Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Wohnungsüberlassung auch bei prinzipieller Einigkeit?
OLG Hamburg v. 3.12.2020, 12 UF 131/20
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind seit September 2019 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe ist eine inzwischen volljährige Tochter hervorgegangen. Gemeinsam hatten sie ihre Ehewohnung angemietet. Während der Ehezeit führte der Antragsgegner auch sein Gewerbe aus den Räumlichkeiten heraus. Er zog Mitte des Jahres 2019 aus der Wohnung aus, ließ jedoch teilweise ihm gehörende Gegenstände in den Räumlichkeiten zurück und zahlte bis Ende Dezember 2019 Teile der Miete. Darüber hinaus kümmerte er sich abwechselnd mit der Antragstellerin um die in der Ehewohnung lebenden gemeinsamen Hunde. Die Antragstellerin und die Tochter leben weiterhin in der Wohnung.
Im Januar 2020 kam es zu einem E-Mail-Wechsel des Antragsgegners mit dem vom Vermieter eingesetzten Verwalter der Wohnung. Darin meldete sich der Antragsgegner zunächst "offiziell" ab und bedankte sich für die Zusammenarbeit in der Vergangenheit. Es seien nur Teile des Hausrates abzuholen oder zu entsorgen. Die Verwaltung fragte nach der Räumung eines Kellerraumes und teilte mit, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt eine Teilkündigung des Mietverhältnisses nicht vorliege und wies darauf hin, dass der Antragsgegner damit formal weiterhin Mieter sei. Er wurde gebeten mitzuteilen, ob eine Teilkündigung des Mietverhältnisses geplant sei. Darauf teilte der Antragsgegner mit, dass es einer Kündigung seinerseits nicht bedürfe. Diese könnte das fortbestehende Mietverhältnis sogar nachteilig beeinflussen.
Die Antragstellerin hat im April 2020 beantragt, ihr die Ehewohnung zuzuweisen. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Er halte sich seit Ende Juni 2019 nicht mehr in der Wohnung auf und habe lediglich absprachegemäß einen Satz Schlüssel behalten, um die gemeinsamen Hunde auszuführen. Er verweigere auch nicht seine Entlassung aus dem Mietvertrag. Eine einseitige Kündigung sei allerdings unzulässig und eine gemeinsame Kündigung sei nicht gewollt. Eine einseitige Entlassung sei ihm vom Vermieter nicht angeboten worden.
Das AG hat der Antragstellerin die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Darüber hinaus hat es den Antragsgegner zur Übergabe der Schlüssel verpflichtet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners blieb vor dem OLG erfolglos.
Die Gründe:
Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung gem. § 1568a Abs. 1 BGB mit der Rechtsfolge der alleinigen Fortsetzung des Mietverhältnisses gegenüber dem Vermieter.
Dem Leistungsantrag der Antragstellerin fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar sind sich die Eheleute prinzipiell darüber einig, dass die Ehefrau die Wohnung allein nutzt. Der Antragsgegner hat jedoch an seiner Entlassung aus dem Mietverhältnis nicht ausreichend mitgewirkt. Denn Ziel des Antrags ist eine endgültige Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung.
Der Antragsteller käme andernfalls nur unter erheblichen Risiken zu seinem Ziel. Die Antragstellerin hätte hier statt einer Ehewohnungssache einen Anspruch auf Mitwirkung an einer Mitteilung der Eheleute nach § 1568a Abs. 3 Nr. 1 BGB als sonstige Familiensache gem. § 266 FamFG geltend machen können. Der zugrundeliegende Anspruch wäre jedoch dem Risiko ausgesetzt gewesen, dass er sich im Laufe des Verfahrens aufgrund der Vorschrift des § 1568a Abs. 6 BGB erledigt hätte.
Bisher wird in der Literatur - soweit ersichtlich unangefochten - vertreten, dass die alleinige Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Ablauf der Jahresfrist des § 1568a Abs. 6 BGB ausscheidet. Der Vermieter soll innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der Ehescheidung Klarheit darüber erhalten, welcher der geschiedenen Ehegatten künftig sein Mieter ist. Zwar wird bei dieser Auslegung nicht berücksichtigt, dass der Wortlaut des § 1568a Abs. 6 BGB lediglich den Eintritt in ein Mietverhältnis oder die Begründung eines Mietverhältnisses ausschließt. Vom Wortlaut nicht ausdrücklich erfasst wird demgegenüber das in § 1568a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB geregelte alleinige Fortsetzen eines gemeinsam begründeten Mietverhältnisses.
Die Vorschrift des § 1568a Abs. 6 BGB wird jedoch auch entgegen ihrem Wortlaut bezogen auf eine Wohnung aufgrund eines Dienst- und Arbeitsverhältnisses gem. § 1568a Abs. 4 BGB erweiternd ausgelegt. Die (fehlerhaft als "Anspruch" bezeichnete) Sonderrechtsnachfolge könnte damit erlöschen, wenn der Anspruch nicht binnen eines Jahres nach Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache rechtshängig gemacht wurde. Bisher wird nicht diskutiert, ob mit dem "Anspruch" nur die Ehewohnungssache gem. § 1568a BGB gemeint ist oder ob darunter auch ein Anspruch aus § 1353 BGB auf Mitwirkung an einer Mitteilung der Eheleute nach § 1568a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB gegenüber dem Vermieter als Familienstreitsache gefasst werden kann.
Dafür könnte auf den ersten Blick die dem reinen FamFG-Verfahren fremde und einer Familienstreitsache nahestehende Formulierung "rechtshängig" des § 1568a Abs. 6 BGB sprechen. Jedoch dürfen im Hinblick auf die aus zahlreichen Gründen missglückte Vorschrift des § 1568a BGB keine zu hohen Erwartungen in eine systematische Auslegung gesetzt werden. Gegen die Erfassung einer Familienstreitsache spricht, dass der Vermieter zwar gem. § 204 Abs. 1 FamFG Beteiligter der Ehewohnungssache ist, nicht jedoch Beteiligter einer Familienstreitsache.
Es sind auch keine prozessualen Instrumente ersichtlich, den Vermieter in der Familienstreitsache zu beteiligen. Mit der rechtskräftigen Entscheidung in der Familienstreitsache gilt die Zustimmung nur gem. § 95 Abs. 1 Nr. 5 FamFG als abgegeben. Um Wirkungen zu entfalten muss sie auch gem. § 1568a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB (rechtzeitig) dem Vermieter zugehen. Der Vermieter hätte also mangels Beteiligung im Verfahren binnen Jahresfrist weder Klarheit über seinen Mieter noch wüsste er zwingend, dass diese Frage noch in einem gerichtlichen Verfahren geklärt wird. Eine Klärung der Rechtsverhältnisse der Ehewohnung bliebe damit weiteren Gerichtsverfahren vorbehalten.
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Die Beteiligten sind seit September 2019 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe ist eine inzwischen volljährige Tochter hervorgegangen. Gemeinsam hatten sie ihre Ehewohnung angemietet. Während der Ehezeit führte der Antragsgegner auch sein Gewerbe aus den Räumlichkeiten heraus. Er zog Mitte des Jahres 2019 aus der Wohnung aus, ließ jedoch teilweise ihm gehörende Gegenstände in den Räumlichkeiten zurück und zahlte bis Ende Dezember 2019 Teile der Miete. Darüber hinaus kümmerte er sich abwechselnd mit der Antragstellerin um die in der Ehewohnung lebenden gemeinsamen Hunde. Die Antragstellerin und die Tochter leben weiterhin in der Wohnung.
Im Januar 2020 kam es zu einem E-Mail-Wechsel des Antragsgegners mit dem vom Vermieter eingesetzten Verwalter der Wohnung. Darin meldete sich der Antragsgegner zunächst "offiziell" ab und bedankte sich für die Zusammenarbeit in der Vergangenheit. Es seien nur Teile des Hausrates abzuholen oder zu entsorgen. Die Verwaltung fragte nach der Räumung eines Kellerraumes und teilte mit, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt eine Teilkündigung des Mietverhältnisses nicht vorliege und wies darauf hin, dass der Antragsgegner damit formal weiterhin Mieter sei. Er wurde gebeten mitzuteilen, ob eine Teilkündigung des Mietverhältnisses geplant sei. Darauf teilte der Antragsgegner mit, dass es einer Kündigung seinerseits nicht bedürfe. Diese könnte das fortbestehende Mietverhältnis sogar nachteilig beeinflussen.
Die Antragstellerin hat im April 2020 beantragt, ihr die Ehewohnung zuzuweisen. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Er halte sich seit Ende Juni 2019 nicht mehr in der Wohnung auf und habe lediglich absprachegemäß einen Satz Schlüssel behalten, um die gemeinsamen Hunde auszuführen. Er verweigere auch nicht seine Entlassung aus dem Mietvertrag. Eine einseitige Kündigung sei allerdings unzulässig und eine gemeinsame Kündigung sei nicht gewollt. Eine einseitige Entlassung sei ihm vom Vermieter nicht angeboten worden.
Das AG hat der Antragstellerin die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Darüber hinaus hat es den Antragsgegner zur Übergabe der Schlüssel verpflichtet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners blieb vor dem OLG erfolglos.
Die Gründe:
Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung gem. § 1568a Abs. 1 BGB mit der Rechtsfolge der alleinigen Fortsetzung des Mietverhältnisses gegenüber dem Vermieter.
Dem Leistungsantrag der Antragstellerin fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar sind sich die Eheleute prinzipiell darüber einig, dass die Ehefrau die Wohnung allein nutzt. Der Antragsgegner hat jedoch an seiner Entlassung aus dem Mietverhältnis nicht ausreichend mitgewirkt. Denn Ziel des Antrags ist eine endgültige Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung.
Der Antragsteller käme andernfalls nur unter erheblichen Risiken zu seinem Ziel. Die Antragstellerin hätte hier statt einer Ehewohnungssache einen Anspruch auf Mitwirkung an einer Mitteilung der Eheleute nach § 1568a Abs. 3 Nr. 1 BGB als sonstige Familiensache gem. § 266 FamFG geltend machen können. Der zugrundeliegende Anspruch wäre jedoch dem Risiko ausgesetzt gewesen, dass er sich im Laufe des Verfahrens aufgrund der Vorschrift des § 1568a Abs. 6 BGB erledigt hätte.
Bisher wird in der Literatur - soweit ersichtlich unangefochten - vertreten, dass die alleinige Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Ablauf der Jahresfrist des § 1568a Abs. 6 BGB ausscheidet. Der Vermieter soll innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der Ehescheidung Klarheit darüber erhalten, welcher der geschiedenen Ehegatten künftig sein Mieter ist. Zwar wird bei dieser Auslegung nicht berücksichtigt, dass der Wortlaut des § 1568a Abs. 6 BGB lediglich den Eintritt in ein Mietverhältnis oder die Begründung eines Mietverhältnisses ausschließt. Vom Wortlaut nicht ausdrücklich erfasst wird demgegenüber das in § 1568a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB geregelte alleinige Fortsetzen eines gemeinsam begründeten Mietverhältnisses.
Die Vorschrift des § 1568a Abs. 6 BGB wird jedoch auch entgegen ihrem Wortlaut bezogen auf eine Wohnung aufgrund eines Dienst- und Arbeitsverhältnisses gem. § 1568a Abs. 4 BGB erweiternd ausgelegt. Die (fehlerhaft als "Anspruch" bezeichnete) Sonderrechtsnachfolge könnte damit erlöschen, wenn der Anspruch nicht binnen eines Jahres nach Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache rechtshängig gemacht wurde. Bisher wird nicht diskutiert, ob mit dem "Anspruch" nur die Ehewohnungssache gem. § 1568a BGB gemeint ist oder ob darunter auch ein Anspruch aus § 1353 BGB auf Mitwirkung an einer Mitteilung der Eheleute nach § 1568a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB gegenüber dem Vermieter als Familienstreitsache gefasst werden kann.
Dafür könnte auf den ersten Blick die dem reinen FamFG-Verfahren fremde und einer Familienstreitsache nahestehende Formulierung "rechtshängig" des § 1568a Abs. 6 BGB sprechen. Jedoch dürfen im Hinblick auf die aus zahlreichen Gründen missglückte Vorschrift des § 1568a BGB keine zu hohen Erwartungen in eine systematische Auslegung gesetzt werden. Gegen die Erfassung einer Familienstreitsache spricht, dass der Vermieter zwar gem. § 204 Abs. 1 FamFG Beteiligter der Ehewohnungssache ist, nicht jedoch Beteiligter einer Familienstreitsache.
Es sind auch keine prozessualen Instrumente ersichtlich, den Vermieter in der Familienstreitsache zu beteiligen. Mit der rechtskräftigen Entscheidung in der Familienstreitsache gilt die Zustimmung nur gem. § 95 Abs. 1 Nr. 5 FamFG als abgegeben. Um Wirkungen zu entfalten muss sie auch gem. § 1568a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB (rechtzeitig) dem Vermieter zugehen. Der Vermieter hätte also mangels Beteiligung im Verfahren binnen Jahresfrist weder Klarheit über seinen Mieter noch wüsste er zwingend, dass diese Frage noch in einem gerichtlichen Verfahren geklärt wird. Eine Klärung der Rechtsverhältnisse der Ehewohnung bliebe damit weiteren Gerichtsverfahren vorbehalten.