Schadensersatzpflicht eines Vermieters bei schuldhafter Verursachung einer Notlage des Mieters
BGH v. 21.6.2023 - VIII ZR 303/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte hatte im Juli 2017 eine Wohnung in Hamburg angemietet und an T. untervermietet. Die monatliche Nettokaltmiete betrug zu Mietbeginn 615 € zzgl. Betriebs- und Heizkosten i.H.v. insgesamt 307 €. Die Miete sowie die Betriebs- und Heizkosten wurden von der Klägerin als Unterkunftskosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) für T. und dessen - insgesamt vierköpfige - Familie übernommen und direkt an die Beklagte gezahlt.
Im Februar 2018 kündigte der Hauptvermieter das Mietverhältnis der Beklagten gegenüber wegen aus seiner Sicht unerlaubter Untervermietung. Im Juni 2018 kündigte er erneut aufgrund von Zahlungsrückständen. Im August 2018 schlossen die Beklagte und der Hauptvermieter einen gerichtlichen Vergleich, wonach sich die Beklagte verpflichtete, die untervermietete Wohnung an den Hauptvermieter herauszugeben.
Daraufhin erklärte die Beklagte gegenüber T. die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Untermietverhältnisses und forderte diesen zum Auszug auf. Auch der Hauptvermieter machte ihm gegenüber unter Hinweis auf die Beendigung des Hauptmietverhältnisses die Herausgabe der Wohnung geltend. Diesem Verlangen kam der Untermieter nach. Er wurde daraufhin mit seiner Familie zur Vermeidung sonst drohender Obdachlosigkeit in einer öffentlichen "Notunterkunft" untergebracht. Die Klägerin übernahm (auch) die für diese "Notunterbringung" anfallenden Kosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), für die Zeit von Oktober 2018 bis August 2020 insgesamt rund 53.909 €.
Die Klägerin hat die Beklagte zuletzt auf Zahlung der vorgenannten Unterbringungskosten sowie auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen für den gesamten Zeitraum des Untermietverhältnisses (Juli 2017 bis Oktober 2018) i.H.v. 4.912 € in Anspruch genommen. Das AG hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das LG das Urteil teilweise abgeändert und lediglich deren Verurteilung zur Rückzahlung der Betriebskostenvorauszahlungen aufrechterhalten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als in Höhe eines Betrags von 37.423 € zum Nachteil der Klägerin erkannt worden war und die Sache Im Umfang der Aufhebung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte ein Anspruch des ehemaligen Untermieters T. gegenüber der Beklagten auf Ersatz der Kosten der Notunterbringung aus § 536a Abs. 1, § 536 Abs. 3 BGB, der gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf die Klägerin übergegangen war, nicht verneint werden.
Rechtsfehlerhaft war die Annahme der Vorinstanz, dem ehemaligen Untermieter der Beklagten sei kein ersatzfähiger Schaden entstanden, weil es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen den Unterkunftskosten und der Pflichtverletzung der Beklagten fehle. Die Schadensersatzpflicht hängt zum einen davon ab, ob die verletzte Bestimmung überhaupt den Schutz Einzelner bezweckt und der Verletzte gegebenenfalls zu dem geschützten Personenkreis gehört. Zum anderen muss geprüft werden, ob die Bestimmung das verletzte Rechtsgut schützen soll. Darüber hinaus muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. - wie vorliegend - der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Der Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein "äußerlicher", gleichsam "zufälliger" Zusammenhang genügt nicht.
Infolgedessen bestand hier ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden. In der Belastung mit den Kosten der Unterbringung in einer öffentlichen Einrichtung zur Vermeidung sonst drohender Obdachlosigkeit wirkte die durch die Beklagte begangene schuldhafte Vertragspflichtverletzung fort. Der Schaden stammte aus dem Bereich der Gefahren, zu deren Abwendung diese verletzte Vertragspflicht bestand. Die Beklagte war infolge der Geltendmachung des Herausgabeanspruchs durch den Hauptvermieter nicht mehr in der Lage, dem Untermieter den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung zu gewähren (§ 536a Abs. 1, § 536 Abs. 3 BGB). Mit dem somit verletzten Gebrauchserhaltungsinteresse des Untermieters standen die in der Folge angefallenen Unterbringungskosten in einem inneren Zusammenhang. Denn ebenso wie der einem Mieter zustehende Gebrauchsüberlassungsanspruch ist auch die Unterbringung in einer "Notunterkunft" nicht auf Dauer angelegt.
Anders als das LG meinte, fehlte es an dem gebotenen inneren Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem Schaden auf Seiten des ehemaligen Untermieters nicht deshalb, weil dieser infolge seiner "Notunterbringung" nicht (mehr) die Rechte und Pflichten eines Mieters i.S.d. §§ 535 ff. BGB hatte. Die veränderte (Rechts-)Stellung war Folge des Umstands, dass die Familie T. nach den rechtsfehlerfreien und insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts als SGB II-Leistungsempfänger in Hamburg auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung nicht hat finden können und demzufolge durch einen "öffentlich-rechtlichen Träger" einer "Notunterkunft" zwecks Vermeidung von Obdachlosigkeit "zugewiesen" worden war.
Mehr zum Thema:
Aufsatz
Hans Reinold Horst
Mietspiegel-Reform
MDR 2022, 863
Aufsatz
Markus Artz
Rechtsprechungsübersicht zum Wohnraummietrecht 2022
MDR 2023, 819
Beratermodul Mietrecht und WEG-Recht:
Die perfekte Basisausstattung zum Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht für Praktiker. Jetzt topaktuell mit Beiträgen u.a.: Übersicht zu den neuen §§ 5 u. 6a HeizkostenV - Teil I, Wohnungseigentum - praktische Fragen zur Eintragung von Beschlüssen. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. Recherchieren Sie hier mit den führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Topaktuelle Online-Aktualisierungen im Erman BGB; Updates im Zöller ZPO. Zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Die Beklagte hatte im Juli 2017 eine Wohnung in Hamburg angemietet und an T. untervermietet. Die monatliche Nettokaltmiete betrug zu Mietbeginn 615 € zzgl. Betriebs- und Heizkosten i.H.v. insgesamt 307 €. Die Miete sowie die Betriebs- und Heizkosten wurden von der Klägerin als Unterkunftskosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) für T. und dessen - insgesamt vierköpfige - Familie übernommen und direkt an die Beklagte gezahlt.
Im Februar 2018 kündigte der Hauptvermieter das Mietverhältnis der Beklagten gegenüber wegen aus seiner Sicht unerlaubter Untervermietung. Im Juni 2018 kündigte er erneut aufgrund von Zahlungsrückständen. Im August 2018 schlossen die Beklagte und der Hauptvermieter einen gerichtlichen Vergleich, wonach sich die Beklagte verpflichtete, die untervermietete Wohnung an den Hauptvermieter herauszugeben.
Daraufhin erklärte die Beklagte gegenüber T. die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Untermietverhältnisses und forderte diesen zum Auszug auf. Auch der Hauptvermieter machte ihm gegenüber unter Hinweis auf die Beendigung des Hauptmietverhältnisses die Herausgabe der Wohnung geltend. Diesem Verlangen kam der Untermieter nach. Er wurde daraufhin mit seiner Familie zur Vermeidung sonst drohender Obdachlosigkeit in einer öffentlichen "Notunterkunft" untergebracht. Die Klägerin übernahm (auch) die für diese "Notunterbringung" anfallenden Kosten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), für die Zeit von Oktober 2018 bis August 2020 insgesamt rund 53.909 €.
Die Klägerin hat die Beklagte zuletzt auf Zahlung der vorgenannten Unterbringungskosten sowie auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen für den gesamten Zeitraum des Untermietverhältnisses (Juli 2017 bis Oktober 2018) i.H.v. 4.912 € in Anspruch genommen. Das AG hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das LG das Urteil teilweise abgeändert und lediglich deren Verurteilung zur Rückzahlung der Betriebskostenvorauszahlungen aufrechterhalten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als in Höhe eines Betrags von 37.423 € zum Nachteil der Klägerin erkannt worden war und die Sache Im Umfang der Aufhebung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte ein Anspruch des ehemaligen Untermieters T. gegenüber der Beklagten auf Ersatz der Kosten der Notunterbringung aus § 536a Abs. 1, § 536 Abs. 3 BGB, der gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf die Klägerin übergegangen war, nicht verneint werden.
Rechtsfehlerhaft war die Annahme der Vorinstanz, dem ehemaligen Untermieter der Beklagten sei kein ersatzfähiger Schaden entstanden, weil es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen den Unterkunftskosten und der Pflichtverletzung der Beklagten fehle. Die Schadensersatzpflicht hängt zum einen davon ab, ob die verletzte Bestimmung überhaupt den Schutz Einzelner bezweckt und der Verletzte gegebenenfalls zu dem geschützten Personenkreis gehört. Zum anderen muss geprüft werden, ob die Bestimmung das verletzte Rechtsgut schützen soll. Darüber hinaus muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. - wie vorliegend - der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Der Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein "äußerlicher", gleichsam "zufälliger" Zusammenhang genügt nicht.
Infolgedessen bestand hier ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden. In der Belastung mit den Kosten der Unterbringung in einer öffentlichen Einrichtung zur Vermeidung sonst drohender Obdachlosigkeit wirkte die durch die Beklagte begangene schuldhafte Vertragspflichtverletzung fort. Der Schaden stammte aus dem Bereich der Gefahren, zu deren Abwendung diese verletzte Vertragspflicht bestand. Die Beklagte war infolge der Geltendmachung des Herausgabeanspruchs durch den Hauptvermieter nicht mehr in der Lage, dem Untermieter den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung zu gewähren (§ 536a Abs. 1, § 536 Abs. 3 BGB). Mit dem somit verletzten Gebrauchserhaltungsinteresse des Untermieters standen die in der Folge angefallenen Unterbringungskosten in einem inneren Zusammenhang. Denn ebenso wie der einem Mieter zustehende Gebrauchsüberlassungsanspruch ist auch die Unterbringung in einer "Notunterkunft" nicht auf Dauer angelegt.
Anders als das LG meinte, fehlte es an dem gebotenen inneren Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem Schaden auf Seiten des ehemaligen Untermieters nicht deshalb, weil dieser infolge seiner "Notunterbringung" nicht (mehr) die Rechte und Pflichten eines Mieters i.S.d. §§ 535 ff. BGB hatte. Die veränderte (Rechts-)Stellung war Folge des Umstands, dass die Familie T. nach den rechtsfehlerfreien und insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts als SGB II-Leistungsempfänger in Hamburg auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung nicht hat finden können und demzufolge durch einen "öffentlich-rechtlichen Träger" einer "Notunterkunft" zwecks Vermeidung von Obdachlosigkeit "zugewiesen" worden war.
Aufsatz
Hans Reinold Horst
Mietspiegel-Reform
MDR 2022, 863
Aufsatz
Markus Artz
Rechtsprechungsübersicht zum Wohnraummietrecht 2022
MDR 2023, 819
Beratermodul Mietrecht und WEG-Recht:
Die perfekte Basisausstattung zum Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht für Praktiker. Jetzt topaktuell mit Beiträgen u.a.: Übersicht zu den neuen §§ 5 u. 6a HeizkostenV - Teil I, Wohnungseigentum - praktische Fragen zur Eintragung von Beschlüssen. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. Recherchieren Sie hier mit den führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Topaktuelle Online-Aktualisierungen im Erman BGB; Updates im Zöller ZPO. Zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!