09.12.2024

Verlegung eines Fluges um mehr als 24 Stunden stellt eine Annullierung dar

Nach Auffassung des Gerichts liegt in einer Verlegung eines Fluges um mehr als 24 Stunden eine Annullierung i.S.d. Art. 5 VO (EG) 261/2004. Die EuGH-Rechtsprechung verhält sich ausdrücklich nur zu einer Verlegung um weniger als drei Stunden. Sie lässt nicht den Schluss zu, dass eine Annullierung nie anzunehmen ist, wenn ein Flug unter Beibehaltung von Flugnummer und Flugroute auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wird. Andernfalls würde auch das hohe Schutzniveau, dass die VO (EG) 261/2004 gewährleisten will, gerade nicht erreicht.

AG Köln v. 14.11.2024 - 126 C 405/24
Der Sachverhalt:
Die Kläger wollten am 27.1.2022 von Köln/Bonn nach Barcelona fliegen. Die Entfernung zwischen den Flughäfen beträgt nicht mehr als 1.500 km. Die Buchung bei der Beklagten hatte der S. für die insgesamt sechsköpfige Reisegruppe vorgenommen. Der Flug sollte planmäßig um 17:15 Uhr lokaler Zeit starten und das Ziel um 19:25 Uhr lokaler Zeit erreichen. Allerdings startete das Flugzeug erst am Abend des 28.1.2022. Die Änderung der Flugzeiten nahm die Beklagte bereits im Dezember 2021 vor. Drei Kläger wurden sodann am 28.1.2022 nach Barcelona befördert. Ankunft um 23:49 Uhr lokaler Zeit. Die drei anderen Kläger traten den Flug am nicht an.

Die Kläger behaupteten, der S. sei am 20.1.2022 zufällig auf der Website der Beklagten darauf gestoßen, dass das Abflugdatum auf den 28.1.2022 geändert wurde. Zuvor sei er hierüber nicht informiert worden. Infolgedessen verlangten die Kläger 250 € Entschädigung pro Person. Die Beklagte behauptete, sie habe bereits mehr als einen Monat vor der geplanten Flugreise den S. darüber informiert, dass die Abflugzeit geändert wurde. Dieser habe am 24.12.2021 eine entsprechende E-Mail um 08:41 Uhr erhalten und am selben Tag um 19:11 Uhr geöffnet und gelesen. Die Kläger bestritten dies mit Nichtwissen. Später seien weitere E-Mails verschickt worden, wobei eine am 29.12.2021 ebenfalls durch S. noch am selben Tag geöffnet worden sei.

Das AG gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die Kläger haben Anspruch auf Zahlung von je 250 € aus Art. 7 Abs. 1 lit. a), 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004.

Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für einen von der Beklagten durchzuführenden Flug mit geplantem Start am 27.1.2022. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) VO (EG) 261/2004 beträgt die Höhe der Entschädigung bei Entfernungen von nicht mehr als 1.500 km 250 €. Entlastungsgründe i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 hat die Beklagte nicht vorgetragen. Es lag insbesondere eine zur Entschädigung verpflichtende Annullierung i.S.d. Art. 2 lit. l) VO (EG) 261/2004 vor, sodass es nicht darauf ankam, dass sich drei der Kläger nicht zur Abfertigung eingefunden hatten.

Maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung der Annullierung insbesondere zur - ebenfalls entschädigungspflichtigen - großen Verspätung ist die Aufgabe der ursprünglichen Flugplanung. Dabei sind Annullierungen und große Verspätungen strikt voneinander zu trennen. Werden Fluggäste mit einem Flug befördert, dessen Abflugzeit sich gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Abflugzeit verzögert, kann der Flug daher nur dann als "annulliert" angesehen werden, wenn das Luftfahrtunternehmen die Fluggäste mit einem anderen Flug befördert, dessen Flugplan von dem des ursprünglich vorgesehenen Fluges abweicht. Ein verspäteter Flug ist grundsätzlich unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert anzusehen, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

Diesbezüglich hat der EuGH ausdrücklich entschieden, dass jedenfalls in einer Verlegung der Abflugzeit "nach hinten" um weniger als drei Stunden keine Annullierung liegt (EuGH, Urt. v. 21.12.2021 - C-395/20), während er für den Fall einer Flugvorverlegung um mehr als eine Stunde die Einordnung als Annullierung bestätigt hat (EuGH, Urt. v. 21.12.2021 - C-146/20). Ob bei einer Verlegung des Fluges um drei Stunden oder mehr ebenfalls keine Annullierung vorliegt, ist bislang nicht entschieden worden.

Nach Auffassung des Gerichts liegt in einer - wie vorliegend unstreitig durch die Beklagte vorgenommenen - Verlegung eines Fluges um mehr als 24 Stunden eine Annullierung i.S.d. Art. 5 VO (EG) 261/2004. Die EuGH-Rechtsprechung verhält sich ausdrücklich nur zu einer Verlegung um weniger als drei Stunden. Sie lässt nicht den Schluss zu, dass eine Annullierung nie anzunehmen ist, wenn ein Flug unter Beibehaltung von Flugnummer und Flugroute auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wird. Andernfalls würde auch das hohe Schutzniveau, dass die VO (EG) 261/2004 gewährleisten will, gerade nicht erreicht.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung
Zumutbare Maßnahmen zur Flugverspätungsbegrenzung
BGH vom 10.10.2023 - X ZR 123/22
MDR 2024, 18
MDR0062226

Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
Ersatzflug nach unwetterbedingter Zerstörung des Flughafens
BGH vom 10.11.2022 - X ZR 97/21
MDR 2023, 88

Aufsatz
Die Entwicklungen des Pauschalreiserechts in den Jahren 2023/24
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2024, 1157

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