19.06.2024

Reiserecht: Waldbrände in Griechenland als Rücktrittsgrund i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB?

An die dem Reisenden obliegende Darlegung und den Nachweis der konkreten außergewöhnlichen Umstände i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung dürfen aber keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Auf eine tatsächliche Gefahr und den Umstand, dass die Reise tatsächlich ohne Beeinträchtigung habe durchgeführt werden können, kommt es nicht an. Die Beeinträchtigung muss im Zeitpunkt des Rücktritts gerade noch nicht feststehen. Vielmehr muss bei einer Prognose ex ante aus Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bzw. Gefährdung bestehen.

AG Düsseldorf v. 12.4.2024 - 48 C 356/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte für sich und ihre Familie (Ehemann nebst Zwillinge im Babyalter) am 11.4.2023 bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Kolymbia auf Rhodos für den Reisezeitraum 27.7. bis zum 8.8.2023 gebucht. Der Gesamtreisepreis betrug 3.910 € und wurde von der Klägerin vollständig gezahlt.

Im Juli 2023 brach auf der Insel Rhodos ein Waldbrand aus. Am 26.7.2023 veröffentlichte das Auswärtige Amt auf seiner Homepage diesbezüglich einen Sicherheitshinweis. . sollten u.a. nicht erforderliche Reisen in die Gefahrengebiete verschoben werden. Nach Vortrag der Klägerin hatte auch der Deutschlandfunk über die Lage auf der griechischen Insel Rhodos berichtet. Einsatzkräfte äußerten sich dahingehend, dass die Lage als besonders gefährlich eingestuft wurde. Die Klägerin sah am 26.7.2023 eine FIRMS-Satellitenkarte der NASA ein, wobei hier ein Brand in Archangelos zu erkennen war, einem Ort, der 12 km Luftlinie von dem gebuchten Hotel entfernt liegt. Einige Reiseveranstalter hatten damals ankündigt, bis zum 28.7.2023 keine weiteren Touristen mehr nach Rhodos zu bringen und geplante Flüge nur noch zu dem Zwecke stattfinden zu lassen, Gäste zurück in die Heimat zu bringen.

Die Klägerin erklärte am 26.7.2023 den Rücktritt vom Reisevertrag. Die Beklagte behielt Stornokosten i.H.v. 3.128 € ein (80 % des Reisepreises), deren Rückzahlung die Klägerin begehrte. Am 28.7.2023 waren die Waldbrände auf Rhodos vollständig gelöscht. Die Klägerin war der Ansicht, die Waldbrände stellten einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB dar, so dass sie ohne eine Entschädigung leisten zu müssen, vom Reisevertrag habe zurücktreten können.

Das AG gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die Klägerin kann von der Beklagten die Rückzahlung des restlichen Reisepreises ("Stornokosten") i.H.v. 3.128 € gem. § 651 h Abs. 5, Abs. 1 BGB verlangen.

Der Entschädigungsanspruch der Beklagten gem. § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BGB i.V.m. ihren AGB war gem. § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Bei den im Rücktrittszeitpunkt vorherrschenden Waldbränden auf Rhodos handelte es sich um einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand, der die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt hatte. An die dem Reisenden obliegende Darlegung und den Nachweis der konkreten außergewöhnlichen Umstände i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung dürfen aber keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Für die Erheblichkeit der Beeinträchtigung kommt es nicht nur darauf an, welchen Anteil der Mangel in Relation zur gesamten Reiseleistung hat. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, wie gravierend sich der Mangel für den Reisenden auswirkt. Dabei ist das Maß, mit dem ein Mangel die Reise beeinträchtigt, auf Grund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen.

Demgegenüber kommt es auf eine tatsächliche Gefahr und den Umstand, dass die Reise tatsächlich ohne Beeinträchtigung habe durchgeführt werden können, nicht an. Die Beeinträchtigung muss im Zeitpunkt des Rücktritts gerade noch nicht feststehen. Vielmehr muss bei einer Prognose ex ante aus Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bzw. Gefährdung bestehen. Gemessen an diesen Grundsätzen durfte die Klägerin auf Grundlage ihrer im Rücktrittszeitpunkt am 26.7.2023 - mithin gerade einmal einen Tag vor der geplanten Reise - anzustellenden Prognose mit hinreichender Sicherheit von einer erheblich beeinträchtigten Reise, die einen "kostenlosen" Rücktritt des Reisenden rechtfertigt, ausgehen.

Dafür, dass die Prognose der Klägerin nicht zu beanstanden war, sprach auch der vom Auswärtigen Amt im Rücktrittszeitpunkt veröffentliche und von der Klägerin zitierte Sicherheitshinweis. Hinzu kam, dass zumindest ein Konkurrent der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt ankündigt hatte, keine weiteren Touristen mehr nach Rhodos zu bringen, sondern die geplanten Flüge nur durchzuführen, um Touristen von Rhodos auszufliegen. Zudem befand sich 12 km vom Urlaubsort entfernt ein Brandherd, den die Beklagte zwar als "kleineren Brandherd" bezeichnete, bei dem aber die Klägerin, die diesen am 26.7.2023 auf einer Satellitenkarte der NASA entdeckt hatte, im Rahmen ihrer zu treffenden Prognoseentscheidung nicht ausschließen konnte, dass dieser sich weiter ausweiten würde.

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Aufsatz
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2022
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 1023

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