OLG Karlsruhe wendet erstmals neue BGH-Rechtsprechung an: Herstellerin von Diesel-Pkw zu Schadensersatz wegen des sog. Thermofensters verurteilt
OLG Karlsruhe v. 22.8.2023 - 8 U 86/21 u.a.
Der Sachverhalt:
Bei sämtlichen Fahrzeugen handelt es sich um solche mit 3.0-Liter-Dieselmotoren der Schadstoffklasse EU 5, die mit einem sog. Thermofenster ausgestattet sind. Bei diesem "Fenster" handelt es sich um einen festgelegten Temperaturbereich, innerhalb dessen die Rückführung von Abgasen in den Motor uneingeschränkt funktioniert. Mithilfe dieser Abgasrückführung werden die Stickoxide reduziert, um den Grenzwert der EU 5-Norm einzuhalten.
Außerhalb dieses Temperaturbereichs wird die Abgasrückführung dagegen abgesenkt mit der Folge, dass der Grenzwert für Stickoxide nicht mehr eingehalten wird. Das Thermofenster reicht in den entschiedenen Fällen von 17 bzw. 18°C bis 30 bzw. 33/34°C. Die Temperaturen des Prüfstands, wo die Werte zur Erlangung der Typgenehmigung gemessen werden, sind auf 20 bis 30°C normiert.
Das OLG hat die Herstellerin in den beiden Verfahren, die zu ihrer Verurteilung geführt haben, zur Zahlung eines Differenzschadens von 5.865 € bzw. 803,94 € verurteilt. Die Revision gegen die Urteile wurde nicht zugelassen. Das Urteil in dem Verfahren 8 U 271/21 ist damit rechtskräftig. Gegen das Urteil im Verfahren 8 U 86/21 kann hingegen binnen eines Monats beim BGH Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt werden.
Die Gründe:
Das OLG hat bereits früher entschieden, dass es sich bei solchen Thermofenstern trotz ihrer weiten Verbreitung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt und sich der Hersteller insoweit nicht auf Gesichtspunkte des Motorschutzes berufen kann (Urteil v. 14.5.2021 - 8 U 14/20). Nach der aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nunmehr anwendbaren Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB (i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV) setzt eine Haftung des Pkw-Herstellers für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung mehr voraus, sondern es genügt einfache Fahrlässigkeit.
Diese Fahrlässigkeit war hier im Anschluss an die nunmehr vom BGH aufgestellten Kriterien anzunehmen. Der Pkw-Herstellerin ist es nicht gelungen, die insoweit gegen sie bestehende Verschuldensvermutung zu widerlegen. Insbesondere war ihrer Argumentation nicht zu folgen, dass sie sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe, weil das Kraftfahrtbundesamt (KBA) nach ihrer Behauptung die Typgenehmigung auch dann erteilt hätte, wenn sie das Thermofenster im Typgenehmigungsverfahren im Einzelnen offengelegt hätte. Es kann dahinstehen, ob dies so gewesen wäre, nachdem die Herstellerin schon nicht hinreichend behauptet hat, dass die für sie handelnden verantwortlichen Personen tatsächlich einem Irrtum unterlagen.
Die Herstellerin in den beiden Verfahren wird daher zur Zahlung eines Differenzschadens von 5.865 € bzw. 803,94 € verurteilt. Der geringere Schadensersatzbetrag im zweiten Fall beruht darauf, dass sich der Kläger in diesem Fall für die umfangreich gefahrenen Kilometer Nutzungsersatz sowie den Erlös aus der Weiterveräußerung des Fahrzeugs anrechnen lassen musste.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Der BGH, der EuGH, die Gretchenfrage um das Thermofenster und der "Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz"
Malte Stübinger, KlimaRZ 2023, 210
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OLG Karlsruhe PM Nr. 13 vom 23.8.2023
Bei sämtlichen Fahrzeugen handelt es sich um solche mit 3.0-Liter-Dieselmotoren der Schadstoffklasse EU 5, die mit einem sog. Thermofenster ausgestattet sind. Bei diesem "Fenster" handelt es sich um einen festgelegten Temperaturbereich, innerhalb dessen die Rückführung von Abgasen in den Motor uneingeschränkt funktioniert. Mithilfe dieser Abgasrückführung werden die Stickoxide reduziert, um den Grenzwert der EU 5-Norm einzuhalten.
Außerhalb dieses Temperaturbereichs wird die Abgasrückführung dagegen abgesenkt mit der Folge, dass der Grenzwert für Stickoxide nicht mehr eingehalten wird. Das Thermofenster reicht in den entschiedenen Fällen von 17 bzw. 18°C bis 30 bzw. 33/34°C. Die Temperaturen des Prüfstands, wo die Werte zur Erlangung der Typgenehmigung gemessen werden, sind auf 20 bis 30°C normiert.
Das OLG hat die Herstellerin in den beiden Verfahren, die zu ihrer Verurteilung geführt haben, zur Zahlung eines Differenzschadens von 5.865 € bzw. 803,94 € verurteilt. Die Revision gegen die Urteile wurde nicht zugelassen. Das Urteil in dem Verfahren 8 U 271/21 ist damit rechtskräftig. Gegen das Urteil im Verfahren 8 U 86/21 kann hingegen binnen eines Monats beim BGH Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt werden.
Die Gründe:
Das OLG hat bereits früher entschieden, dass es sich bei solchen Thermofenstern trotz ihrer weiten Verbreitung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt und sich der Hersteller insoweit nicht auf Gesichtspunkte des Motorschutzes berufen kann (Urteil v. 14.5.2021 - 8 U 14/20). Nach der aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nunmehr anwendbaren Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB (i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV) setzt eine Haftung des Pkw-Herstellers für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung mehr voraus, sondern es genügt einfache Fahrlässigkeit.
Diese Fahrlässigkeit war hier im Anschluss an die nunmehr vom BGH aufgestellten Kriterien anzunehmen. Der Pkw-Herstellerin ist es nicht gelungen, die insoweit gegen sie bestehende Verschuldensvermutung zu widerlegen. Insbesondere war ihrer Argumentation nicht zu folgen, dass sie sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe, weil das Kraftfahrtbundesamt (KBA) nach ihrer Behauptung die Typgenehmigung auch dann erteilt hätte, wenn sie das Thermofenster im Typgenehmigungsverfahren im Einzelnen offengelegt hätte. Es kann dahinstehen, ob dies so gewesen wäre, nachdem die Herstellerin schon nicht hinreichend behauptet hat, dass die für sie handelnden verantwortlichen Personen tatsächlich einem Irrtum unterlagen.
Die Herstellerin in den beiden Verfahren wird daher zur Zahlung eines Differenzschadens von 5.865 € bzw. 803,94 € verurteilt. Der geringere Schadensersatzbetrag im zweiten Fall beruht darauf, dass sich der Kläger in diesem Fall für die umfangreich gefahrenen Kilometer Nutzungsersatz sowie den Erlös aus der Weiterveräußerung des Fahrzeugs anrechnen lassen musste.
Aufsatz:
Der BGH, der EuGH, die Gretchenfrage um das Thermofenster und der "Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz"
Malte Stübinger, KlimaRZ 2023, 210
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