Tod eines suizidgefährdeten Patienten beim Duschen ohne Aufsicht und ohne vorheriger Rücksprache mit einem Arzt
OLG Köln v. 20.8.2024 - 5 W 44/24
Der Sachverhalt:
Der Ehemann der Klägerin hatte 2019 im Keller des gemeinsamen Hauses versucht, sich das Leben zu nehmen. Er überlebte und wurde anschließend in das Haus der Beklagten, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, eingeliefert. Dort führte die Ärztin Dr. P. mit ihm ein Aufnahmegespräch. Der Patient zeigte sich im Kontakt freundlich, auskunftsbereit und hilfesuchend. Seine Stimmung war gedrückt und der Affekt verflacht. Inhaltliche Denkstörungen wie etwa eine wahnhafte Realitätsverkennung waren nicht zu erkennen. Der Patient wurde sodann auf freiwilliger Basis auf der Akutstation aufgenommen. Er erklärte sich mit einer Übernachtung im Sichtbereich unter ständiger Beobachtung durch das Pflegepersonal einverstanden. In der Nacht erfolgten Kontrollgänge um 1.00 Uhr, 3.00 Uhr und 5.00 Uhr.
Gegen 8:15 Uhr ging der Patient mit Körperpflegeartikeln und frischer Kleidung zum Duschen. Im Anschluss sollte eine Blutabnahme erfolgen. Als eine Labormitarbeiterin bemerkte, dass der Patient weiterhin im Bad war und die Tür verschlossen war, wurde Pflegepersonal hinzugerufen und die Tür des Bades geöffnet. Der Patient wurde tot in der Dusche vorgefunden, mit dem Schlauch der Duschbrause um den Hals gelegt.
Die Klägerin verlangte zusammen mit ihren Kindern Schadensersatz von der Beklagten. Dieser beinhaltete die Erstattung der Beerdigungskosten und Ersatz eines Unterhaltsschadens für Vergangenheit und Zukunft sowie ein Hinterbliebenengeld. Seitens der Beklagten habe ein Behandlungsfehler vorgelegen. Dem Ehemann und Vater hätte ein unbegleitetes Duschen in einem Badezimmer, dessen Dusche mit einem Duschschlauch ausgestattet war, nicht erlaubt werden dürfen. Auf einer geschlossenen psychiatrischen Station, auf der Patienten mit akuter Suizidgefahr behandelt würden, dürfe es keine Duschen mit Duschschlauch geben.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.
Die Gründe:
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Erstattung von Beerdigungskosten, auf Ersatz von Unterhaltsschäden, auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes und auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu.
Entgegen der Annahme der Kläger ist es Pflegekräften auf einer psychiatrischen Akutstation nicht grundsätzlich untersagt, von der ärztlichen Anordnung einer dauerhaften Überwachung abzuweichen und einem Patienten unbeaufsichtigte Phasen, wie etwa hier zur Durchführung der Körperpflege, zu gestatten. Der Sachverständige hat die grundsätzliche Zulässigkeit von Lockerungen durch das Pflegepersonal ohne vorherige Abstimmung mit einem Arzt ausdrücklich bejaht. Nach seinen überzeugenden Ausführungen wäre es im konkreten Fall des Patienten allerdings geboten gewesen, diesen durch einen Arzt psychiatrisch zu untersuchen und erst im Anschluss an die Untersuchung darüber zu entscheiden, ob ein unbeaufsichtigtes Duschen des Patienten zu vertreten war. Die Gestattung des Duschens ohne vorherige ärztliche Exploration stellte insofern einen Behandlungsfehler dar.
Die Kläger konnten allerdings nicht beweisen, dass der Behandlungsfehler den Suizid des Patienten verursacht hatte. Es stand nicht mit der für eine Verurteilung der Beklagten erforderlichen Gewissheit fest, dass der Patient nicht verstorben wäre, wenn am Morgen des besagten Tages ein Arzt durch die Pflegekraft hinzugerufen worden wäre und eine psychiatrische Exploration stattgefunden hätte. Für den Beweis der haftungsbegründenden Kausalität gilt das Beweismaß des § 286 ZPO. Der Auffassung der Kläger, es reiche bereits die Möglichkeit aus, dass ein ärztliches Gespräch den Suizid verhindert hätte, war nicht zu folgen. Eine der Prüfung des Entscheidungskonflikts eines Patienten bei fehlender oder unzureichender ärztlicher Aufklärung vergleichbare Situation war nicht gegeben.
Ein zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Schadenskausalität führender grober Behandlungsfehler war nicht anzunehmen. Im vorliegenden Fall fehlte es bereits an dem Vorliegen bewährter Behandlungsregeln oder gesicherter medizinische Erkenntnisse, gegen die verstoßen wurde. Der Sachverständige hat erläutert, dass es konkrete Vorgaben, wie in einer entsprechenden Situation zu verfahren sei, nicht gebe. Die Leitlinien träfen keine konkrete Aussage darüber, ob vor der Erteilung einer Erlaubnis zum unbeaufsichtigten Duschen eine psychiatrische Untersuchung des Patienten erfolgen müsse. Darüber hinaus fehlte es aber auch an einem aus objektiver Sicht nicht mehr verständlichen Verhalten der Pflegekraft.
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Ein zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Schadenskausalität führender grober Behandlungsfehler war nicht anzunehmen. Im vorliegenden Fall fehlte es bereits an dem Vorliegen bewährter Behandlungsregeln oder gesicherter medizinische Erkenntnisse, gegen die verstoßen wurde. Der Sachverständige hat erläutert, dass es konkrete Vorgaben, wie in einer entsprechenden Situation zu verfahren sei, nicht gebe. Die Leitlinien träfen keine konkrete Aussage darüber, ob vor der Erteilung einer Erlaubnis zum unbeaufsichtigten Duschen eine psychiatrische Untersuchung des Patienten erfolgen müsse. Darüber hinaus fehlte es aber auch an einem aus objektiver Sicht nicht mehr verständlichen Verhalten der Pflegekraft.
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