06.06.2023

Umgehung von bestehendem Mieterschutz macht Eigenbedarfskündigung unwirksam

Hat im Vorfeld einer Eigenbedarfskündigung die Bedarfsperson eine von ihr genutzte Wohnung an den kündigenden Vermieter zurückgegeben, damit dieser die Wohnung leer stehend zu einem besseren Kaufpreis veräußern kann, und kündigt der Vermieter daraufhin eine andere vermietete Wohnung, um die Bedarfsperson nunmehr dort unterzubringen, so ist die Eigenbedarfskündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die veräußerte und die gekündigte Wohnung im wesentlichen vergleichbare Eigenschaften aufweisen, und wenn die Voraussetzungen einer Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB im Verhältnis zum gekündigten Mieter nicht vorgelegen hätten.

LG Berlin v. 2.6.2023 - 66 S 170/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte dem Beklagten eine 3-Zimmerwohnung von 96 m² vermietet. Das Mietverhältnis hat er dann wegen Eigenbedarfs gekündigt. Zuvor hatte der Ehemann des Klägers eine weitere im Eigentum des Klägers stehende Wohnung im Haus an diesen zurückgegeben. Die Wohnung, in welcher der Ehemann gelebt hatte, sollte verkauft werden um Rücklagen bilden zu können. Um einen möglichst hohen Verkaufspreis erzielen zu können, sollte die Wohnung auf dem Immobilienmarkt leerstehend angeboten werden. Der Ehemann des Klägers sollte dann als Bedarfsperson in die Wohnung des Beklagten ziehen.

Der Beklagte wehrte sich gegen die Eigenbedarfskündigung. Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen. Das LG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.

Die Gründe:
Die Eigenbedarfskündigung des Klägers war unwirksam. Der darin geltend gemachte Wohnbedarf war durch die Umgehung der Kündigungsbeschränkungen aus § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB vom Kläger und seinem Ehemann geschaffen worden. Gegenüber dem Wohnraummieter, dessen Schutz die Beschränkung der Befugnisse des Eigentümers in § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB dient, war eine solche Umgehung rechtsmissbräuchlich.

Die Dispositionen des Klägers über seine Wohnungen hatten ihren zentralen Grund nicht darin, dass auf der Grundlage geänderter Lebensverhältnisse und -bedürfnisse ein neu entstandenes oder erweitertes Eigennutzungsinteresse umgesetzt werden sollte, wie es eine Verdrängung eines Wohnraummieters nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB voraussetzt. Es ging dem Kläger stattdessen darum, eine seiner Wohnungen zu veräußern (also zu verwerten i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Da mit dieser Begründung das Mietverhältnis des Beklagten nicht wirksam hätte gekündigt werden können, dem Kläger ihm gegenüber eine solche Disposition also nicht zustand, bedeutete es einen Rechtsmissbrauch des Klägers, den bestehenden Schutz seines Mieters durch ein Zusammenwirken mit seinem Ehemann zu umgehen.

Die Wohnung des Beklagten verfügt über keinerlei zusätzliche, ausgeprägtere oder "bessere" Eigenschaften, als diejenige Wohnung, die der Kläger seinem Ehemann bereits überlassen hatte. Die einzige Neuerung in den Absichten des Klägers bestand darin, für eine seiner Wohnungen einen optimalen Verkaufspreis erzielen zu wollen, was nach seiner Vorstellung nur bei einer leer stehenden Wohnung gewährleistet war. Dieses reine Verwertungsinteresse steht einem Eigenbedarf rechtlich aber nicht gleich. Es ist genießt nach der gesetzlichen Konzeption (nur) den (geringeren) Schutz gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Im Falle einer Verwertung sind also die aus § 903 BGB resultierenden weitgehenden Befugnisse des Eigentümers deutlich stärker eingeschränkt, als bei einem der Geltendmachung von Eigenbedarf. Ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrages ein erheblicher Nachteil entsteht, ist (auch) vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) und dem Interesse des Mieters am Verbleib in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu beurteilen.

Ein ausreichendes Verwertungsinteresse ist in extrem gelagerten Fällen anerkannt worden, in denen Komplettsanierungen ganzer Immobilien oder der Abriss von Baulichkeiten nötig wurden, um eine wirtschaftlich vertretbare Nutzung des Grundstückes zu etablieren. Ähnlich schwerwiegend können die Interessen des Eigentümers sein, wenn das Mietverhältnis deshalb "im Wege ist", weil eine Veräußerung des Objektes mit dem bestehenden schuldrechtlichen Vertrag überhaupt nicht möglich ist, weil es dafür keinen Markt (insbesondere keine Nachfrage) gibt.Von solchen Voraussetzungen kann am Berliner Immobilienmarkt ersichtlich keine Rede sein.

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Keno Zimmer
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