Vermeidung von Obdachlosigkeit: Zivilrechts- oder Verwaltungsrechtsweg bei Zahlungsansprüchen der Gemeinde?
BGH v. 12.11.2024 - VIII ZB 36/23
Der Sachverhalt:
Die klagende Stadt hatte den Beklagten auf Zahlung restlichen Entgelts für seine Unterkunft in verschiedenen - jeweils privat betriebenen - Beherbergungsstätten in München in Anspruch genommen. Der Beklagte habe mit den jeweiligen Beherbergungsstätten - auf Vermittlung der Klägerin zur Abwendung einer ihm drohenden Obdachlosigkeit - einen entgeltlichen Beherbergungsvertrag geschlossen. Ihre daraus hervorgehenden Ansprüche gegenüber dem Beklagten auf Zahlung des Entgelts für die Unterkunft hätten die Beherbergungsbetriebe vorab an sie abgetreten.
Hintergrund sei, dass die Klägerin von Obdachlosigkeit bedrohte Personen in vielen Fällen an die jeweiligen Beherbergungsbetriebe vermittele und sich diesen gegenüber im Voraus verpflichtet habe, für die Bezahlung des Beherbergungsentgelts einzustehen. In dem noch geltend gemachten Umfang seien die Unterkunftskosten des Beklagten gegenüber der Klägerin nicht beglichen worden.
Das von der Klägerin angerufene LG hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das VG verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das OLG den erstinstanzlichen Beschluss abgeändert und den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für eröffnet erklärt. Der BGH hat die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Beklagten zurückgewiesen.
Gründe:
Zu Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass es sich vorliegend nicht um eine öffentlich-rechtliche - hier gegebenenfalls nach § 40 Abs. 1 VwGO den Verwaltungsgerichten zugewiesene - Streitigkeit, sondern um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, für die der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist (§ 13 GVG).
In Fällen, in denen die Klagepartei Ansprüche aus abgetretenem Recht verfolgt, richtet sich die Rechtswegzuordnung maßgeblich nach dem Gepräge des Rechtsverhältnisses zwischen dem Zedenten und dem Schuldner (vgl. BGH, Beschl. v. 25.7.2013 - III ZB 18/13; BSG, Beschl. v. 30.9.2014 - B 8 SF 1/14 R). Es handelt sich daher um eine dem Zivilrechtsweg zugewiesene bürgerliche Rechtsstreitigkeit (§ 13 GVG), wenn eine Gemeinde klageweise Zahlungsansprüche geltend macht, die ihrem Vorbringen nach durch den Abschluss eines Beherbergungsvertrags zwischen einem privaten Unterkunftsbetrieb und dem Beklagten entstanden und ihr seitens des Unterkunftsbetriebs abgetreten worden sind.
Dabei ist weder von Bedeutung, dass der (behauptete) Beherbergungsvertrag auf Vermittlung der - insoweit in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben handelnden - Gemeinde zur Abwendung einer dem Beklagten drohenden Obdachlosigkeit zustande gekommen ist, noch kommt es darauf an, ob die (behaupteten) Abreden zwischen der klagenden Gemeinde und dem Unterkunftsbetrieb über die Abtretung der aus dem Beherbergungsvertrag hervorgehenden Zahlungsansprüche auf einem als öffentlich-rechtlich oder als privatrechtlich einzuordnenden Vertrag beruhen. Denn selbst wenn es sich bei diesen etwaigen Vereinbarungen um öffentlich-rechtliche Verträge handeln sollte, änderte dies an dem privatrechtlichen Charakter der abgetretenen Ansprüche nichts.
Von einem "missbräuchlichen Erschleichen des Zivilrechtswegs" konnte hier entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ebenfalls keine Rede sein. Im Grundsatz wird das "Erschleichen" eines bestimmten Rechtswegs bereits dadurch ausgeschlossen, dass es für die Rechtswegzuordnung nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf ankommt, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der von Rechtssätzen des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird, und demnach die wahre Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs entscheidend ist.
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BGH online
Die klagende Stadt hatte den Beklagten auf Zahlung restlichen Entgelts für seine Unterkunft in verschiedenen - jeweils privat betriebenen - Beherbergungsstätten in München in Anspruch genommen. Der Beklagte habe mit den jeweiligen Beherbergungsstätten - auf Vermittlung der Klägerin zur Abwendung einer ihm drohenden Obdachlosigkeit - einen entgeltlichen Beherbergungsvertrag geschlossen. Ihre daraus hervorgehenden Ansprüche gegenüber dem Beklagten auf Zahlung des Entgelts für die Unterkunft hätten die Beherbergungsbetriebe vorab an sie abgetreten.
Hintergrund sei, dass die Klägerin von Obdachlosigkeit bedrohte Personen in vielen Fällen an die jeweiligen Beherbergungsbetriebe vermittele und sich diesen gegenüber im Voraus verpflichtet habe, für die Bezahlung des Beherbergungsentgelts einzustehen. In dem noch geltend gemachten Umfang seien die Unterkunftskosten des Beklagten gegenüber der Klägerin nicht beglichen worden.
Das von der Klägerin angerufene LG hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das VG verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das OLG den erstinstanzlichen Beschluss abgeändert und den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für eröffnet erklärt. Der BGH hat die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Beklagten zurückgewiesen.
Gründe:
Zu Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass es sich vorliegend nicht um eine öffentlich-rechtliche - hier gegebenenfalls nach § 40 Abs. 1 VwGO den Verwaltungsgerichten zugewiesene - Streitigkeit, sondern um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, für die der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist (§ 13 GVG).
In Fällen, in denen die Klagepartei Ansprüche aus abgetretenem Recht verfolgt, richtet sich die Rechtswegzuordnung maßgeblich nach dem Gepräge des Rechtsverhältnisses zwischen dem Zedenten und dem Schuldner (vgl. BGH, Beschl. v. 25.7.2013 - III ZB 18/13; BSG, Beschl. v. 30.9.2014 - B 8 SF 1/14 R). Es handelt sich daher um eine dem Zivilrechtsweg zugewiesene bürgerliche Rechtsstreitigkeit (§ 13 GVG), wenn eine Gemeinde klageweise Zahlungsansprüche geltend macht, die ihrem Vorbringen nach durch den Abschluss eines Beherbergungsvertrags zwischen einem privaten Unterkunftsbetrieb und dem Beklagten entstanden und ihr seitens des Unterkunftsbetriebs abgetreten worden sind.
Dabei ist weder von Bedeutung, dass der (behauptete) Beherbergungsvertrag auf Vermittlung der - insoweit in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben handelnden - Gemeinde zur Abwendung einer dem Beklagten drohenden Obdachlosigkeit zustande gekommen ist, noch kommt es darauf an, ob die (behaupteten) Abreden zwischen der klagenden Gemeinde und dem Unterkunftsbetrieb über die Abtretung der aus dem Beherbergungsvertrag hervorgehenden Zahlungsansprüche auf einem als öffentlich-rechtlich oder als privatrechtlich einzuordnenden Vertrag beruhen. Denn selbst wenn es sich bei diesen etwaigen Vereinbarungen um öffentlich-rechtliche Verträge handeln sollte, änderte dies an dem privatrechtlichen Charakter der abgetretenen Ansprüche nichts.
Von einem "missbräuchlichen Erschleichen des Zivilrechtswegs" konnte hier entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ebenfalls keine Rede sein. Im Grundsatz wird das "Erschleichen" eines bestimmten Rechtswegs bereits dadurch ausgeschlossen, dass es für die Rechtswegzuordnung nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf ankommt, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der von Rechtssätzen des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird, und demnach die wahre Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs entscheidend ist.
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