08.09.2023

Schadensersatzpflicht bei psychisch krankem Schädiger

Der Beklagte hat den Eintritt der manischen Phase vielmehr zu verantworten, da er die ihm verordnete Medikation zur Verhinderung eines Rückfalls eigenmächtig abgesetzt hatte. Auch in solchen Fällen greift § 827 S. 2 BGB nach einhelliger Meinung.

OLG Brandenburg v. 4.7.2023 - 3 U 69/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte am 3.9.2020 ihr Auto vor dem Mehrfamilienhaus, in dem sie lebt, geparkt. Dort ist das Fahrzeug früh am Morgen beschädigt worden. Die Klägerin hat hierzu behauptet, der Beklagte habe das Auto aus seinem Wohnungsfenster heraus mit diversen Dingen beworfen, wie etwa einem Staubsauger, einem Kurzbeil und Bierflaschen. Der Beklagte, der an einer bipolaren Störung erkrankt ist und unter rechtlicher Betreuung steht, hat den Vorfall mit Nichtwissen bestritten. Nach Eintreffen der Polizei wurde er noch am gleichen Tag gem. § 12 BbgPsychKG stationär in einer psychiatrischen Klinik untergebracht und einige Tage behandelt. Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe ausweislich der strafrechtlichen Ermittlungsakte zum Ereigniszeitpunkt 1,59 Promille Blutalkoholgehalt gehabt, so dass das Ereignis darauf zurückzuführen sei.

Die Klägerin verlangte auf Grundlage eines Kostenvoranschlags ihrer Werkstatt Nettoreparaturkosten i.H.v. rund 5.200 € und die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für künftig entstehende Kosten. Sowohl der Beklagte als auch die hinter ihm stehende Haftpflichtversicherung haben die Regulierung abgelehnt. Das LG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zu seiner Überzeugung stehe fest, dass sich der Beklagte in einer akuten Episode einer bipolaren affektiven Psychose und damit in einem Zustand der Aufhebung der freien Willensbildung befunden habe, weshalb ihm eine Unrechtseinsicht gefehlt habe. Er sei deshalb für den eingetretenen Schaden gem. § 827 S. 1 BGB nicht verantwortlich. Eine Verantwortlichkeit des Beklagten nach § 827 S. 2 Hs. BGB scheide aus. Denn die Alkoholisierung sei ausweislich des Sachverständigengutachtens Folge der Aufhebung der Steuerungsfähigkeit und nicht deren Ursache.

Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von 4.578 € verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass der Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, ihr die weiteren aus dem Schadensereignis resultierenden materiellen Schäden zu ersetzen.

Die Gründe:
Der Beklagte hat der Klägerin gem. § 823 Abs. 1 BGB Nettoreparaturkosten i.H.v. 4.553 € sowie eine Unkostenpauschale in Höhe von 25 € zu erstatten.

Der Beklagte war verantwortlich für den von ihm an dem klägerischen Fahrzeug angerichteten Schaden. Zwar war § 827 S. 1 BGB erfüllt, denn Beklagte befand sich aufgrund des überzeugenden Gutachtens am 3.9.2020 in einer akuten Episode einer bipolaren affektiven Psychose. Ungeachtet dessen konnte er aber nach § 827 S. 2 BGB zur Verantwortung gezogen werden. Denn danach ist in gleicher Weise verantwortlich, wer sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt und in diesem Zustand widerrechtlich einen Schaden verursacht, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt allerdings nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.

Ansatzpunkt für die Haftung nach § 827 S. 2 BGB war aber entgegen der von der Klägerin vertreten Auffassung nicht eine etwaige Alkoholisierung des Beklagten zum Tatzeitpunkt. Schließlich erfolgte der Alkoholkonsum bereits in einem Zustand der Schuldunfähigkeit, die mit Beginn der manischen Phase eingetreten war. Der Beklagte hat den Eintritt der manischen Phase vielmehr zu verantworten, da er die ihm verordnete Medikation zur Verhinderung eines Rückfalls eigenmächtig abgesetzt hatte. Auch in solchen Fällen greift § 827 S. 2 BGB nach einhelliger Meinung.

Nach einer Auffassung ist § 827 S. 2 BGB bereits dem Wortlaut nach auch anwendbar auf Fälle wie den vorliegenden, in denen der Täter eine Medikation nicht eingenommen hat, mit deren Hilfe er den Wahnzustand vermeiden konnte. Denn der Wortlaut erfasse nach dem Zweck der Norm jedes Mittel, das zu einem Ausschluss der freien Willensbestimmung führe. Nach anderer Auffassung ist § 827 S. 2 BGB jedenfalls entsprechend anzuwenden, wenn eine Person (etwa mit schizophrener Grunderkrankung) notwendige Medikamente (schuldhaft) absetzt oder eine Medikation eigenmächtig verändert und dadurch in einen Zustand mit gänzlicher Bewusstseinsstörung gerät.

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