05.08.2024

Stillschweigende Risikoübernahme: Zur Erstattung des Beförderungsentgelts für nicht angetretenen Flug

Eine Verantwortlichkeit des Gläubigers i.S.v. § 323 Abs. 6 Fall 1 BGB und § 326 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 BGB kann auch dann anzunehmen sein, wenn die Auslegung des Vertrags ergibt, dass der Gläubiger nach der vertraglichen Gestaltung das Risiko eines bestimmten Leistungshindernisses ausdrücklich oder konkludent übernommen hat und sich dieses Leistungshindernis verwirklicht. Eine stillschweigende Risikoübernahme in diesem Sinne ist in der Regel zu bejahen, wenn der Gläubiger eine Luftbeförderung unter Ausschluss der nachträglichen Änderung des Beförderungszeitpunktes bucht, obwohl die zu befördernden Personen von einem für das Zielland seit längerem bestehenden Einreiseverbot betroffen sind, das an den Zweck der Reise oder sonstige persönliche Umstände anknüpft, und nicht absehbar ist, ob dieses Verbot vor dem vereinbarten Beförderungszeitpunkt aufgehoben wird.

BGH v. 25.6.2024 - X ZR 97/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung des Beförderungsentgelts für einen gebuchten, aber nicht angetretenen Flug in Anspruch. Die Klägerin buchte als Inhaberin einer Reiseagentur am 10.10.2020 bei der Beklagten für drei Fluggäste eine Flugreise, die am 4.8.2021 von München nach San Francisco und am 24.8.2021 von Las Vegas über Frankfurt nach München führen sollte. Der gebuchte Tarif sah für den Fall der Stornierung lediglich die Erstattung von Steuern und Gebühren vor. Die Klägerin zahlte den Flugpreis i.H.v. insgesamt rd. 2.100 €. Darin waren Steuern und Gebühren i.H.v. insgesamt rd. 1.100 € enthalten.

Aufgrund der Covid-19-Pandemie bestand zum Zeitpunkt der Buchung für Passagiere aus dem Schengen-Raum bereits seit sieben Monaten ein unbefristetes Verbot der Einreise in die Vereinigten Staaten. Dieses bestand bis zum 7.11.2021 fort. Die drei Fluggäste, für die die Klägerin gebucht hatte, traten den Flug deswegen nicht an. Alle gebuchten Flüge fanden statt. Die Beklagte hätte die Fluggäste, die als Touristen in die Vereinigten Staaten fliegen wollten, jedoch nicht befördert. Nach vorheriger Mahnung und Fristsetzung nahm die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von rd. 2.100 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch.

Das AG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rd. 1.100 € nebst Zinsen. Mit ihrer Berufung verlangte die Klägerin Zahlung weiterer rd. 1.000 € nebst Zinsen. Das LG wies die Berufung zurück. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das LG ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin ihr Begehren nach vollständiger Erstattung des Flugpreises nicht auf § 346 Abs. 1 i.V.m. § 326 Abs. 5 und § 275 Abs. 1 BGB stützen kann.

Nach der Regelung in § 323 Abs. 6 Fall 1 BGB, die gem. § 326 Abs. 5 BGB auch im Falle der Unmöglichkeit Anwendung findet, ist ein Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigt - im vorliegenden Zusammenhang also für die Unmöglichkeit der Leistung - allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Unter diesen Voraussetzungen behält der Schuldner der unmöglich gewordenen Leistung gem. § 326 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 BGB grundsätzlich seinen Anspruch auf die Gegenleistung. Die Verantwortlichkeit des Gläubigers kann sich aus einer Verletzung seiner vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten ergeben. Sie kann auch dann anzunehmen sein, wenn die Auslegung des Vertrags ergibt, dass der Gläubiger nach der vertraglichen Gestaltung das Risiko eines bestimmten Leistungshindernisses ausdrücklich oder konkludent übernommen hat und sich dieses Leistungshindernis verwirklicht.

Die stillschweigende Übernahme eines Risikos kommt insbesondere in Betracht, wenn dieses schon bei Vertragsschluss bestanden hat und nur eine Vertragspartei in der Lage war, es abzuschätzen, oder wenn seine Verwirklichung von persönlichen Verhältnissen eines Vertragspartners abhängt, die der andere Teil nicht beeinflussen kann. Etwas anderes gilt für Risiken, die erst nach Vertragsschluss zu Tage treten und außerhalb des Einflussbereichs beider Vertragsparteien liegen. In solchen Fällen widerspricht es grundsätzlich der Billigkeit, das Risiko allein dem Gläubiger aufzubürden. In der zuletzt genannten Konstellation werden die Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts bei Werkverträgen durch den in § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Ausdruck kommenden Billigkeitsgedanken verdrängt.

Zu Recht hat das LG entschieden, dass die Klägerin bei Anlegung dieser Maßstäbe für eine aus dem Fortbestehen des Einreiseverbots resultierende Unmöglichkeit verantwortlich i.S.v. § 323 Abs. 6 Fall 1 BGB und § 326 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 BGB ist, weil sie das Risiko, das sich aus diesem bereits bei Vertragsschluss bestehenden Verbot ergab, stillschweigend übernommen hat. Eine stillschweigende Risikoübernahme in diesem Sinne ist in der Regel zu bejahen, wenn der Gläubiger wie hier eine Luftbeförderung unter Ausschluss der nachträglichen Änderung des Beförderungszeitpunktes bucht, obwohl die zu befördernden Personen von einem für das Zielland seit längerem bestehenden Einreiseverbot betroffen sind, das an den Zweck der Reise oder sonstige persönliche Umstände anknüpft, und nicht absehbar ist, ob dieses Verbot vor dem vereinbarten Beförderungszeitpunkt aufgehoben wird.

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