betriebs- und Nebenkosten direkt gegenüber dem entsprechenden Gläubiger zu tragen hatte. Im Dezember 2013 kündigte der Beklagte den Mietvertrag ordentlich zum 30.6.2014. Weitere Kündigungen folgten. Die Schuldnerin und der Beklagte stritten über die Wirksamkeit der Kündigungen. Der Beklagte erhob eine Räumungsklage gegen die Schuldnerin, die er im ersten Rechtszug verlor und im zweiten gewann. Die Schuldnerin erhob Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts. Das Verfahren vor dem BGH wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin unterbrochen. Die Immobilie wurde im Zuge einer im Juni 2016 zwischen dem Kläger, dem Beklagten und der neuen Mieterin getroffenen Vereinbarung an den Beklagten zurückgegeben.
Die im Mietvertrag vorgesehene direkte Entrichtung von Betriebs- und Nebenkosten nahm die Schuldnerin ab Dezember 2014 nicht mehr vor. Der dadurch entstandene Zahlungsrückstand betrug rd. 3.600 € im Dezember 2014 und rd. 11.000 € im Mai 2015. Im Februar 2016 war der Rückstand auf rd. 16.700 € angewachsen. Die angefochtenen Mietzahlungen für die Monate Februar bis November 2015 leistete die Schuldnerin jeweils einige (höchstens elf) Tage nach dem im Mietvertrag vereinbarten Zeitpunkt.
Das LG hielt die streitgegenständlichen Anfechtungsansprüche auf der Grundlage von § 143 Abs. 1, § 133 Abs. 1, § 129 Abs. 1 InsO für begründet. Die Hilfsaufrechnung des Beklagten hatte wegen des Anspruchs auf Zahlung von Miete oder Nutzungsentschädigung (rd. 10.600 €) Erfolg. Den hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Anspruch aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO (rd. 19.000 €) hielt das LG für unbegründet. Die Berufung des Beklagten hatte vor dem KG keinen Erfolg. Auf die Rechtsmittel des Beklagten hob der BGH die Urteile von LG und KG auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Die streitgegenständlichen Zahlungen sind nicht nach § 133 Abs. 1 InsO in der auf den Streitfall anwendbaren (Art. 103j Abs. 1 EGInsO) bis zum 4.4.2017 geltenden Fassung anfechtbar. Auch andere Anfechtungstatbestände sind nicht verwirklicht. Da die Klage unbegründet ist, kommt es auf die vom Beklagten erklärten Hilfsaufrechnungen nicht an.
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