11.12.2023

Reiserecht: Stellt Enteisung von Flugzeugen außergewöhnlichen Umstand dar?

Nach Erwägungsgrund Nr. 14 der Fluggastrechte-VO können unter den Begriff des außergewöhnlichen Umstands u.a. auch mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen fallen. Ob Verzögerungen auf Grund einer erforderlichen Enteisung von Flugzeugen einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, ist soweit ersichtlich bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Infolgedessen war die Revision zum BGH zuzulassen.

LG Düsseldorf v. 20.10.2023 - 22 S 2/23
Der Sachverhalt:
Die Parteien stritten um Entschädigungsansprüche nach der Fluggastrechte-VO, nachdem es beim Rückflug der Zedentin am 5.12.2021 am Flughafen Minneapolis wegen einer Enteisung des Flugzeugs zu einer Abflugverspätung von einer Stunde und 22 Minuten gekommen war. Da die Zedentin hierdurch ihren Anschlussflug in Amsterdam verpasst hatte, betrug die Ankunftsverspätung am Endziel drei Stunden und 51 Minuten.

Die Klägerin hat erstinstanzlich ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 600 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2021 zu zahlen. Die Beklagte hat dem widersprochen und zudem darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der VO (EG) Nr. 261/2004 allenfalls i.H.v. 300 € bestehen könne, da die Zedentin ihr Endziel Düsseldorf unstreitig mit einer Verspätung von unter vier Stunden erreichen konnte. Der Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der VO (EG) Nr. 261/2004 sei daher gem. Art. 7 Abs. 2 c) i) VO (EG) Nr. 261/2004 um 50 % zu kürzen.

Die Klägerin hat daraufhin erklärt, soweit die Beklagte von ihrem Kürzungsrecht Gebrauch mache, erkläre sie den Rechtsstreit i.H.v. 300 € nebst anteiliger Zinsen für erledigt und beantrage, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das AG hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 600 € nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Entscheidung abgeändert und die Klage abgewiesen. Allerdings wurde die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Das Urteil war bereits insoweit abzuändern, als das AG übersehen hat, dass die Parteien den Rechtsstreit i.H.v. 300 e übereinstimmend für erledigt erklärt hatten und nur noch ein weiterer Betrag von 300 € streitgegenständlich war.

Das AG hat der Klage aber auch darüber hinaus zu Unrecht stattgegeben. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Ausgleichsleistungen von 300 € aus abgetretenem Recht der Zedentin gem. Art. 5 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c), Abs. 2 lit. c) Fluggastrechte-VO i.V.m. § 398 BGB wegen der großen Verspätung des streitgegenständlichen Fluges bestand nicht, da die Beklagte sich auf außergewöhnliche Umstände i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO berufen durfte. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung können als "außergewöhnliche Umstände" nur Vorkommnisse angesehen werden, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist. Hierbei sind Vorkommnisse mit im Hinblick auf das ausführende Luftfahrtunternehmen "interner" Ursache von solchen mit "externer" Ursache zu unterscheiden.

Nach Erwägungsgrund Nr. 14 der Fluggastrechte-VO können unter den Begriff des außergewöhnlichen Umstands u.a. auch mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen fallen. Demnach können Wetterverhältnisse, die zu Annullierungen oder Verspätungen führen, außergewöhnliche Umstände im Sinne der genannten Vorschrift darstellen. Hierzu zählt auch die von der Beklagten geschilderte Wetterlage am 5.12.2021, die eine Enteisung des Flugzeugs erforderlich machte. Dies steht letztlich auch im Einklang mit dem von der Fluggastrechte-VO verfolgten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Unter Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze stellt sich vorliegend die Enteisung des Flugzeugs nicht als Vorkommnis dar, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Beklagten ist.

Allerdings war die Revision gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen. Ob Verzögerungen auf Grund einer erforderlichen Enteisung von Flugzeugen einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, ist soweit ersichtlich bislang höchstrichterlich nicht entschieden.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 65

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