23.01.2024

Nicht zur Verfahrensakte gelangt trotz rechtzeitigem Eingang bei Gericht: Gehörsverstoß wegen Nichtberücksichtigung der Berufungsbegründungsschrift

Geht eine Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bei Gericht ein, gelangt dort jedoch nicht zur Verfahrensakte, so verletzt es den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn das Berufungsgericht die Berufung wegen Verstreichens der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwirft.

BGH v. 8.11.2023 - VIII ZB 59/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung sowie auf Zahlung rückständiger Miete nebst Zinsen in Anspruch.

Das AG gab der Klage statt. Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 16.3.2023 zugestellte Urteil des AG legte der Beklagte form- und fristgerecht Berufung ein. Mit der angefochtenen Entscheidung verwarf das LG die Berufung des Beklagten wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, eine Berufungsbegründung liege auch nach dem Verstreichen der (bis zum 19.6.2023 verlängerten) Berufungsbegründungsfrist beim LG nicht vor.

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann die Berufung des Beklagten nicht als unzulässig verworfen werden. Denn das LG hat bei seiner Entscheidung die innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bei ihm eingegangene Berufungsbegründungsschrift nicht berücksichtigt.

Ein Gericht verstößt gegen seine aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht, die Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, wenn es einen ordnungsgemäß bei Gericht eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt. Auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an; das Gericht ist insgesamt für die Einhaltung des Gebots des rechtlichen Gehörs verantwortlich. Deshalb ändert es an der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nichts, wenn den erkennenden Richtern der Schriftsatz im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlag. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob der Schriftsatz den Richtern nach Eingang bei Gericht nur nicht vorgelegt wurde oder erst gar nicht zur Verfahrensakte gelangt ist.

Danach hätte das LG das Vorbringen des Beklagten in dem Berufungsbegründungsschriftsatz vom 16.6.2023 berücksichtigen müssen. Dieser ist am 19.6.2023 und damit innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim LG eingegangen. Für den rechtzeitigen Eingang einer Berufungsbegründungsschrift ist allein entscheidend, dass diese vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt. Ausgehend hiervon hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist gewahrt.

Die Berufungsbegründungsfrist wurde bis zum 19.6.2023 (wirksam) verlängert; die von dem Beklagtenvertreter per beA übersandte Berufungsbegründungsschrift ging ausweislich des Prüfvermerks an diesem Tag ("Eingangszeitpunkt: 19.6.2023, 16:27:17") und damit rechtzeitig beim LG ein. Dass das elektronische Dokument offenbar infolge eines gerichtsinternen Versehens erst am 19.7.2023 zur Gerichtsakte gelangt ist, ist dagegen für die Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht von Bedeutung und steht auch der Annahme eines Gehörsverstoßes nicht entgegen.

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