21.06.2024

Reiserecht: Ausgleichsansprüche nach Flugverspätung wegen Enteisung?

Ein Luftfahrtunternehmen kann sich von seiner Ausgleichsverpflichtung nur nach Darlegung einer entsprechenden Suche für den konkreten Fall entlasten (EuGH Urt. v. 11.06.2020 - C-74/19). Dabei können auch Kombinationen aus Flügen und sonstigen Verkehrsmitteln eine zumutbare Maßnahme darstellen.

LG Landshut v. 14.6.2024, 12 S 1704/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin machte Ausgleichsansprüche aus abgetretenem Recht gem. Art. 5, 7 VO (EG) 261/2004 geltend. Die Zedenten verfügten über eine bestätigte Buchung für eine Flugverbindung am 3.1.2022 von Tallinn über Warschau nach München. Geplante Startzeit des Fluges von Tallinn nach Warschau war 6.00 Uhr Ortszeit, geplante Ankunftszeit in Warschau 6.40 Uhr Ortszeit. Der Anschlussflug nach München sollte um 07.30 Uhr Ortszeit starten und um 09.15 Uhr Ortszeit landen. Der Flug von Tallinn startete allerdings mit Verspätung und erreichte Warschau erst um 07.08 Uhr. Dadurch konnte der Anschlussflug nach München nicht mehr erreicht werden. Mit der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Ersatzbeförderung erreichten die Passagiere ihr Endziel mit einer Verspätung von 5 Stunden 47 Minuten.

Die Beklagte behauptete, dass das Flugzeug vor dem Flug von Tallinn nach Warschau habe enteist werden müssen und es deswegen zu der Verspätung gekommen sei. Die Zedenten seien mit dem nächsten möglichen Flug zum Zielort befördert worden. Für die Umbuchung habe die Beklagte auf ihr Buchungssystem zurückgegriffen, in dem alle verfügbaren Flüge sämtlicher Fluggesellschaften hinterlegt seien und mit dem sämtliche verfügbaren direkten und indirekten Flugverbindungen bei Eingabe des Standorts und des Zielorts angezeigt würden.

Das AG gab der Klage vollumfänglich statt. Die Beklagte verwies im Berufungsverfahren weiterhin auf außergewöhnliche Umstände als alleinige Ursache der Verspätung. Das LG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die Beklagte hat nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen war (Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004). Letztlich konnte die Frage auch dahinstehen, da die Beklagte jedenfalls nicht dargetan hat, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung ergriffen hatte, Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004.

Ein Luftfahrtunternehmen kann sich von seiner Ausgleichsverpflichtung nur nach Darlegung einer entsprechenden Suche für den konkreten Fall entlasten (EuGH Urt. v. 11.06.2020 - C-74/19). Dabei können auch Kombinationen aus Flügen und sonstigen Verkehrsmitteln eine zumutbare Maßnahme darstellen. Mit Urteil vom 22.4.2021 - C-826/19 hat der EuGH entschieden, dass bei Umleitung eines Fluges an einen anderen das Gebiet bedienenden Flughafen das Luftfahrtunternehmen keine Ausgleichsleistung gem. Art. 7 VO (EG) 261/2004 zahlen muss, auch wenn die Strecke zwischen dem Zielflughafen und dem Zielort (ursprünglichen Zielflughafen) mit anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt wird und die Ankunft dort nicht mit großer Verspätung erfolgt.

Grundsätzlich war es demnach nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte ein automatisiertes Umbuchungssystem verwendet, sofern dabei sämtliche möglichen anderweitigen direkten oder indirekten Beförderungsmöglichkeiten unter Einbeziehung aller am Markt operierenden Fluggesellschaften gegebenenfalls in Kombination mit anderen Verkehrsträgern wie dem Straßen- oder Schienenverkehr geprüft werden. Vorliegend hat die Beklagte jedoch nur vorgetragen, dass sie bei Umbuchungen auf ihr Buchungssystem zurückgreife, in diesem alle verfügbaren Flüge sämtlicher Fluggesellschaften hinterlegt seien so wie bei der Öffentlichkeit zugänglichen Flugbuchungsportalen bzw. wie bei Reisebüros.

Die Beklagte hat somit bei ihrer Suche keine Kombinationen aus Flügen und sonstigen Verkehrsmitteln berücksichtigt. Die Beklagte hat daher bereits nicht dargetan, dass es keine andere schnellere Möglichkeit gegebenenfalls als Kombination verschiedener Verkehrsmittel gegeben hätte. Im Übrigen wurde für den Suchvorgang kein Beweis angeboten, so dass die Beklagte auch beweisfällig geblieben ist. Da die Klagepartei keinen Einblick in den Umbuchungsvorgang hat und daher keine Gegendarstellung abgeben konnte, durfte sie sich auf einfaches Bestreiten beschränken, § 138 Abs. 4 ZPO.

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Aufsatz
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2022
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 1023

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