29.08.2023

Rechtsfortbildung bei Streitigkeiten zwischen Nachbarn hinsichtlich Hinterlieger-Grundstücken

Aus dem als gesetzliche Folge der Bestellung einer Grunddienstbarkeit entstandenen Begleitschuldverhältnis kann sich ergeben, dass der Eigentümer des dienenden Grundstücks auch eine (deckungsgleiche) Baulast übernehmen muss. Eine solche Verpflichtung setzt u.a. voraus, dass die Grunddienstbarkeit nach ihrem Inhalt und Umfang die von einer Bebauung herrührenden Nutzungen umfasst, was bei einem uneingeschränkten Geh- und Fahrtrecht regelmäßig anzunehmen ist; es ist nicht erforderlich, dass die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, die Bebauung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen.

BGH v. 30.6.2023 - V ZR 165/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die durch mehrere Teilungen eines ursprünglich einheitlichen Grundstücks entstanden sind. Die Grundstücke der Klägerin haben keine eigene Anbindung an eine öffentliche Straße. Diese erfolgt über das vordere Flurstück 4452/3 des Beklagten, das aus der ersten Grundstücksteilung im Jahr 1928 hervorgegangen ist. Es wurde damals mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts belastet, und zwar zugunsten der heutigen Grundstücke der Klägerin (Flurstücke 4452, 4452/12 und 4452/13), die 1937 durch eine zweite Teilung des Restgrundstücks entstanden sind.

Das Flurstück 4452 der Klägerin ist seit ungefähr 1938 mit einem Wohnhaus bebaut; ihre Flurstücke 4452/12 und 4452/13 sind unbebaut. Die 1928 bestehende Umgebungsbebauung der Grundstücke ist nicht bekannt. Heute ist die umliegende Bebauung durch größere Zwei- und Dreifamilienhäuser geprägt. Die Klägerin beabsichtigt, auf dem bislang unbebauten Flurstück 452/12, für das kein Bebauungsplan existiert, ein Wohnhaus zu errichten. Über den Umfang der geplanten Bebauung besteht zwischen den Parteien Streit.

Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin vom Beklagten mit einem Haupt- und einem Hilfsantrag die Abgabe einer Baulasterklärung zu Gunsten ihrer drei Grundstücke. LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Abgabe der beantragten Baulasterklärung nicht verneint werden.

Aus dem als gesetzliche Folge der Bestellung einer Grunddienstbarkeit entstandenen Begleitschuldverhältnis kann sich ergeben, dass der Eigentümer des dienenden Grundstücks auch eine (deckungsgleiche) Baulast übernehmen muss. Eine solche Verpflichtung setzt u.a. voraus, dass die Grunddienstbarkeit nach ihrem Inhalt und Umfang die von einer Bebauung herrührenden Nutzungen umfasst, was bei einem uneingeschränkten Geh- und Fahrtrecht regelmäßig anzunehmen ist.

Anders als das Berufungsgericht meinte, kommt es allerdings nicht zusätzlich auf die mit der Bestellung des dinglichen Rechts verfolgten Absichten der Parteien der Bestellungsurkunde an. Wenn und soweit der Inhalt eines uneingeschränkten Wegerechts die Bebauung des herrschenden Grundstücks ermöglicht, muss für den Anspruch auf Einräumung einer Baulast - auch wenn die bisherige Senatsrechtsprechung so verstanden werden kann - nicht zusätzlich festgestellt werden, dass die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, die Bebauung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen.

Zwar hat der Senat das Kriterium des mit der Bestellung der Grunddienstbarkeit verfolgten Zwecks der baulichen Nutzung als erste Voraussetzung für den Anspruch auf Einräumung der Baulast formuliert (vgl. Senat, Urt. v. 3.2.1989 - V ZR 224/87) und in ständiger Rechtsprechung aufgegriffen. Der Begriff des "Zwecks" ist aber missverständlich und in der Sache nie tragend geworden. Der Senat hat ihn im Rahmen der Interessenabwägung auch nicht im Sinne einer finalen Bestimmung verstanden. Er hat nämlich nicht die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten bei der Bestellung der Dienstbarkeit, sondern - wie stets bei der Auslegung eines dinglichen Rechts - den Inhalt der Grunddienstbarkeit geprüft, wie er sich aus dem Grundbuch ergibt. In einer Entscheidung hat der Senat deshalb ausdrücklich offengelassen, ob es für den Anspruch auf Einräumung der Baulast darauf ankommt, dass bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit die künftige Bebauung bezweckt war, oder ob es ausreicht, wenn sie nur - mittelbar - objektiv ermöglicht wurde (Urt. v. 3.7.1992 - V ZR 203/91).

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