Reiseleistungen als Gegenstand einer Gattungsschuld
BGH v. 14.2.2023 - X ZR 18/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger macht Ansprüche auf Minderung wegen mangelhafter Reiseleistungen geltend. Der Kläger buchte über ein Reisebüro bei der Beklagten für elf Personen zu einem Gesamtpreis von rd. 2.100 € eine als "Fahrt ins Blaue" beworbene Busreise mit Hotelübernachtungen, die vom 13. bis 15.3.2020 stattfinden sollte. In Abhängigkeit davon, ob Einzel- oder Doppelzimmer gebucht wurden, betrug der Teilnehmerpreis pro Person rd. 195 oder 255 €. Reiseziel und Reiseprogramm waren den Teilnehmern vor Antritt der Reise nicht bekannt.
Zu Beginn der Reise wurde den Reisenden ein Reiseprogramm ausgehändigt, welches neben zwei Hotelübernachtungen in Hamburg, einer Führung im Speicherstadtmuseum und einer großen Hafenrundfahrt den Besuch des Musicals "Cirque du Soleil Paramour" mit einer Veranstaltungsdauer von zweieinhalb Stunden vorsah. Am Nachmittag des Anreisetages wurde den Reiseteilnehmern bekannt gegeben, dass der Besuch des Musicals infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht stattfinden könne. Stattdessen führte die Beklagte eine von einer Reiseführerin begleitete dreistündige Stadtrundfahrt durch Hamburg durch.
Das AG wies die die auf Zahlung eines Minderungsbetrags von 65 € pro Teilnehmer, insgesamt also 715 €, und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage ab. Das LG gab ihr teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 320 € und Erstattung anteiliger außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gem. § 651m Abs. 2 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Erstattung des über den geminderten Reisepreis der gebuchten Pauschalreise hinaus gezahlten Betrags zu.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist das LG ausgegangen, dass der Beklagten für die Auswahl und Gestaltung des Reiseprogramms der gebuchten "Fahrt ins Blaue" ein Leistungsbestimmungsrecht zustand. Dieses Recht hat entgegen der Ansicht des LG allerdings seine Grundlage nicht in § 243 Abs. 2 BGB. Reiseleistungen können in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 1 BGB zwar grundsätzlich Gegenstand einer Gattungsschuld sein. Dies setzt aber voraus, dass eine Leistung mittlerer Art und Güte bestimmt werden kann. Letzteres ist nur dann möglich, wenn die als gattungsgemäß in Frage kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben. Bei lediglich mit "Fahrt ins Blaue" bezeichneten Reiseleistungen fehlt es an gattungsbildenden Merkmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegen-standes mittlerer Art und Güte erlauben.
Mit dem Recht, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages festzulegen, hat sich die Beklagte als Reiseveranstalter jedoch ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, das mangels abweichender Regelung nach billigem Ermessen auszuüben ist. Dass ein solches Bestimmungsrecht auch in einem Pauschalreisevertrag vereinbart werden kann, hat der Senat bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung von Abflugzeiten entschieden. Für die Bestimmung von Reisezielen oder Programmpunkten gilt nichts anderes.
Das ihr zustehende Bestimmungsrecht hat die Beklagte im Streitfall durch Aushändigung des Reiseprogramms ausgeübt. Die Ausübung des Bestimmungsrechts erfolgt gem. § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Es handelt sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der der Leistungsinhalt konkretisiert wird. Eine solche Erklärung ist unwiderruflich. Im Streitfall hat die Beklagte ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise. Unter der Überschrift "Ihr persönliches Reiseprogramm" werden die Reiseleistungen und der zeitliche Ablauf der Reise im Einzelnen benannt. Der Besuch des Musicals "Cirque du Soleil Paramour" wird als Höhepunkt der Reise bezeichnet.
Diese Mitteilung bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie vorläufigen Charakter hat und einzelne Programmpunkte und insbesondere der Reisehöhepunkt noch austauschbar sein sollten. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht konnte und durfte die Mitteilung vielmehr als Festlegung des zuvor noch unbestimmten Inhalts der gebuchten "Fahrt ins Blaue" aufgefasst werden. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat diese Würdigung selbst vornehmen. Ebenfalls zu Recht hat das LG den Wegfall des Musicalbesuchs als zur Minderung berechtigenden Reisemangel bewertet.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Die Entwicklungen des Pauschalreiserechts im Jahr 2021
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2022, 1377
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht:
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BGH online
Der Kläger macht Ansprüche auf Minderung wegen mangelhafter Reiseleistungen geltend. Der Kläger buchte über ein Reisebüro bei der Beklagten für elf Personen zu einem Gesamtpreis von rd. 2.100 € eine als "Fahrt ins Blaue" beworbene Busreise mit Hotelübernachtungen, die vom 13. bis 15.3.2020 stattfinden sollte. In Abhängigkeit davon, ob Einzel- oder Doppelzimmer gebucht wurden, betrug der Teilnehmerpreis pro Person rd. 195 oder 255 €. Reiseziel und Reiseprogramm waren den Teilnehmern vor Antritt der Reise nicht bekannt.
Zu Beginn der Reise wurde den Reisenden ein Reiseprogramm ausgehändigt, welches neben zwei Hotelübernachtungen in Hamburg, einer Führung im Speicherstadtmuseum und einer großen Hafenrundfahrt den Besuch des Musicals "Cirque du Soleil Paramour" mit einer Veranstaltungsdauer von zweieinhalb Stunden vorsah. Am Nachmittag des Anreisetages wurde den Reiseteilnehmern bekannt gegeben, dass der Besuch des Musicals infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht stattfinden könne. Stattdessen führte die Beklagte eine von einer Reiseführerin begleitete dreistündige Stadtrundfahrt durch Hamburg durch.
Das AG wies die die auf Zahlung eines Minderungsbetrags von 65 € pro Teilnehmer, insgesamt also 715 €, und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage ab. Das LG gab ihr teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 320 € und Erstattung anteiliger außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
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Dem Kläger steht gem. § 651m Abs. 2 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Erstattung des über den geminderten Reisepreis der gebuchten Pauschalreise hinaus gezahlten Betrags zu.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist das LG ausgegangen, dass der Beklagten für die Auswahl und Gestaltung des Reiseprogramms der gebuchten "Fahrt ins Blaue" ein Leistungsbestimmungsrecht zustand. Dieses Recht hat entgegen der Ansicht des LG allerdings seine Grundlage nicht in § 243 Abs. 2 BGB. Reiseleistungen können in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 1 BGB zwar grundsätzlich Gegenstand einer Gattungsschuld sein. Dies setzt aber voraus, dass eine Leistung mittlerer Art und Güte bestimmt werden kann. Letzteres ist nur dann möglich, wenn die als gattungsgemäß in Frage kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben. Bei lediglich mit "Fahrt ins Blaue" bezeichneten Reiseleistungen fehlt es an gattungsbildenden Merkmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegen-standes mittlerer Art und Güte erlauben.
Mit dem Recht, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages festzulegen, hat sich die Beklagte als Reiseveranstalter jedoch ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, das mangels abweichender Regelung nach billigem Ermessen auszuüben ist. Dass ein solches Bestimmungsrecht auch in einem Pauschalreisevertrag vereinbart werden kann, hat der Senat bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung von Abflugzeiten entschieden. Für die Bestimmung von Reisezielen oder Programmpunkten gilt nichts anderes.
Das ihr zustehende Bestimmungsrecht hat die Beklagte im Streitfall durch Aushändigung des Reiseprogramms ausgeübt. Die Ausübung des Bestimmungsrechts erfolgt gem. § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Es handelt sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der der Leistungsinhalt konkretisiert wird. Eine solche Erklärung ist unwiderruflich. Im Streitfall hat die Beklagte ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise. Unter der Überschrift "Ihr persönliches Reiseprogramm" werden die Reiseleistungen und der zeitliche Ablauf der Reise im Einzelnen benannt. Der Besuch des Musicals "Cirque du Soleil Paramour" wird als Höhepunkt der Reise bezeichnet.
Diese Mitteilung bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie vorläufigen Charakter hat und einzelne Programmpunkte und insbesondere der Reisehöhepunkt noch austauschbar sein sollten. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht konnte und durfte die Mitteilung vielmehr als Festlegung des zuvor noch unbestimmten Inhalts der gebuchten "Fahrt ins Blaue" aufgefasst werden. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat diese Würdigung selbst vornehmen. Ebenfalls zu Recht hat das LG den Wegfall des Musicalbesuchs als zur Minderung berechtigenden Reisemangel bewertet.
Aufsatz:
Die Entwicklungen des Pauschalreiserechts im Jahr 2021
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2022, 1377
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