04.12.2024

Misslungene Magenverkleinerung - 25.000 € Schmerzensgeld wegen eines groben Behandlungsfehlers

Der Erfolg einer bariatrischen Operation (hier: Sleeve-Gastrektomie) hängt maßgeblich davon ab, ob der Patient in der Lage ist, postoperativ die notwendige Nachbehandlung durchzuführen. Es ist eine allgemeine Regel, auch über Leitlinien hinaus, dass die behandelnden Ärzte in das Behandlungskonzept einzubeziehen sind. Dies jedenfalls dann, wenn es - wie hier - wichtige Gründe dafür gibt.

LG Münster v. 14.11.2024 - 111 O 6/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verlangte von der Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld und weiteren Schadensersatz wegen behaupteter Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer Magenverkleinerung. Der Hausarzt der Klägerin hatte zuvor eine Magenbypass-OP zur Gewichtsreduktion bei der Patientin als kontraindiziert angesehen und der damaligen Betreuerin der Klägerin sowie dem Klinikum der Beklagten geraten, den Eingriff nicht vorzunehmen. Die Klägerin sei psychiatrisch erkrankt und nicht in der Lage, Komplikationsmöglichkeiten und Risiken des Eingriffs im nötigen Umfang zu verstehen. Sie liebe gutes und reichliches Essen seit Jahrzehnten und werde sich kaum einem Diätreglement unterziehen, das den daraus bezogenen Lustgewinn schmälere.

Am 22.7.2019 wurde dann eine Sleeve-Gastrektomie durchgeführt. Am 26.7.2019 wurde die Klägerin nach Hause entlassen, am 29.7.2019 wurde sie mit dem Rettungsdienst in die Klinik der Beklagten eingeliefert. Sie litt unter Schüttelfrost, Fieber und Erbrechen. Sie verblieb insgesamt sieben Wochen im Krankenhaus. In dieser Zeit wurden mehrere Abszesse festgestellt, Drainagen gelegt und mehrere Spülvorgänge täglich vorgenommen. Am 13.9.2019 wurde die Klägerin entlassen. Am 22.9.2019 kam die Klägerin erneut mit Schüttelfrost, Fieber und Erbrechen in die Notaufnahme. Sie entschied sich diesmal für ein anderes Krankenhaus. Hier wurde am 8.1.2020 eine Gastrektomie (vollständige Entfernung des Magens) durchgeführt.

Die Klägerin war der Ansicht, die Beeinträchtigungen und Folgen würden ein Schmerzensgeld i.H.v. mind. 125.000 € rechtfertigen. Die Beklagte hat behauptet, es habe sich ein aufgeklärtes, beiden operativen Maßnahmen - der Magen-Bypass-OP und der durchgeführten Sleeve-Gastrektomie - behandlungsimmanentes Risiko verwirklicht, so dass der haftungsbegründende Kausalzusammenhang zu verneinen sei. Die Aufklärungsinhalte einer Magen-Bypass-OP und einer Sleeve-Gastrektomie seien in Bezug auf diese Risiken identisch.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 25.000 € aus §§ 249, 253, 280, 630a ff., 278, 831 BGB, denn die Operation war nicht indiziert, weil eine fehlende Compliance der Klägerin bzgl. der Sleeve-Gastrektomie vorlag.

Es war fehlerhaft, dass die Ärzte der Beklagten die Einschätzung des Hausarztes über die zu erwartende postoperative Compliance nicht berücksichtigt hatten. Der Operateur hätte zumindest vor Stellung einer Operationsindikation Kontakt mit dem Hausarzt aufnehmen müssen oder eine entsprechende psychiatrische Untersuchung zur Überprüfung der Einschätzung des Hausarztes veranlassen müssen bzw. die Klägerin mit dem Befund des Hausarztes erneut zu ihrem Psychiater schicken müssen, denn das gesamte (Nach-)Behandlungskonzept der Operation war durch die Einschätzung des Hausarztes in Frage gestellt worden. Und der Erfolg einer derartigen bariatrischen Operation hängt maßgeblich davon ab, ob der Patient in der Lage ist, postoperativ die notwendige Nachbehandlung durchzuführen.

Die Operation hätte nach einer derartigen Einschätzung durch den Hausarzt nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn die Ärzte der Beklagten diese Stellungnahme an den Psychiater weitergegeben hätten und dieser trotzdem von einer ausreichenden postoperativen Compliance ausgegangen wäre. Das hatte die Beklagte aber nicht bewiesen. Insofern handelte es sich um einen groben Behandlungsfehler. Es ist eine allgemeine Regel, auch über Leitlinien hinaus, dass die behandelnden Ärzte in das Behandlungskonzept einzubeziehen sind. Dies jedenfalls dann, wenn es - wie hier - wichtige Gründe dafür gibt.

Unter Abwägung aller Umstände hält die Kammer ein Schmerzensgeld von 25.000 € für angemessen, aber auch ausreichend. Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigungen bieten, die nicht vermögensrechtlicher Natur sind. In erster Linie bilden die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer und das Ausmaß der Beeinträchtigungen der Lebensführung im privaten und beruflichen Bereich die wesentliche Grundlage für die Bemessung der Entschädigung.

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Aufsatz
Rüdiger Martis / Martina Winkhart-Martis
Arzthaftungsrecht: Aktuelle Rechtsprechung zur Aufklärung des Patienten
MDR 2024, 412

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