19.03.2021

Streit um Schutzimpfung beim Kind - Welchem Elternteil steht die Entscheidungsbefugnis zu?

Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen für ein gemeinsames Kind kann bei Uneinigkeit der Eltern auf den Elternteil übertragen werden, der seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Über die allgemeine Impffähigkeit des Kindes muss unabhängig von einer konkreten Impfung kein Sachverständigengutachten eingeholt werden, da nach den Empfehlungen der STIKO die Impffähigkeit in der konkreten Impfsituation ärztlich zu prüfen ist und bei einer Kontraindikation zu unterbleiben hat.

OLG Frankfurt a.M. v. 8.3.2021 - 6 UF 3/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Eltern eines 2018 geborenen Kindes. Sie üben gemeinsam die elterliche Sorge aus. Die Mutter möchte das Kind gemäß den Empfehlungen der STIKO impfen lassen. Der Vater ist damit nicht einverstanden und verlangt eine gerichtliche Prüfung der Impffähigkeit des Kindes.

Infolgedessen hatte die Mutter gerichtlich beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis über Standardimpfungen zu übertragen. Das AG hat dem Antrag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Vaters blieb vor dem OLG erfolglos. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Gründe:
Wenn sich Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit, die für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, kann auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen werden (§ 1628 S. 1 BGB). Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen stellt eine derartige Angelegenheit von erheblicher Bedeutung dar. Dabei ist die Entscheidungskompetenz dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Geht es um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, ist die Entscheidung zu Gunsten des Elternteils zu treffen, der insoweit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt. Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen auf einen Elternteil kann dabei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich maßgeblich darauf abgestellt werden, dass ein Elternteil Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert, ohne dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf, wenn im Einzelfall kein Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht.

Es kann somit davon ausgegangen werden, dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung der Kindesmutter über vorzunehmende Impfungen im Ausgangspunkt das für das Kindeswohl bessere Konzept im Sinne der Rechtsprechung darstellt. Bei der Abwägung zwischen Risiken im Fall einer Impfung und Risiken bei unterbleibender Impfung kann die Entscheidung auf den Elternteil übertragen werden, der den fachlichen Empfehlungen der STIKO folgt. Diesen Empfehlungen kommt nämlich die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.

Da nach den Empfehlungen der STIKO die Impffähigkeit in der konkreten Situation unter Berücksichtigung etwaiger Kontraindikationen ärztlich zu prüfen ist, bedarf es auch keiner allgemeinen, unabhängig von einer konkreten Impfung vorzunehmenden gerichtlichen Aufklärung der Impffähigkeit des Kindes. Der Sorge des Vaters um die körperliche Unversehrtheit des Kindes im Hinblick auf den Impfvorgang selbst tragen die Empfehlungen der STIKO ebenfalls Rechnung. Für den Impfvorgang wird von der STIKO eine am Kindeswohl orientierte Vorgehensweise mit im Einzelnen dargestellten Handlungsvorschlägen empfohlen. Dass diese Empfehlungen vorliegend unzureichend sein könnten, war weder vorgetragen noch ersichtlich.
OLG Frankfurt a.M. PM vom 19.3.2021
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